Corbin #44

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Mein Kopf dröhnte, in meinem Mund war ein Geschmack, als sei etwas darin gestorben und mein Rücken schmerzte, als hätte jemand aus Versehen etwas drauf fallen lassen, etwas sehr Schweres. Ich bildete mir ein, dass mir sein Geruch in der Nase lag und sich jemand an mich kuschelte, aber wahrscheinlich bildete ich es mir bloß ein. Es fühlte sich an als hätte mein Körper jede Kraft sich zu bewegen verlassen. Am liebsten hätte ich mich einfach auf die Seite gedreht und weiter geschlafen. Über nichts nachdenken müssen... Stattdessen hörte ich einen zweiten Atem neben mir und ich hatte keine Lust darauf, mir irgendetwas einzubilden, bloß weil es mir leidtat und ich ein schlechtes Gewissen hatte. Jetzt wurde ich auch noch paranoid. Ich schlug meine Augen auf und sah zu der weißen Decke des Wohnzimmers. Meine Kopfschmerzen begannen durch das Licht, das durch die Spalten der Rollläden, noch stärker gegen meinen Kopf zu hämmern. "Du bist wach.", hörte ich seine Stimme sagen und fuhr mit seiner Fingerkuppe über meine Wange. "Du bist hier.", stellte ich etwas überrascht fest. Wieso war er hier? Hatten wir Sex gehabt? Hatten wir geredet? Hatten wir uns vertragen? Er legte sein Kinn auf meine Brust und lächelte mich strahlend an. "Du hast mich heute angerufen und ich bin her gekommen." Ich setzte mich auf und verschränkte meine Beine zum Schneidersitz, während er seinen Kopf auf seinen Arm stützte. "Wann war das?" "Kurz vor drei." Ich schloss meine Augen und atmete tief ein. Durch das Aufsetzen, fühlte sich mein Kopf an, als würde ein schmerzhaftes Feuerwerk hinter meinen Augen explodieren. "Und ich...?" "Du warst betrunken und saßt im Dunkeln." Darauf dass ich betrunken gewesen war, hätte ich auch so kommen können. "Und wieso bist du gekommen?" Jonas seufzte und stand auf. Er schnappte sich seine Hose und zog sie sich an. "Darf ich ein Oberteil von dir anziehen?", fragte er und strich sich ein paar Strähnen aus der Stirn, ohne weiter auf meine Frage einzugehen. Wieso hatten wir eigentlich auf dem Boden geschlafen? Noch als sich die ganzen Fragen in meinem Kopf formten und ich noch gar nicht über die Antwort auf seine nachgedacht hatte, schritt er schon auf die Türe meines Schlafzimmers zu und drückte sie auf. Er verschwand in dem Zimmer und ich zwang mich dazu selbst aufzustehen. Die Decke fiel leise raschelnd zu Boden vor meine nackten Füße. Er kam schneller als ich gedacht hatte wieder aus meinem Zimmer und trug ein graues T-Shirt, das ihm viel zu groß war. Es war eins meiner Lieblings'-T-Shirts, das ich jedoch viel zu selten trug. Er lächelte, als er mich etwas unschlüssig in Boxershorts und Longsleeve dort stehen sah. Es wirkte nicht so, als sei irgendetwas zwischen uns noch ungeklärt. Hatten wir gestern geredet? Mir rieselte eine leichte Gänsehaut über die Wirbelsäule, in Anbetracht der Tatsache, dass ich mich an nichts erinnerte. Ging er davon aus, dass ich mich erinnerte? "Du gehst jetzt erst Mal duschen.", sagte er bestimmt, immer noch mit dem sanften Lächeln auf seinen Lippen und ich fragte mich, ob ich ihn küssen dürfte. Doch statt es auszuprobieren nickte ich und tapste ins Bad. Mir war immer noch schlecht und mein Kopf fühlte sich immer noch an, als hätte jemand darauf geschlagen. Ich fühlte mich ganz benommen. Als das warme Wasser schon an meiner Haut herunter lief und ich langsam begann mich ein wenig zu entspannen und klarer im Kopf zu fühlen, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, frische Kleider aus meinem Schrank zu holen. Ich seufzte und strich mir ein paar feuchte Strähnen aus der Stirn. Wie hielt er es mit mir aus? Wenn ich mich um drei Uhr morgens angerufen hätte, wäre ich sauer gewesen und nicht vorbei gekommen, um mich um mich zu kümmern. Ich versuchte nicht zu viel zu denken oder zu viele komplizierte Sätze zu formulieren, da mein Kopf davon bloß noch mehr dröhnte und ich mich nicht mehr darauf konzentrieren konnte, kein Shampoo in die Augen zu bekommen. Die Scheiben waren beschlagen, als ich sie aufschob und mich in ein Handtuch wickelte. Ich hatte vergessen die Heizung aufzudrehen und die Kälte kroch über meine Haut. Ich riss kurzerhand das Fenster auf und stellte mich vor den Spiegel, mit dem Handtuch um die Hüfte. Es fühlte sich an, als würde die Kälte durch alle Poren in meinen Körper kriechen und mich rein waschen. Tiefer als es Wasser jemals hinbekommen könnte. Mir klapperten zwar die Zähne, während ich mir den schalen Geschmack von Alkohol aus dem Mund schrubbte, aber das reine Gefühl, das sich über meine Haut breitete und bis tief in mein Inneres zu dringen schien und meine Gedanken wieder klarer machte, war es wert. Als mein Atem nach Pfefferminze roch und ich das Gefühl hatte, meine Zehen, Finger und Lippen würden in den nächsten paar Momenten absterben, machte ich die Badtüre leise einen Spalt breit auf und lugte heraus. Er stand mit dem Rücken zu mir und werkelte an irgendetwas herum. Schnell huschte ich in mein Zimmer. Zwar hatte er meinen Oberkörper schon ein paar Mal gesehen, aber man musste es ja nicht übertreiben. Ich krustelte etwas Sauberes zum Anziehen aus den Tiefen meines Schrankes und zog es mir über den Kopf und über meine frischen Boxershorts. Barfuß ging ich in die Küche, stützte mich mit meinen Ellenbögen auf die Arbeitsfläche und beobachtete ihn. Er hatte sich die Schürze umgebunden und sah wirklich niedlich aus. "Wie geht es dir?", fragte er geschäftig und seine Wangen hatten einen Hauch von Rosa. "Naja... Ein wenig besser." Natürlich war das Übelkeitsgefühl und die Kopfschmerzen durch eine Dusche und frische Luft nicht weg, aber es war um einiges besser geworden. "Hast du Hunger?" Ich spielte mit einer Gabel, die schon seit wer weiß wann dort lag. "Nein. Nicht wirklich." Mein Magen strafte mich Lügen, als er laut knurrte. Er lächelte nachsichtig und ich erhaschte einen Blick auf die Pfanne. "Rührei.", sagte er erklärend und suchte zwei Teller heraus. Als er sich nach ihnen streckte, musste er sich auf die Zehenspitzen stellen und obwohl das T-Shirt ihm zu groß war, rutschte es so hoch, dass man seine beinahe Porzellan blasse Haut sehen konnte. Er teilte das Ei auf zwei der grünen Teller auf und drückte mir beide mit zwei Gabeln in die Hand. "Zum Tisch tragen.", sagte er in befehlerischem Ton, während er schon wieder weiter nach irgendetwas anderes kramte.  Ich seufzte mit einem Lächeln auf den Lippen und trug die Teller zum Tisch. Beinahe hätte ich es vergessen können, dass wir uns gestritten hatten oder wie man das auch immer nennen wollte. Ich ließ mich auf den Stuhl fallen, vor mir den Teller, von dem mir der leckere Geruch in die Nase stieg und ich sah auf den Rücken von Jonas, der gerade mit seinen schlanken, zarten Fingern, die Schleife der Schürze löste. Er hängte sie an einen Griff an einem Hängeschrank und kam mit einer Tasse in je einer Hand zu mir. Er stellte einen Kaffee vor mich, der so schwarz aussah und so stark roch, dass ich ihn am liebsten gefragt hätte, ob er mich vergiften wolle. Auf der Untertasse lagen zwei weiße, flache Tabletten. Seine Tasse roch nach Schwarztee. Ich schnappte mir die zwei Tabletten und spülte sie mit einem Schluck kochend heißem Kaffee herunter, an dem ich mir prompt meine Lippen und meine Zunge verbrannte. Ich spürte seinen Blick auf mir und stellte die Tasse ab. "Iss. Es ist immerhin schon fast zwei Uhr.", sagte er und sah mich eindringlich an. Zum ersten Mal seit langem ließ ich mir das nicht zwei Mal sagen und schnappte mir meine Gabel. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und seine Augen wirkten dunkler und sein Gesicht strenger. Sogar die Farbe seiner Haare sah verblichener aus. "Ich denke wir müssen reden." Ich sah aus dem Fenster und tat so, als habe ich ihn nicht gehört. "Corbin. Stell dich nicht taub." Sein Blick haftete an mir und es fühlte sich an, als könnte ich die Kühle, die darin lag auf meiner Haut spüren. "Was willst du hören? Ich war ein Idiot und hab mich auch so benommen. Zufrieden?" Er zog eine Augenbraue hoch, während ich in meinem Rührei herum stocherte. "Du weißt, dass ich meinte, dass wir miteinander reden sollten? Du bist nicht als einziger Schuld." Ich strich mir ein paar Strähnen aus der Stirn und schwieg. Er seufzte und griff zum ersten Mal nach seiner Gabel. "Ich liebe dich, Corbin." Es war kaum mehr als ein Flüstern, das sich über meine Haut zu meinen Ohren schlängelte und meine Augen brennen ließ. Ich spürte einen Kloß in meinem Hals und senkte meinen Kopf, damit er mir die Gefühle nicht ansehen konnte. Die ganzen Emotionen und Gedanken, die ich gestern versucht hatte in dem Alkohol zu ersticken, hämmerten gegen die Wände ihres Gefängnisses und es kam mir vor als schrien sie lauter als je zuvor. Am liebsten hätte ich mich dem schwarzen Loch, dass sich in meiner Brust geöffnet hatte und in dem sich alles rasend schnell zu drehen schien, immer um denselben Inhalt, aber nie zu einer Lösung kommend, entzogen und einfach geweint. Mich in seine Arme geschmissen und alles heraus gelassen, was schon viel zu lange irgendwo in eine dunkle Schublade in meinem Kopf gesperrt worden war. "Ich hätte niemals denken dürfen, dass du..." Mir fehlten die Worte und ich hoffte, dass er die miteinander kämpfenden Gefühle nicht aus meiner Stimme heraus hören konnte. "Ich weiß." Ich spürte seine Hand wie einen leichten, lauwarmen Windhauch an einem Sommerabend auf meinem Arm und der Drang zu weinen wurde immer stärker. Ich biss mir auf die Lippe und starrte weiter auf den kleinen schwarzen Fleck am Rand meines Tellers. Das Gefühl, das in meiner Brust verkeilt zu sein schien und mir das Atmen schwer machte, war eine Mischung aus einer unendlichen Traurigkeit und einem Kribbeln als würden tausende von Blumen vorsichtig ihre Blätter entfalten und mich von innen kitzeln. Es schien wie eine bizarre Mischung aus ungeheurem Glück und bodenloser Trauer. "Und ich hätte niemals so reagieren dürfen. Es tut mir leid. Ich hatte mich in dem Moment bloß so erschreckt gehabt, aber ich hätte dir zeigen müssen, dass ich trotz allem an deiner Seite stehe..." Ich starrte immer noch auf den Punkt. Ich hatte seine Worte mitbekommen, sie waren tief in mein Bewusstsein eingedrungen und fühlten sich ein wenig wie warme Decke und eine Tasse Tee an. Beruhigend und heimelig. Seine Arme schlangen sich um mich und ich bemerkte, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass er aufgestanden war. Ich spürte seinen Atem durch mein Oberteil an meinem Schlüsselbein und kurz darauf seine Lippen, die so weich und zart wie Rosenblätter zu sein schienen, auf meinen und in dem Moment wusste ich, dass ich nach Hause gekommen war.

Oh, my life...Where stories live. Discover now