Jonas #21

3.3K 261 6
                                    

Ich hob meinen Kopf und tastete auf dem Nachttisch nach meiner Brille. Ich lag in meinem Bett und hatte Boxershorts und T-Shirt an. Wieso hatte ich nicht meinen Pyjama an? Ich rieb mir über die Augen. Wieso war keine Musik an, mit der ich sonst immer einschlief, in Dauerschleife laufen ließ und wieder aufwachte? Wieso waren die Rollläden nicht unten? Wieso war mein Handy nicht wie gewöhnlich an seiner Ladestation? Ich setzte mich auf und verschränkte meine Beine unter der Decke zum Schneidersitz. Ich erinnerte mich wieder. Kian und Francesco hatten etwas geplant gehabt. Ich vermutete, dass Kian immer noch ein schlechtes Gewissen, wegen Donnerstag hatte. Er wagte es nicht mehr mir in dir Augen zu sehen und entschuldigte sich immer noch. Francesco hatte gekocht und wir hatten uns zu dritt die drei BBC Staffeln von Sherlock Holmes angesehen. Irgendwann musste ich an einer Schulter von den beiden eingeschlafen sein und einer hatte mich ins Bett getragen. Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht lief, als ich mir vorstellte, dass mir einer von ihnen die Hose ausgezogen hatte. Ich wollte mich ins Bett werfen und ein Kissen über meinen Kopf ziehen. Aber stattdessen stand ich auf und zog mir eine Jogginghose an. Ich fand es ja süß von allen, dass sie sich Sorgen um mich machten und mir keine weiteren Sorgen bereiten wollten und mich auch ein wenig ablenken wollten, aber man musste mich nicht mit Samthandschuhen anfassen. Ich lief runter in die Küche. Francesco und Kian waren anscheinend nicht da, worüber ich ganz froh war. Dafür saß Isaak mit der dampfenden Kaffeetasse in der einen und der Zeit in der anderen an dem hellen Esstisch. Eine seiner lieblings Schallplatten lief. Beatles 1. Er lächelte mir über seine Lesebrille hinweg zu. Ich nickte müde und machte mich daran Bananen in eine Schüssel zu schneiden, nachdem ich Milch aufgesetzt hatte. An das Schokomüsli kam ich gerade so ran, wenn ich mich auf Zehenspitzen stellte. Isaak beobachtete mich dabei und nippte an seinem Kaffee. Anstatt mir zu helfen!! "Hat sich dein Traumprinz gemeldet?", fragte er mit unverhohlenem Spott in der Stimme. Ich warf ihm einen säuerlichen Blick zu. Er wollt bloß ein Nein hören, damit sein Bild von Corbin vollständig war. Arroganter, unzuverlässiger Arsch. Corbin hatte sich seinen ersten Eindruck bei Isaak gründlich versaut. Und Isaak spielte mir gegenüber auch noch den Besserwisser mit seiner "Ich habe es dir gleich gesagt"- Art, die mir so zum Hals raus hing, weil er immer mit ihr kam, wenn jemand etwas trotzdem tat und versagte, von dem er schon im Vorhinein behauptet hatte, dass es zum Scheitern verurteilt war. Man musste mich nicht mit Samthandschuhen anfassen, aber das hieß nicht gleich, dass man in meinen Wunden rumstochern durfte!! Ich schüttete die Milch über mein Müsli und sie färbte sich sofort braun. Dann ließ ich mich grummelnd und ihn böse ansehend auf den Stuhl fallen. Er faltete die Zeitung zusammen, legte sie auf den freien Stuhl neben sich und umschloss die Tasse vor ihm mit beiden Händen. Aber statt mich anzusehen, lächelte er ein Astloch in der Struktur des Tisches an. "Was findest du an ihm?", fragte er und sah mich jetzt mit schiefgelegtem Kopf an. Ich schob mir einen Löffel Müsli in den Mund, um mir mehr Zeit zum Antworten zu verschaffen. Er beobachtete mich dabei und legte die Brille auf die Zeitung. Ich braucht mehr Zeit! "Willst du auch einen Tee?", fragte ich ihn schon halb aufgestanden. Er hob seine Tasse mir dem Kaffee hoch. Ich nickte und setzte das Wasser im Wasserkocher auf. Tasse, Teebeutel, Honig. "Du kannst auch einfach sagen, dass dir nichts Positives einfällt.", hörte ich ihn rufen. Ich lugte kurz aus der Türe. "Das ist nicht das Problem. Es ist bloß so, dass mir zu viel einfällt und ich nicht weiß, wie ich es sagen soll." Er sah mich an als würde er überlegen, ob ich geistig ganz zurechnungsfähig sei. Wahrscheinlich kam er zu dem Schluss, dass das nicht der Fall war. Ich schüttete das Wasser auf und trug meinen Tee zu meinem Müsli an den Tisch. Er sah ich ernst an, als wollte er, dass ich zuerst das Wort ergriff. Ich tat ihm den Gefallen. "Kennst du solche Menschen, die traurig schauen, wenn sie denken niemand würde sie ansehen?" Er nickte stumm. "Corbin ist so ein Mensch. Ich glaube das alles, dass er so selbstbewusst wirkt und witzig ist und immer lacht ist eigentlich bloß Fassade und ich glaube, die Tatsache, dass er niemanden an sich ran lässt, ist Selbstschutz. Schutz davor verletzt zu werden." Er runzelte die Stirn. "Und das glaubst du alles aus diesem einen traurigen Blick lesen zu können?" Er verstand es nicht. "Ich sehe ihn seitdem er auf meiner Schule ist jeden Tag.", entgegnete ich. "Da bist du nicht der einzige. Wieso fällt es anderen Leuten nicht auf?" "Weil sie dumm sind? Weil es sie nicht kümmert? Weil sie blind sind?" Weil ich ihn liebe? Aber das dachte ich bloß. Er nickte knapp und sah mich an wie eine interessante neue medizinische Entdeckung. War er so ein Soziopath, dass er nicht nachvollziehen konnte, was ich meinte? Er widmete sich wieder seiner Zeitung. Was er nicht verstand, war seine Zeit nicht wert. Ich seufzte und aß mein Müsli auf. Ich verstaute die Schüssel in der Spülmaschine und verschanzte mich mit dem laut gestellten Handy und der Teetasse auf dem Sofa vor dem Fernseher. Jetzt hieß es warten und hoffen.

Oh, my life...Where stories live. Discover now