Corbin #8

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Ich hatte immer noch das Gefühl von seinen Lippen auf meinen. Mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen und ich hatte das Gefühl meinen Kaffee sofort wieder zu erbrechen.

"Du hast zurückgeküsst.", stellte er sachlich fest. Ich schwieg und sah mich verzweifelt um. Was wenn uns jemand gesehen hatte? Wie konnte etwas, das sich so gut anfühlte so falsch sein?

"Keine Sorgen. Uns hat niemand gesehen." Ich ging gar nicht auf seine Behauptung ein. "Ich weiß ja nicht einmal wie du heißt.", presste ich mühsam heraus. Wieso fiel es plötzlich so schwer zu sprechen? Er senkte den Kopf und sah auf seine Finger. Er sah so verletzlich aus... "Und trotzdem hast du zurückgeküsst."

Ich sah ihn kalt an. "Nichts worauf ich stolz bin." Diesmal bekam ich es hin, dass meine Stimme ruhig klang. Ruhig und distanziert.

Er schwieg und sah mir in die Augen. "Ich heiße Jonas. Falls uns jemand doch gesehen haben sollte, sagen wir einfach, dass ich dich geküsst habe und lassen das mit dem Zurückküssen einfach weg. Dann steh nur ich als Schwuchtel da und du hast was worüber du dich auslassen kannst."

"Du denkst also, dass ich so jemand bin? Jemand, der Gerüchte über jemand verbreitet und jemand einen Arschtritt verpasste, bloß weil er einen küsst, der dasselbe Geschlecht hat? Nein. Wir behaupten das ganz sicher nicht!"

Er sah mich überrascht an.

"Ach. Gehen wir in den Unterricht.", sagte ich verärgert und ging vor. Kurz darauf war er neben mir. Er hatte seinen Rucksack an seine Brust gedrückt, als sei er ein Schutzschild. Er sah mich nicht an. Lief bloß neben mir her. Ein wenig außer Atem, weil er wahrscheinlich gejoggt war, um neben mir laufenzukönnen. "Ich hätte hier noch etwas für dich.", sagte er zögernd, fuhr mit einer Hand durch seine Haare, während seine andere in den Tiefen seiner Hosentasche verschwand. Er drückte mir einen zerknitterten Papierfetzen in die Hand, auf dem etwas mit Füller geschrieben und ein wenig verwischt war. "Hoffentlich kannst du alles lesen." Er steckte seine andere Hand in die andere Hosentasche und sah bloß geradeaus den Gang entlang, den wir zusammen entlang gingen. Ich sah auf den Zettel. Jonasstand dort und darunter eine Reihenfolge von Zahlen. Ich brauchte einen Augenblick, um zu schalten, dass dort seine Handynummer stand. Obwohl ich solche Zettel schon so oft gesehen hatte, war es mit dem hier etwas anderes. Bei ihm begann mein Herz schneller zu schlagen und ich dachte an das Feuerwerk, das in meinem Inneren gewütet hatte, als er mich geküsst hatte. Gerade wollte ich etwas zu ihn sagen, als er schon durch die Türe geschlüpft war, sich bei unserem Musiklehrer entschuldigt hatte und sich in die erste Reihe setzte, die bis auf einen anderen Schüler leer war. Ich fand aber noch einen Platz in der dritten und ließ mich seufzend auf den Stuhl nieder.

Mein Leben war eindeutig vollkommen am Arsch. Ich faltete den Zettel, den ich bis jetzt krampfhaft in meiner einen Hand festgehalten hatte, sorgfältig zusammen und klemmte ihn mir zwischen den Bund meiner Boxershorts und meiner Jeans. Wenn er noch da war, wenn ich nach den verbliebenen vier Stunden noch dort war, würde ich mich melden. Wenn nicht würde ich alles vergessen was passiert war und wie er hieß und dass er überhaupt existierte.

*****

Ich schloss meine Wohnungstür auf. Mein Kater, Tatze, kam mir entgegen gehechtet, als er das Asiafutter in meiner Hand roch. Ich sollte eindeutig langsam lernen zu kochen. Und zwar mehr als Suppe und Nudeln zu denen ich dann keine Soße zustande brachte. Das Essen bei den Fast Food Ketten war einfach zu teuer, für mein spärliches Einkommen. Es  reichte ja gerade mal für die Miete der Wohnung knapp. Auf das Training freute ich mich nach Chris' Drohung auch nicht mehr. Da erinnerte ich mich an den Zettel. Ich hängte meinen Hausschlüssel an das Brett für meine Schlüssel und stellte die Tüte, aus der es so gut duftete auf den Esstisch. Ich ließ mir Zeit damit zu schauen, ob der Zettel noch da war. Der Nervenkitzel, die Vorahnung, die Angst waren doch immer das Tollste an so was. Auch an Geschenken. Ich tastete nach dem Zettel. Ich spürte etwas, das raschelte, wenn ich dagegegnstieß. Ich hatte ihn noch. Erleichterung durchflutete mich. Wieso war ich so froh, dass ich sie noch hatte? Was war falsch mit mir? Hatten mich meine Eltern mal auf den Kopf fallen lassen oder so? Wieso verdammt, bedeutete mir ein Zettel mit ein paar Zahlen drauf so viel? Er war doch nur von ihm.

Er... Jonas... Was sollte das werden? Er hatte mich geküsst. Und es hatte sich gut angefühlt. Und ich hasste mich dafür. Mir war schlecht und mir stiegen die Tränen in die Augen. Wieso musste alles so kompliziert sein? Wieso musste alles immer so wehtun? Egal, wie schön es einmal am Anfang gewesen war, es tat irgendwann immer weh. Egal, wieviel Mühe man sich gab, wieviel man hineinsteckte und wieviel man opferte, am Ende wurde man verletzt und gab dich selbst die Schuld...

Ich ließ die Tüte vom Asiaten einfach auf dem Tisch stehen und setzte mich auf den Sofa. Ich wusste, dass ich heute nachdenken würde. Viel zu viel.

Ich holte meinen Laptop, klappte ihn auf und ließ ihn hochfahren, während der Fernseher lief und ich die Nummer von Jonas in mein Handy einspeicherte. Ich legte Needtobevon "Memphismayfire" als Klingelton an. Irgendwie fand ich den Songtext passend, auch wenn es mich ärgerte. Ich brauchte ihn ganz bestimmt nicht, um zu sein... Danach legte ich mein Handy weg und öffnete am Laptop Tumblr. Nicht dass ich noch auf eine dumme Idee kam, wie ihn anzuschreiben. Ich konnte mir sowieso nicht vorstellen, dass er jetzt unentwegt vor dem Handy saß und darauf wartete, dass ich meldete. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich irgendjemand besonderes in seinem Leben darstellten Ich hatte bestimmt keinen höheren Stellenwert als andere Jungs. War schließlich bloß ich. Niemand besonderes.

Oh, my life...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt