Jonas #11

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Ich musste mich richtig am Riemen reißen, um ihn nicht die ganze Zeit anzustarren. Wie er in seinem Latte Macchiato rumrührte, wie er sich ein paar Mal durch die Haare fuhr. Es machte mich alleine schon verrückt wenn er bloß blinzelte!! Es machte mich verrückt hier neben ihm zu sitzen und ihn nicht berühren zu können. Es war etwas anderes als heute Vormittag. Chris und Isaak diskutierten über irgendeinen Schwachsinn, aber man merkte genau, dass sie alles mit bekamen war ich und Corbin taten. Es war verdammt nochmal eine Folter neben ihm zu sitzen und nicht einmal zu wissen, ob und wenn wie ich ein Gespräch starten sollte. Isaak unterbrach Chris mitten im Satz mit einer wegwerfenden Handbewegung und wandte sich wieder seinem Eisbrecher zu. Er aß einen Löffel und sah dann Corbin an. "Jonas hat gesagt ihr seit in einer Klasse?" Corbin sah ihn an, als hätte Isaak aus einem Gedankengang gerissen. Er sah aus als müsse er sich gerade kurz daran erinnern, dass er hier in der Realität war. Dann nickte er langsam und lächelte verlegen. "Ja. Das stimmt." "Was für Fächer magst du besonders?" Isaak wirkte nicht wie ein normaler Zwanzigjähriger, sondern eher wie irgendein Professorendad. "Sport und Englisch. Natürlich sind auch Mathe und Physik interessant, aber um das gescheit beurteilen zu können muss man die Fächer verstehen." Er lachte nervös. Seine Finger spielten mit dem Löffel und er sah niemand direkt an. Seinen einen Ellenbogen hatte er so auf den Tisch gesetzt, dass seine Hand wie zufällig an seinem Hals ruhte. Sie verdeckte aber den Knutschfleck. Wahrscheinlich hatte Kian recht. Der Junge hatte eine Freundin oder zumindest so viele Frauengeschichten, dass er ganz bestimmt kein Interesse an mir hatte. Ich sah aus dem Fenster. Es hatte begonnen zu nieseln. Ich stellte mir vor wie ich zu Hause bei mir auf dem Bett lag, mich an Corbin rankuschelte, seinen Wärme durch sein T-Shirt spürte und wir einfach bloß zusammen dem Geräusch des Regens lauschten. "Was hörst du für Musik?", riss mich Isaak mit einer weiteren Frage aus meinen Fantasien. "Uh..." Corbin atmete aus und strich sich mit der Hand über sein Gesicht. "Die Frage ist kompliziert. Ich höre in gewisser Weise alles. Mal dies, mal jenes. Das kommt auf meine Laune an. Aber Isaak...denkst du wirklich anhand dieser Fragen Lernst du mich näher kennen? Ich mag es nicht über mich zu sprechen..." Isaak sah ihn lange an und Corbin erwiderte seinen Blick. "Du denkt also meine Fragen seien sinnlos?", fragte Isaak gefährlich leise und kniff seine Augen zu Schlitzen zusammen. Corbin zuckte mit den Schultern und stapelte die Zuckerwüfel, die neben seiner Tasse gelegen hatten auf der Tischplatte zu einer mini Pyramide. Dann hob er den Kopf und sah Isaak direkt in die Augen. "Ich für meinen Teil erkenne keinen Sinn daran. Musik sagt nichts über einen Menschen." "Das sehe ich anders! Eine Playlist sagt sehr viel über einen Menschen." Corbin schnalzte abwertend mit der Zunge. "Sie sagt bloß so viel über einen Menschen aus, wie wir hineininterpretieren." Chris hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und verfolgte die Auseinandersetzung grinsend. Er war echt so ein kleiner Sadist. Zum Glück sah ich ihn nicht allzu oft. Isaak atmete genervt aus. Er hatte wirklich einen schlechten Tag gehabt. Das merkte man ihm sofort an. "Okay. Dann stelle ich dir mal andere Fragen, um dich gescheit kennenzulernen." Corbin sah ihn einfach bloß an. Über dem Tisch lag eine Anspannung, die förmlich greifbar war. "Bist du schwul?", fragte Isaak gerade heraus und musterte dabei jede Regung in Corbins Gesicht. Alle sechs Augen waren auf Corbin gerichtet, der bleich geworden war. Ihm war die Situation sichtlich unangenehm. Isaak hatte einen Blick drauf, wie ich ihn mir für einen Polizisten in einem Verhör von einem Schwerverbrecher vorstellte. Ich wollte Corbin hier raushauen, aber zum anderen wollte ich auch um keinen Preis die Antwort verpassen. Corbin ließ seine Hand von seinem Hals und strich sich mit ihr mit gespreizten Fingern durch die Haare. Dann legte er sie wie die andere ruhig auf den Tusch und sah in die Runde. Als er mich ansah senkte ich meinen Blick auf meinen Eisbrecher. Das alles dauerte vielleicht bloß ein paar Sekunden, aber sie kamen mir vor wie Stunden. Dann schloss er seine Augen und lachte. Mir fiel jetzt erst auf, wie schön er war, wenn er lachte. Oder hatte ich ihn bisher noch nie lachen gesehen? Um seine Augen bildete sich ein Fächer aus feinen Fältchen und er zog seine Lippen so zurück, dass man seine ebenmäßigen, weißen Zähne sah. Ich konnte meine Augen nicht von ihm lassen. Wie bekam es das Universum mit so einem perfekten Menschen auf die Reihe? Isaak seufzte genervt. Man merkte ihm an, dass er Corbin nicht mochte. Corbin hörte auf zu lachen. "Als ob jetzt. Das wäre sich eine Verschwendung an die ganzen Mädchen, die ich haben kann." Aou... Das tat weh. Ich sah auf den Tisch. Ließ mir nichts anmerken. Er stand nicht auf Jungs. Na und? Ich hab Null Chancen. Na und? Hatte ich wahrscheinlich nicht einmal, wenn er schwul gewesen wäre. Mein Leben brach dadurch nicht zusammen. Ich atmete tief durch. Chris schnalzte grinsend mit der Zunge. "Das nehm ich dir nicht ab." Corbin sah ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen böse an. "Wieso bist du so geil geworden als ich mit dir rumgemacht hab?" In mir krampfte sich alles zusammen. Hatte ich mich gerade verhört? War etwa von Chris der Knutschfleck?? Corbin starrte ihn mit offenem Mund und großen Augen an. Er war sprachlos. Er war so weiß wie die Wand in seinem Rücken. Er sah von Chris zu Isaak, der ihn bloß mit einem Blick betrachtete, als sei er ein erbärmlicher Arsch, der keine Nettigkeit verdient hatte, dann streifte sein Blick auch mich. Ich wusste nicht wie ich ihn ansah. Vorwurfsvoll, enttäuscht, verletzt. Vielleicht auch alles gleichzeitig. So fühlte ich mich nämlich. Er kramte fünf Euro aus seiner Hosentasche, die viel mehr waren als sein Latte Macchiato kostete, legte sie auf den Tisch, stand auf und ging. Hinter ihm schlug die Türe der Eisdiele zu. Isaak sah ihm kritisch hinterher, griff nach seinem Löffel und aß sein Eis. Chris musste es sich verkneifen in schadenfrohes Gelächter auszubrechen. Ich blitzte ihn wütend an. "Worauf wolltest du gerade hinaus? Was war das für eine Andeutung?" Er sah mich überrascht an. Offensichtlich hatte er nicht mit einer so heftigen Reaktion gerechnet, wenn nicht sogar mit gar keiner. "Wir haben bloß ein wenig rumgemacht. Nichts zum Rumheulen." "Habt ihr ein wenig rumgemacht oder du?" Er sah mich unbeeindruckt von meinem scharfen Ton an. "Ich...", sagte er nach einem kurzen Zögern. "Also ich hab angefangen. Aber er hat sich nicht gewehrt. Das soll doch auch schon was heißen." "Ja." Ein paar Leute drehten sich schon zu uns um. "Oder er war einfach zu perplex, dass du ihn plötzlich angräbst!" Er seufzte gequält und stand auf. Kurz vor der Türe blieb er nochmal stehen und drehte sich zu uns um. "Nur für dich, Bruderherz." Damit verschwand er nach draußen. Ich stütze meinen Kopf in meine Hände. Ich war am Ende. Ich war kurz davor, dass bei mir sämtliche Drähte durchbrannten.

Oh, my life...Donde viven las historias. Descúbrelo ahora