Jonas #5

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Ich öffnete meine Augen. Sofort krallte sich wieder die Aufregung in meine Eingeweide und ich hatte Angst in die Schule zu gehen.

Ich hatte Angst ihm gegenüber zu treten. Eigentlich wollte ich einfach liegen bleiben und mich im Bett verkriechen. Ich hätte es auch gemacht, hätte ich nicht gewusst, dass dadurch das Problem nicht gelöst, sondern nur aufgeschoben werden würde. Also wälzte ich mich aus dem Bett, nahm irgendein T-Shirt und meine Glückshose aus meinem Schrank und verschanzte mich ins Bad. Eine warme Dusche zum Entspannen, ein Müsli und danach einen Kaffee to go wären ein guter Anfang. Vielleicht würden sich dann meine grauen Zellen wieder daran erinnern, wie das positive Denken ging.

Man musste sich in seinen Kleidern bloß wohl fühlen und schon war der Tag besser.

Ich hörte "Queen" und tanzte dazu durch die Küche. Meine Augen waren immer noch schwer vom Weinen gestern und ich wollte einfach bloß von jemand gerade in den Arm genommen werden. Aber es sah so aus, als müsste ich darauf verzichten. Kian, der gestern Abend vor dem laufenden Fernseher eingeschlafen war, schnarchte immer noch vor sich hin. Ich nahm meine Tasche, zog meine Katzenvans an und schlich hinaus. Heute war ein kurzer Tag. Alles hatte in meinen kleinen Pacman Rucksack gepasst. Ich bekam die Bahn perfekt.

Alles schien, als hätte sich das Schicksal und Universum dazu verschworen mich auf gar keinen zuzulassen, dass ich heute nicht in die Schule ginge.

*****

Ich ging den Gang entlang. Meine Hände hatte ich so stark zur Faust geballt, damit sie nicht so höllisch zitterten, dass meine Knöchel weiß anliefen und sich meine Fingernägel in meine Handfläche bohrten.

Mein Herz schlug viel zu schnell und mir stand der Schweiß auf der Stirn, obwohl die Temperaturen bis jetzt noch erträglich waren. Wie wurde er mich ansehen, wenn er mich sehen würde??

So abwertend und hochnäsig wie gestern? Wie man eine ekelhafte Kakerlake ansieht, die man am liebsten einfach bloß erschlagen wollte...

Oder wurde er mich einfach ignorieren und so tun als wäre ich gar nicht da? Als würde ich gar nicht existieren.

Es wäre egal was er tun würde, es würde jedes Mal gleich weh tun. Nämlich höllisch...

Francesco und ich hatten uns gestern eine Popcorn und Nachos geteilt und danach etwas bei einem Inder gegessen. Es war ein schöner Abend gewesen. Aber ehrlich gesagt, bloß um ein wenig auszuspannen und ein wenig zu vergessen. Mehr nicht.

Francesco hatte auch nicht gewusst, wie man damit nun umgehen sollte. Seine einzigen Worte waren "Am Ball bleiben" gewesen. Aber wie sollte ich am Ball bleiben, wenn ich mir meine Chancen 1 zu 100000 ausrechnete?

Da war es noch wahrscheinlicher, dass ein Känguru mich heiraten wollte. Und da sollte man nicht aufgeben? Sich weiter Hoffnungen machen, obwohl es aussichtslos war?? Da würde ich bloß noch mehr verletzt werden. Wieder enttäuscht.

Wenn ich ihn vergessen würde, oder es zumindest versuchen würde, würde mir vielleicht noch mehr Schmerz und noch eine Enttäuschung erspart bleiben, jedoch hieß es auch aufzugeben.

Ich rannte fast in ein Mädchen rein, das mich genervt anmotzte. Ich stand vor dem Klassenzimmer und sah mich angespannt um. Eigentlich musste man ihn schnell sehen. Er war mindestens zehn Zentimeter größer als alle anderen in der Klasse. Ich sah ihn nicht. Ich ließ mich and der Wand heruntergleiten und lehnte meinen Kopf an die kühle Wand in meinem Rücken.

Ich kannte seine Gewohnheiten. Er war immer einer der Ersten. Er musste ja die ganzen Leute begrüßen, die er kannte. Entweder hatte er diese Gewohnheit geändert oder er kam heute nicht.

Als unser Lehrer uns auf schloss und ich mich an meinen Platz setzte, war er immer noch nicht da.

Erleichterung durchflutete mich. Ich hatte noch eine Gnadenfrist bekommen. ich musste ihm erst morgen oder vielleicht noch später gegenüber treten.

Zum anderen nagte die Sorge an mir. Mir kamen Bilder von Schnapsleichen und Attentatopfer in den Kopf.

Nein, er würde mir eindeutig niemals egal sein.

Oh, my life...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt