Jonas #9

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Mir gegenüber saß Kian, am Wohnzimmertisch. Er trug rote Boxershorts auf denen abgerissene, grüne Zombiegliedmaßen in einer rosa Suppe schwammen, was anscheinend Blut darstellen sollte und ein graues, schlichtes T-Shirt mit Flecken anhatte. Er stocherte in seinem Salat um. Als ich die Haustüre aufgeschlossen hatte, mit dem Schüssel den ich zum Glück heute dabei gehabt hatte, und ins Wohnzimmer gegangen war, saß er auf dem Sofa, zockte irgendein Spiel, in dem man als Werwolf irgendwelche mit Muskeln vollgepackte in Rüstungen gesteckten Typies mit einer Pranke eine überzuziehen musste und hatte eine ganze Kanne Kaffee getrunken. Ich hatte Salat gemacht, weil irgendjemand verpeilt hatte einzukaufen und das das einzige war, was man aus den Sachen machen konnte die im Kühlschrank waren. "Können wir nicht einfach zocken und Chips essen? Wieso Salat? Wir sind doch keine Kaninchen. Wenn ich Grünzeug haben will, gehe ich in den Wald und setze mich auf eine Wiese." Ich sah ihn verärgert über die Brille, die ich zu Hause statt den Kontaktlinsen trug, hinweg an. "Halt deine Klappe und iss!"

Er sah mich kurz überrascht an und stand dann auf. Er kam mit einer Essigflasche zurück, um seinen Salat darin zu ertränken. "Dann kann man es wenigstens ein wenig genießen.", sagte er erklärend und setzte sich wieder hin. "Und jetzt sag mal. Was war so scheiße in der Schule, dass du so bist?"

Ich spürte wie ich rot anlief und senkte schnell meinen Kopf. Ich musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er die Stirn runzelte. Ich kannte ihn schon von allen aus der WG am längsten. Er war perfekt dafür mit ihm über sinnlose Sachen zu diskutieren, Scheiße zu bauen und sich Tipps dazu einzuholen, wie man die Person, die man liebte am besten vergraulte. Das war auch der Grund dafür, weshalb ich zögerte ihm von dem Kuss zu erzählen. Zum Anderen wollte ich aber auch nicht darüber sprechen. Es war der Kuss zwischen mir und Corbin gewesen. Er gehörte ganz uns beiden und war für das warme Gefühl in meinem Bauch verantwortlich. Wenn ich es Kian erzählen würde, wäre es nichts mehr zwischen uns zwei. "Komm schon. Erzähl!", drängte er mich und rührte in der Essigsuppe herum, in der ein paar Salatblätter schwammen. Er stützte seinen Ellenbogen auf die Tischplatte, legte sein Kinn auf seine Hand und sah mich auffordernd an. "Hab ich dir mal von Corbin erzählt?"

Er schüttelte den Kopf. "Du hast mir noch nichts von ihm erzählt. Aber ich habe von ihm gehört. Und ich war mal auf einem Basketballspiel, bei dem er gegen eine andere Schule gespielt hat. Er ist echt ein Ass. Er hat die drei Würfe geworfen, die das gesamte Spiel gewendet haben... Oh und er hat einen netten Hintern." Er grinste und eine Augen leuchteten wie immer, wenn er von Sport redete. Sie leuchteten dann mehr als sie jemals geleuchtet hatten, wenn er von einer seiner Beziehungen redete, die nicht länger als höchstens zwei Monate hielten, in denen er sich jedoch einredete er habe endlich 'dieeine' gefunden.

"Wenn du weißt wie er aussieht, kannst du dir vielleicht vorstellen, dass er der Schwarm aller Mädchen ist.", fuhr ich fort. Er runzelte wieder die Stirn. "Worauf willst du hinaus, Zwerg?" Bei ihm war das Wort Zwergnett gemeint, trotzdem zuckte ich unwillkürlich zusammen. Er bemerkte es und die Falten auf seiner Stirn wurden noch tiefer. Aber bevor er eine Frage stellen konnte, begann ich meinen nächsten Satz. "Ich habe ihn heute geküsst...", sagte ich mit gesenktem Kopf. Als er jedoch für seine Verhältnisse viel zu lange schwieg, sah ich ihn an. Hatte er es nicht gehört? Er starrte mich jedoch fassungslos an. "Was willst du damit sagen? Jonas! Du hast dich nicht ernsthaft in Corbin verguckt? Das ist chancenlos! Als würde jemand wie Corbin, der alle Mädchen, die er haben will kriegt, sich ausgerechnet in einen Jungen verlieben!"

Daran hatte ich eigentlich auch mir schon so lange den Kopf zerbrochen gehabt. "Und wieso hatte er noch nie eine Freundin?" Er lachte. "Er hatte hundertprozentig schon mal eine Freundin! Und hat wahrscheinlich immer noch eine. Er ist halt niemand, der sich daran aufgeilt, dass er vergeben ist!"

"Und wieso hat er zurückgeküsst? Und meine Nummer genommen?", fragte ich und hängte mich damit an die letzte Hoffnung, die ich noch hatte.

Er zischte abwertend durch die Zähne. "Jonas...", sagte er aber sanft. "Mach dir keine falschen Hoffnungen. Das ist doch Tagträumerei."

"Ich gebe jetzt ganz bestimmt nicht auf. Ich weiß doch selbst, dass es beinahe aussichtslos ist, aber was ist, wenn ich eine Chance hätteund jetzt aufgäbe? Dann hätte ich die Chance vertan glücklich zu werden."

Er fuhr sich seufzend durch die Haare. "Und was ist, wenn du Null Chancen hast? Dann machst du dir nur falsche Hoffnungen und wirst am Ende verletzt." Ich sah ihm in die Augen. Er sah weg. "Dann werde ich es halt. Wenigstens kann ich im Nachhinein dann sagen, dass ich es probiert habe und nicht einfach kampflos aufgegeben habe!"

Er schüttelte resigniert den Kopf. "Du bist so naiv... Du bist deswegen schon so oft auf die Fresse gefallen und du gibst immer noch nicht auf." "Vielleicht ist genau das bei dir das Problem. Du gibst zu schnell auf."

Er sah mich zerknirscht an, stand auf und kippte den Rest seines Salats in den Müll. Ich lächelte ihn an. "Ich bin gerade zu glücklich, um mich jetzt mit dir zu streiten." "Ja, genieß es noch so lange du kannst." Er setzte sich auf den Sofa und schaltete wieder die Konsole und den Fernseher an. "Kannst du dich nicht einfach mal für mich freuen?" Er ließ den Blick auf dem Fernseher ruhen und drückte auf den Knöpfen rum, um irgendetwas an der Rüstung, seiner Bestie zu ändern. Aber er lächelte schwach. "Ich freue mich doch. Ich versuche bloß dir keine falschen Hoffnungen zu machen und realistisch zu sein."

"Du bist nicht realistisch. Du bist pessimistisch.", verbesserte ich ihn. Wieso war er so ein Schwarzseher? Dachte er, ich sei im Kopf noch nicht alle Möglichkeiten und die Wahrscheinlichkeit davon durchgegangen?

Er lächelte mich schwach an. "Viel Glück, du hoffnungsloser Fall."

Oh, my life...Where stories live. Discover now