Ich musste weg

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"Friss, Salir, oder du wirst zu den Schwächeren gehören. Im wahren Leben werden die Schwächeren immer getötet.", knurrte mein Vater, als ich 'Wettstarren' mit meinem ausgekotzten Brei machte.
Im Augenwinkel sah ich, wie meine Mutter ihm einen giftigen Blick zu warf.

"Hast du nichts besseres zu tun, als dein Futter doof anzustarren?", fragte mich Nachtflug schmatzend und amüsiert.

"Wer weiß ... wenn ich wegschaue, wird der ausgereierte Fisch vielleicht traurig.", erklärte ich ihm ganz natürlich.
Okay - jetzt hatte ich wirklich den Verstand verloren.

Minutenlang hörte man nichts außer das ekelige Schmatzen und Kauen meiner Familie. Die ganze Zeit spürte ich den strengen Blick meines Vaters auf mir sitzen.

"Jetzt fang an zu fressen Sohn, oder du wirst verhungern!" drohte er plötzlich, doch seine Stimme blieb noch gedämpft.

Nein, ich konnte es nicht. Regeln über Regeln. Immer musste ich tun, was man mir sagte. So viele Pflichten und Gesetze. Und wofür? Warum konnten die Regeln nicht Regeln bekommen?

Verdammt, ich verliere wirklich den Verstand!

Ich musste hier weg. Weg, weg, weg!

Prüfend durchbohrte mein Vater mit seinen Blick meine Seele. Jedenfalls fühlte es sich so an.
"Und? Gehörst du zu den Schwächeren? Willst du von den stärkeren Drachen, wie mir, eines Tages niedergemetzelt werden?", fragte er mich mit einer todesernsten Stimme, doch trotzdem grinste er mich ein wenig an.

"Lieber würde ich sterben, als es eine Sekunde länger wie nötig mit dir auszuhalten!", brüllte ich ihn plötzlich gereizt an und rannte davon.

Ich wusste nicht wohin mit mir, war selbst über meine Reaktion erschrocken und musste weg. Ich musste fliehen. Das alles passierte gerade so unerwartet schnell, dass ich mir noch nicht einmal die Blicke meiner Familie gemerkt hatte. Nicht mal den von meinem Vater.

Lauf! Lauf! Lauf! Kommandierte eine laute Stimme in meinem Kopf und in meiner Einbildung schien mich jemand mit einer Peitsche verjagen zu wollen.

Meine Beine kribbelten vor Energie und beinahe wäre ich über meine eigenen Pfoten gestolpert. Angst. Ja, zum ersten Mal hatte ich pure Angst.
So unerwünscht war ich noch nie. Niemand wollte mich, denn ich war ein Versager. Gerade mal einen Monat alt und schon mein Leben versaut!

Doch wo sollte ich nur hin? Wo sollte ich nur hin?
Hier war alles so fremd und niemand kannte mich, ich war allein!

Von jedem gehasst und verjagt.

Ich spürte meine Beine nicht mehr, mein Maul war trocken und mein Hals kratzte. Völlig außer Atem kam ich in einem Wald an. Die Bäume waren so groß und warfen so große Schatten auf den Boden, sodass es viel dunkler wurde. In dem Moment verschanzte sich die Sonne hinter flauschigen weißen Wolken, die daraufhin eine goldene, hell leuchtende Umramung bekamen.

Ich streifte noch minutenlang umher, bis sich der riesige Wald lichtete. Ich betrat nun ausgetrocknetes Land. Der Boden war staubig und trocken. Die Wärme der Sonne schien in der Erde gespeichert zu sein, denn meine Ballen brannten schon etwas.

Der Himmel deckte sich hellgrau zu und um mich herum war Stille. Nicht mal ein Vogel zwitscherte. Ich hörte nur mein verzweifeltes Atmen und meine unregelmäßigen Schritte. Sonst nichts. Rein gar nichts.

Die Wüste wollte nicht aufhören. Ich blickte nach vorne, Wüste. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, Wüste. Ich drehte mich um, Wüste. Umzingelt von einer Dürre, von totem Land. Ja, dieser Ort war wirklich tot. Keine Wiese, keine Bäume, keine Tiere, nichts!

Hin und wieder hörte ich Geschrei aus weiter Entfernung. Es musste das Gebrüll eines anderen Drachens sein. Oder ich bildete es mir nur ein. Schließlich stellte ich zweiteres fest.

Ohnezahns LebensgeschichteWhere stories live. Discover now