Jonas #12

5.1K 328 5
                                    

Ich zog Corbin von Chris weg. Er wischte sich wütend die Tränen weg, die über seine Wangen liefen, aber es kamen einfach neue und er blieb stehen, während er Isaak beobachtete, der sich über Chris beugte. Seine Augen blitzen wütend und seine Hände zitterten. Ich traute mich nicht ihn anzusprechen. Ich hätte ihn gerne umarmt getröstet. Ein feiner Schmerz hatte sich in meiner Brust eingenistet. Jedes Mal wenn ich ihn ansah wurde er stärker. War es falsch mir um Corbin mehr Sorgen zu machen, als um meinen eigenen Bruder? Obwohl Chris ja schließlich derjenige war, der am meisten auf die Fresse bekommen hatte. Aber ich denke auch nicht, dass Corbin einfach so jemand zusammenschlägt. Außerdem hatte er auch ganz schön was abbekommen. Seine Lippe und seine Nase blutete. Seine Wange war rot und auf dem Wangenknochen unter seinem linken Auge bildete sich langsam eine Schwellung. Ich sah schnell weg, als er sich von Chris abwandte und mich ansah. Isaak war zu Stein erstarrt als er aus dem Lokal getreten war und gesehen hatte wie sich Corbin und Chris gegenseitig schlugen, auch wenn Chris mehr hatte einstecken müssen. Er hatte nicht das reinste Verständnis für Gewalt. Deswegen aß er ja auch kein Fleisch. Eine Hand legte sich kurz auf meine Schulter und zuckte dann zurück, als habe sie sich verbrannt. Ich sah auf. Es war Corbin. Mein Herz schlug plötzlich wie nach einem Marathon. "Jonas. Ich..." Sein Handy klingelte. Er seufzte entnervt, zog es jedoch aus seiner Hosentasche. "Ist wahrscheinlich mein Kater der mir sagen will, dass ich endlich nach Hause kommen soll, weil er Hunger hat." Er lächelte über seinen Witz und zog sich mit seinem Handy am Ohr zurück. Was hatte er mir verdammt nochmal sagen wollen? Ich versuchte mir darüber nicht so einen Kopf zu machen. Ich musste langsam lernen mich von Gedanken abzulenken, die wehtaten. Also alles was mit Corbin zu tun hatte. Ich steckte meine Hände in die Hosentasche und beobachtete die kleine Gruppe, die sich um Chris und Isaak gebildet hatte. Mir war kalt. Meine Haare waren immer noch feucht und es war unangenehm auf dem Kopf. Jetzt saß Chris da, hatte die Hände auf die Ohren gedrückt und versuchte die Leute um ihn herum zu ignorieren, die ihm Ratschläge gaben, was er jetzt tun sollte. Isaak versuchte ein paar zu verscheuchen, was aber nicht so klappte. Seit wann war er der Bodyguard von Chris? Ich dachte er mochte ihn nicht... Corbin lief an mir vorbei. Immer noch das Handy auf dem Ohr. Er sah mich kurz an, winkte mir zu und ging weiter. "Du wolltest mir...", setzte ich an. Aber ich gab es auf. Er hörte mich sowieso nicht. Ich blieb stehen, wo ich war. Ich wusste nicht was ich fühlen sollte. Alles war so kompliziert. Wenn ich Corbin sah wollte ich weglaufen und mich irgendwo verkriechen und nie wieder rauskommen, aber ich wollte ihn auch umarmen und nie wieder loslassen. War das normal? War Liebe so widersprüchlich? War das ganze überhaupt Liebe? Oder war es bloß ein Hirngespinst, das ich mir so hindrehte wie ich wollte? Was wusste ich denn über den Jungen? Hatte ich vor gestern überhaupt schon mal ein Wort mit ihm gewechselt? Ja, er sah so umwerfend gut aus, dass ich vom ersten Tag an, vom ersten Mal an, wo ich ihn gesehen hatte, meine Augen nicht von ihm lassen konnte. Ich liebte es wie er redete, wie er grinste. Seine Gestik war fantastisch und man konnte alleine aus ihr so viel lesen. Aber konnte man sich anhand von so etwas in jemand verlieben? Durch beobachten? Gab es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick? Ich weiß noch genau wie es gewesen war als ich ihn das erste Mal über den Schulhof hatte laufen sehen. Seine Haare waren kürzer gewesen als jetzt, aber seine Augen hatten gefunkelt. Wie die Sterne. Und noch heller. Ich hatte meine Augen nicht von ihm abwenden können und mir war heiß geworden. Mein Herz hatte zu schnell geschlagen und ich hatte keine Ahnung gehabt, was mit mir los war. Seit dem ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Und das schon seit einer Ewigkeit. Ich fragte mich in den verschiedensten Situationen, wie er wohl reagieren und handeln würde, wie es wohl wäre, wenn wir es gemeinsam erlebt hätten oder ob es ihm auch gefallen hätte. War das nicht gesponnen? Wieso bekam ich ihn nicht aus meinem Kopf? Das war doch bescheuert... Ich schüttelte meinen Kopf, um sein Gesicht daraus zu bekommen. Natürlich klappte es nicht so, wie ich es hätte. Ich musste mich einfach ablenken... Ich versuchte meinen Beinen den Befehl zu erteilen sich zu bewegen. Ich ging zu Chris und kniete mich neben ihn und strich ihm über sen Rücken. Er blitzte mich wütend an. "Fass mich nicht an. Du machst dir viel mehr Sorgen um Corbin als um mich." Ich lächelte ihn versöhnlich an. "Tue ich nicht. Jetzt mach nicht auf eifersüchtig." Er grummelte etwas vor sich hin und stand auf. Sein Gesicht sah schlimm aus. Eine Frau legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Sie sollten den jungen Mann, der Sie so zugerichtet hat anzeigen." "Ich zeige gleich sie wegen sexueller Belästigung an, wenn sie ihre Hand da nicht wegnehmen.", knurrte er sie an und entfernte sich von der Menschenmenge. Er war wirklich ein liebenswürdiger Typ. Wieso genau machte ich mir nochmal Sorgen, um so einen Depp? Er war höchstwahrscheinlich sowieso selbst Schuld, dafür dass sein Gesicht übersäht war von blauen Flecken. Isaak holte ihn ein. Ich blieb einen Schritt hinter ihnen. "Verlieren wir kein Wort mehr darüber.", sagte Chris zerknirscht. "Das hatte ich auch nicht vor. Wie gehen jetzt zu uns und sehen uns einen netten Film an.", schlug Isaak vor. Chris sah ihn abwertend an. "Einen netten Film? Was heißt das? Bibi und Tina?" Isaak seufzte genervt. Ich war erleichtert darüber. Ich hätte es beinahe gruselig gefunden, hätten sich Isaak und Chris jetzt plötzlich verstanden. "Ich meinte eher so was wie Transformers oder Star Wars." Beides Filme die Isaak nicht mochte. Er stand nicht so auf Laserwaffen und Roboter. Eher auf Dokumentationen und Beziehungskram. Chris sah ihn überrascht an. Er wusste das. Nach kurzem Zögern stimmte er zu. So eine Chance würde er nie wieder bekommen. Isaak dem die WG gehörte, alles organisierte, dafür sorgte dass wir nicht in unserem eigenen Dreck erstickten und soweit ich das beurteilen konnte auch der Verantwortungsbewusstete war, hatte Chris nie erlaubt mich zu besuchen. Einfach aus dem Grund, dass er ihn nicht mochte. Außerdem meinte er, Chris würde mich einengen. Chris hatte die WG also noch nie von innen gesehen. Wir stiegen in den dunkelblauen Volvo von Isaak und Chris bekam die Rückbank. Er stellte seine Sporttasche neben sich und redete irgendetwas über einen fantastischen neuen Film, der bald ins Kino käme. Ich hörte ihm nicht wirklich zu, so dass seine Stimme wie ein monotoner Klangschleier war. Ich sah auf die Straße. Beobachtete Passanten, Radfahrer und Autos. Ich war totmüde. Wenn man im Wasser war und schwomm war man glücklich und wach. Aber nach einiger Zeit, wenn man aus dem Wasser raus war wurde man einfach bloß müde und ich hatte immer Schwierigkeiten meine Augen offen zu halten. Die Müdigkeit bahnte sich langsam durch mein Gehirn und erstickte fast jeden Gedanken. Ich lehnte meine Schläfe gegen das kühle Glas und schloss die Augen. Bloß ganz kurz...

•••••

Ich schlug meine Augen auf. Ich trug noch das T-Shirt und die Jeans von heute. Ich lag in meinem Bett. Wie war ich hier her gekommen? Mich musste jemand nachdem ich im Auto eingeschlafen war in mein Zimmer getragen haben. Ich liebte mein Zimmer. Ich liebte, dass es unter dem Dach lag, dass zwei Wände schräg waren und ich liebte das dunkelblau in dem diese beiden Wände gestrichen worden waren. Ich liebte mein Bett aus massiven Holz. Es war einfach bloß gemütlich. Es war meine kleine Festung, die mir Zuflucht und Schutz bot. Ich setzte mich auf und rieb mir über die Augen. Ich sah auf meine Uhr.

4:09

Ich hatte noch zwei Stunden zu schlafen, dann würde mein Wecker gehen und ich müsste in die Schule. Das Fenster über meinem Bett war nicht abgedunkelt. Ich liebte es nachts in meinem Bett zu liegen und den großen weiten Himmel zu beobachten. All die Sterne, die Wolken... Ich machte das Fenster leicht auf. Die kalte Luft pieckste mir in meine Wangen. Ob er wohl gerade auch zu den Sternen auf sah und an mich dachte? Wie oft hatte ich mich das schon gefragt? Und wie oft hatte ich mir danach gedacht, wie naiv ich doch war. Als würde er auch bloß einen Gedanken an mich verschwenden. Bis Montag hatte er ja nicht einmal gewusst, dass ich existiere. Er hatte mich nie mit Sehnsucht in seinen Augen angesehen. Sich nie danach gesehnt mich in seiner Nähe zu haben. Er hatte sein eigenes Leben, in dem für mich kein Platz war, obwohl er doch so viel Platz in meinem einnahm...

Oh, my life...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt