Jonas #44

2.2K 178 2
                                    

Ich schreckte hoch und versuchte total orientierungslos durch die Dunkelheit zu dringen mit den Augen. Ich blinzelte den Schlaf aus den Augen und sah auf die Uhr. 2:49 Uhr. Ich erinnerte mich daran, dass ich in einem P. D. James Roman gelesen, dass zwischen drei und fünf Uhr morgens die meisten Menschen ums Leben kamen. Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich griff nach meinem Handy, das nervtötend klingelte und wahrscheinlich der Grund war weswegen ich aus dem Schlaf geschreckt war. Gerade als ich es in die Hand nahm; mir kam alles vor wie ein Déjà-vu; verstummte es. Ich ließ mich wieder ins Kissen fallen, immer noch mit meinem Handy in der Hand und seufzte. Ich hatte so lange gebraucht, um einzuschlafen, zu viele Gedanken waren in meinem Kopf gewesen und zu viele Möglichkeiten und jetzt war ich wieder hellwach. Beinahe fiel ich aus dem Bett, als es wieder klingelte. Ich sah auf den Display. Corbin. Mein Herzschlag schien ins Stolpern zu geraten und ich setzte mich auf, lehnte mich an die Wand und sah zuerst bloß auf den Display, der immer noch blinkte. Ich seufzte und nahm den Anruf an. Das einzige was ich heraus bekam war ein verschlafenes, unverständliches Brummen. "Es tut mir Leid." Er redete zu laut und lallte. Alles kam mir vor wie ein trauriges, alles erstickendes Déjà-vu, das aus der Vergangenheit mit nebligen Fingern nach mir griff. Ich merkte wie eine ungewohnte Kälte über meine Haut kroch und mich zittern ließ. Es schien als liefe ein Riss durch mein Leben und dieser Riss klaffte immer weiter auf. "Corbin...", hörte ich aus meinem Mund. Es wirkte so weit entfernt. "Ich war so ein Idiot und..." Ich hörte aus seiner heraus, wie aufgelöst er war und mir kam es vor, als könnte ich seinen Alkoholatem riechen. "Corbin!", unterbrach ich ihn und seine Worte schienen ins Bodenlose zu fallen. "Ich komme vorbei. Ich bin in zehn Minuten da." Schweigen vom anderem Ende der Leitung. Ich war mir nicht sicher, ob er noch dran war, dennoch fügte ich noch "Mach bis dorthin nichts Dummes." Ich legte auf, schlug die Bettdecke zurück und schlüpfte aus dem Bett. Ich zog mir meine Jeans über die Boxershorts, lief die Treppe herunter und zog schnell meine Schuhe an. Kurz verharrte mein Finger vor dem kühlen Metall des Autoschlüssels, besonders da Isaak sein Auto wichtiger war, als so ein Typ wie Corbin, von dem er sowieso nichts hielt. Aber mir war es den Ärger wert. Entschlossen griff ich nach dem Schlüssel und einer Jacke, die ich über meine Arme zog, während ich auf sein Auto zueilte. Ich war erst ein paar Mal mit Kian an meiner Seite auf einem Feldweg gefahren und bildete mir nicht ein, dass ich es auch bloß annähernd beherrschte, aber gut genug, um zu ihm zu gelangen. Der Stoff des Sitzes schmiegte sich kühl an meinen Rücken und ich würgte gefühlte tausend Mal das Auto ab, bevor der Motor endlich schnurrend anfing regelmäßig zu laufen. Ich schickte ein Stoßgebet in Richtung Himmel, auch wenn ich überzeugter Atheist war und machte mich daran auszuparken. Es war eine simple Parklücke und dennoch hatte ich das Gefühl, dass ich nicht mit den zehn Minuten recht hatte, die ich Corbin gesagt hatte, wie lange ich bräuchte. Es war dunkel und das milchige Licht der Straßenlaternen ließ alles kränklich und orange wirken. Ich genoss es hinter dem Steuer zu sitzen, aber es war dennoch ein ungewohntes Gefühl. Wenigstens waren keine Autos auf der Straße und die meisten Ampeln waren ausgeschalten, so dass ich nicht oft die Chance bekam stehen zu bleiben oder sonst irgendwie einen Unfall zu bauen. Ich atmete erleichtert aus als ich endlich in seine Straße bog und stellte das Auto kriminell beinahe mitten auf die Straße. Zwar kamen die anderen Autos noch vorbei, aber eigentlich sollte man wirklich nicht so parken. Aber es war mir egal und ich wusste, dass alles mir egal war, bis auf diesen Jungen, der mich mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt hatte. Ich hatte so Angst, davor was ich vorfinden könnte, dass mir die Knie zitierten als ich ausstieg, die Türe hinter mir ins Schloss warf, das Auto abschloss und über die Straße auf die beinahe im Dunkeln liegenden Türe zuging. Sie war offen und ich drückte sie auf. Ich wusste, dass ich vor ein paar Minuten erst noch in meinem Bett gelegen hatte und seine Stimme gehört hatte, aber ich wusste auch, wie lange manchmal fünfzehn Minuten sein können. Ich versuchte die Bilder, die sich in meinem Kopf drängten, wegzuschieben, aber sie hinterließen Schatten, die meine Furcht vor dem, was mich erwartete ins Unendliche steigerten. Ich klopfte vorsichtig an der Türe hinter der es so furchteinflößend still war. Kein Geräusch, keine Reaktion. Meine Haut zog sich zusammen und ich drückte vorsichtig die Türklinke herunter. Die Türe schwang nach innen auf und mir wurde schwindelig. Die Stille und die Dunkelheit schlugen mir wie eine Wand entgegen. Mir stieg der Geruch von Alkohol in die Nase, der sich mit etwas Metallischem und Erdigem mischte. Mir wurde schlecht und am liebsten wäre ich wieder gegangen. Ich wollte nicht, dass es nach Blut roch und dennoch konnte man es nicht leugnen. Ich schlüpfte durch den Spalt und schob die Türe hinter mir leise ins Schloss. Meine Augen hatten sich schon an das Licht gewöhnt und ich erkannte die Schemen der Möbel und meine Schritte kamen mir zu laut in der Stille vor. Das Wohnzimmer sah leer aus. Ich drehte mich einmal im Kreis, damit ich nichts übersah. Als ich ihn entdeckte zuckte ich erschrocken zusammen. Schnell eilte ich auf ihn zu. Er saß auf dem Boden an der Wand gelehnt und es wirkte als schliefe er. Ich ließ mich neben ihm auf die Knie fallen und spürte wie meine Jeans sich mit einer Flüssigkeit vollsog, die eine Pfütze auf dem hellen Parkett bildete. "Corbin?" Meine Stimme klang ungewohnt brüchig. Tränen stiegen meine Kehle hoch. Ich traute mich nicht an der Flüssigkeit zu riechen. Zu groß war die Angst, dass es Blut war. Und halb war ich erleichtert, halb verärgert darüber, dass ich nicht daran gedacht hatte, das Licht anzuschalten. Seine Augenlider gingen flatternd auf und beinahe hätte ich vor Erleichterung schreien mögen. Sie wirkten glasig und beinahe als hätte er Fieber, doch er war mehr oder weniger bei Bewusstsein. Er hob seine Hand und legte sie an meine Wange. Sie fühlte sich so sanft und verletzlich an, dass ich die Tränen herunter schlucken musste. Es fühlte sich an als würde sie eine kühle Spur hinterlassen und mir wurde klar, dass es eine Flüssigkeit war. Ich griff vorsichtig nach ihr. In der Innenseite zog sich ein Schnitt entlang, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. "Was hast du da getan?" "Ist das ein Traum?", fragte er mit weggetretener Stimme, er lallte immer noch, und ich fragte mich, ob meine Worte überhaupt zu ihm durchdrangen. Ich ließ meinen Bluck über den Boden schweifen. Die Flüssigkeit schien zu hell und zu dünnflüssig für Blut. Ich zwang mich dazu meinen Finger hineinzutunken und an ihm zu riechen. Alkohol biss mir in die Nase und ich war so unendlich erleichtert. Etwas brach das Licht und schimmerte leicht in dem dämmrigen Raum. Es war eine Scherbe, bloß eine von vielen und ich betete dafür, dass die Scherben der Grund für den Schnitt waren. "Corbin. Du musst aufstehen.", versuchte ich es noch einmal ruhig und gleichzeitig eindringlich. Er zeigte nicht, dass er mich gehört hatte, sondern lehnte seinen Kopf wieder gegen die Wand, in seinem Rücken. Seufzend stand ich auf und suchte erst einmal ein Tuch um den Alkohol aufzuwischen und einen Verband. Das erste fand ich im Becken, der Küche, das andere in einem Schrank im Bad. Ich kniete mich wieder neben ihn und nahm vorsichtig wieder seine Hand in meine. Es kam mir so bizarr vor, hier in seiner Wohnung um diese Uhrzeit zu sein und ihn zu verarzten. Aber es war besser als der Streit, das Missverständnis und die Ungewissheit, die damit entstanden war, wie es weiter gehen sollte. Ich schlang den Verband so gut es ging um seine Hand und versuchte nicht so viel Druck auszuüben, dass es ihm wehtat. Durch den Alkohol müsste es eigentlich desinfiziert sein. Als der Schnitt behandelt war, wischte ich den Alkohol auf und gab mehr Acht darauf mich nicht zu schneiden. Betrunken versuchen Scherben aufzusammeln konnte ja bloß schief gehen. Nachdem jede Scherbe weg war und von dem Alkohol nichts geblieben war, als der schwere Gerucht, der die Luft tränkte, schob ich meinen Arm hinter seinen Rücken und half ihm dabei aufzustehen. Als sein Gesicht von dem Licht der Straßenlaterne gestreift wurde, erschrack ich mich darüber wie bleich es war. Seine Augen waren rot gerändert und er sah so mitleiderregend aus, dass ich ihn am liebsten einfach bloß umarmt hätte. Stattdessen musste ich meine ganze Kraft darauf verwenden uns beide aufrecht zu halten und nicht gegen irgendwelche Möbel zu laufen. Ih machte einen vorsichtigen Schritt, als nichts passierte, legte ich eine kleine Pause ein und versuchte mich dann mit noch einem kleinen Schritt. Es war eher so, dass ich ihn hinter mir her schleifte, als dass ich ihn bloß stützte. Er konnte sich nicht einmal mehr auf seinen eigenen Beinen halten und sein Zustand schnürte mir die Brust zusammen. Ich wusste, dass ich daran nicht ganz unschuldig war und das machte mich verrückt. Pause, Schritt, Pause... Wir waren gerade einmal knapp zwei Meter des Wohnzimmers durchquert als meine Beine nachgaben, ich war immer noch etwas schlaftrunken und seine Muskeln wogen verdammt schwer auf meinen schmalen Schultern und wir stürzten, wahrscheinlich wenig elegant auf den Parkettboden. Er stöhnte protstierend auf, schloss die Augen und rollte sich auf der Seite liegend zusammen. Ich hievte mich wieder auf und wusch den Lumpen aus, bevor ich vor der Frage stand , was ich mit Corbin machen sollte. Ich konnte ihn ja schwer zu seinem Bett tragen. Schlussendlich holte ich die Decke und zwei Kissen aus seinem Zimmer, zog ihm die Hose aus, die an der Rückseite seines Oberschenkels durchtränkt von Alkohol war und legte sie fein säuberlich zusammen, bevor ich die Rollläden herunter ließ, meine eigene Jeans auszog und mich neben ihn auf den Boden setzte. Beinahe sah er friedlich aus, wie er dort lag und schlief. Und es jagte mir Angst ein wie wenig ich wusste. Er hatte mir von seiner Vergangenheit erzählt, aber nichts von dem was hinter seiner Stirn vorging. Vielleicht wollte er sterben und ich ahnte nicht einmal etwas. Ich strich ihn eine Strähne aus der Stirn und schob eins der Kissen unter seinen Kopf. Ich breitete die Decke über uns, legte das andere Kissen unter meinen Kopf und kuschelte mich an ihn. Es war überraschend bequem im Moment , auch wenn wir wenn wir wieder aufwachen wahrscheinlich Rückenschmerzen des Todes haben würden. Beinahe konnte ich mir einbilden es sei nie etwas passiert, wir hätten nie so eine dumme Situation erlebt, ich wäre nie so scheiße zu ihm am Telefon gewesen und er hätte mich nicht mitten in der Nacht betrunken angerufen. Beinahe war alles gut und ohne komplizierte Missverständnisse. Beinahe war ich nicht mehr verärgert und einfach bloß froh an seiner Seite zu sein. Beinahe hätte ich ihn wieder aufgeweckt, ihn geküsst, ihm gesagt wie sehr ich ihn liebte und dass wir doch diesen Schwachsinn einfach vergessen sollten. Aber stattdessen schmiegte ich meine Wange in das Kissen und versuchte einzuschlafen.

Oh, my life...Where stories live. Discover now