Neue Bekanntschaft

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So warm der Boden auch war, so kalt wurde er in der Nacht. Die ausgetrocknete Wüste verwandelte sich in den nächsten Stunden zu einer bitterkalten Eiswüste, nur ohne Schnee. Allerdings nahm ich zwischen meinen Krallen winzige Eiskristalle wahr. Frost deckte den Boden zu.

Die Luft machte es auch nicht besser. Sie war so dünn, dass sie mir den Atem wegnahm. Aber das Schlimmste war immer noch der Hunger. Alle paar Minuten erzeugte mein Magen ein seltsames Knurren, dass aber häufiger zu einem Grummeln und Blubbern wechselte. Es war so schrecklich, als würde der Körper die inneren Organe Stück für Stück auffressen.

Wann hörte nur dieses Ödland auf? Es tat mir doch leid. Schon mehrmals warf ich meinen Kopf in den Nacken und brüllte in den Himmel, dass es mir leid tat. Es tat mir leid, dass ich so stinkig zu meinen Eltern war. Es tat mir leid, dass ich von Zuhause geflohen war. Es tat mir leid, dass ... ich lebte.

"Komm her, ich brauche dich!"
So hilflos rief sie nach mir. Verzweifelte Augen gruben sich in meine ein und ihr Blick blieb an mir hängen.
"Du brauchst mich nicht! Du hattest mich noch nie gebraucht!"
Die Tränen brannten wie Lava auf meiner Wange. Und als eine von ihnen auf den Boden tropfte, bemerkte ich, dass es Blut war.
"Bitte Salir, ich kann das nicht ohne dich. Bitte..."
"Du hasst mich und das weißt du genauso gut wie ich! Du brauchst mich nicht!"
"Schätzchen..."
Ihre verweinte Stimme verstummte, als sie mich so nannte.
"Ich tue dir nicht gut, es ist besser für euch, wenn ich gehe. Für immer."
Der letzte Satz, der meine Lippen verließ, schallte enorm durch den gesamten Raum. Das war das Letzte, was ich zu ihr sagte, ehe sie in der Dunkelheit verschwand.

Langsam erloschen die Bilder und Stimmen in meinem Kopf. Mein Bewusstsein wachte auf und ich fand mich in der Realität wieder. Vorsichtig blinzelte ich. Helles Tageslicht blendete meine Augen. Doch wann war ich eingeschlafen? Und noch viel wichtiger - wo war ich eingeschlafen?

Noch ehe ich mich wirklich umsah, murmelte ich mit heiserner Stimme: "Bin ich tot?" Zu meiner Überraschung bekam ich sogar eine Antwort.

"Nein, zum Glück.", brummte eine tiefe Stimme. Der Erzeuger musste hinter mir stehen, denn ich konnte vor mir niemanden sehen. Ich sah nur den verstaubten Boden.

"Verflucht...", kam es stöhnend aus mir heraus und ich seufzte.
"Wäre ich nicht gewesen, wärst du das allerdings.", ertönte wieder diese Stimme, ohne meine vorherige Bemerkung zu beachten. Okay - wer auch immer mich gerettet hat, denjenigen hasste ich jetzt schon!

Mit aller Kraft drehte ich mich zur anderen Seite und hebte meinen Kopf leicht an. Obwohl ich jede Bewegung sehr langsam durchführte, spielte mein Kreislauf dabei trotzdem nicht ganz mit. Alles war so verschwommen und mir war leicht schwindelig.

Erst waren es Umrisse, doch jetzt erkannte ich einen Körper. Es war ein ausgewachsener, fremder Nachtschatten. Er musste älter als meine Eltern sein, denn seine Stimme klang so rau und hatte etwas kratziges an sich. Aber sie wirkte nicht zerbrechlich - im Gegenteil - sie war so tief, dass sie einem schon fast einen Schauer über den Rücken laufen ließ.

"Trink.", befahl er mir und reichte mir einen Behälter, welcher mit Wasser gefüllt war. Das Wasser machte mir keine Angst, viel mehr der Behälter. Er war schwarz und war mit einem gleichmäßigen Muster verziert. Doch es kam mir so unheimlich bekannt vor.

"Was das ist, fragst du dich?", sprach der Nachtschatten meine Gedanken aus, "Das, Kleiner, sind sie Schuppen eines Nachtschattens. Weißt du von welchem Nachtschatten?"

Ich schüttelte stumm den Kopf, soweit ich das tun konnte.
"Es sind die Schuppen meines Kindes. Meine Süße, sie war doch erst drei Wochen alt, und dann haben sie ihr das angetan..." Beim letzten Wort brach seine Stimme. Betrübt ließ er seinen müden Blick auf den Behälter ruhen.

Ich wusste, es war unangebracht, trotzdem fragte ich ihn leise: "Wen meinst du mit sie?"

Ohne den Blick abzuwenden, antwortete er mit neuer Kraft: "Sie sind Massenmörder, Quäler, Vernichter! Eine höhere Intelligenz, als wir sie erträumen könnten. Keine Flügel, keine Krallen, aber bewaffnet. Kein Fisch, sondern Fleisch. Keine Höhlen, sondern Häuser. Es sind die grausamsten Wesen auf Erden, sie nennen sich Menschen. Und ein Teil von ihnen nennen sich Drachenjäger. Angeführt von einem bösartigen Mörder, mit schwarzem Umhang und einem langen Stab. Ich wollte meinen Engel verteidigen, doch einige von den Drachentötern hielten mich in Ketten gefangen. Sie trugen seltsame Mützen. Sie bestanden aus den Köpfen von Eisbären. Mein Schatz lag winselnd vor den Füßen des Anführers. Mein Herz schmerzte, als er seinen Stab hob und ihn auf sie richtete. Oh, was habe ich gefleht. Sollte er mich töten, aber doch nicht sie! Ich konnte nicht hinsehen, kniff meine Augen zu und schrie innerlich, das es nicht das Ende sei. Ein quiekender, schmerzerfüllter Aufschrei war das Letzte, was ich von ihr hörte. Die Drachenjäger ließen mich frei. In dem Moment begriff ich, wozu sie mich vom Himmel geholt hatten. Nicht um mich zu töten, nein, sie wollten wie ich meine Tochter sterben sehe. So hinterhältig, so gemein, so krank... Einige Tage später suchten sie mein Versteck auf. Ich dachte, sie wollten nichts mehr von mir. Ich dachte, meine Tochter sterben zu sehen, sei das Einzige, was sie von mir wollten. Doch die Menschen trieben es noch weiter. Mithilfe von Drachengras lockten sie mich aus meinem Unterschlupf. Kaum realisierte ich die Gefahr, schmissen sie mir den Leichnam meiner Tochter entgegen. Dazu warfen sie mich mit voller Wucht mit einem harten Gegenstand ab. Sie trafen mich am Kopf und es blutete. Kurz sah ich Sterne vor meinen Augen, konnte nicht mehr denken. Dann waren die Menschen weg. Der Gegenstand, womit sie mich abwarfen, war eine Schüssel. Ein Gegenstand, den Menschen oft verwendeten. Doch die Schüssel bestand aus den Schuppen meines Kindes. Wie konnte man nur so grausam sein? Wie war das möglich? Seit diesem Tag hab ich die Menschen nie mehr gesehen."

Auf so eine Geschichte war ich nicht vorbereitet. Voller Schock starrte ich den Nachtschatten an. Erst jetzt erkannte ich kleine Narben an seinem Gesicht. Sie waren überall, aber die meisten waren im Gesicht. Nicht auszudenken, wie viel dieser Drache schon durchmachen musste.

"Das tut mir leid. Ich hoffe, du hast die Geschichte nicht extra meinetwegen erzählt...", war das erste, was ich sagte. Ein schwaches Lächeln entstand auf seinen zerkratzten Lippen. "Mach dir keine Sorgen, ich musste es loswerden.", seufzte er ein wenig erleichtert.

Unerwartet wechselte er das Thema und bedeutete mir, aus der Schüssel zu trinken.

"Ich habe keinen Durst.", gestand ich. "Du solltest aber etwas trinken. Der Drache verdurstet schneller, als das er verhungert. Und du siehst aus, als hättest du schon seit einem Tag nichts mehr getrunken."

Wie recht er doch hatte. Schließlich gab ich nach. Ich ekelte mich nicht vor der Schüssel, hatte aber ein unwohles Gefühl, aus ihr zu trinken. Doch der Nachtschatten sprach, es tue ihm gut, wenn ein junges Wesen, wie ich es sei, aus ihr trinke. Das gebe ihm das Gefühl, den Durst eines Lebewesens zu stillen. Und das Dank seiner Tochter. Und es stimmte ja auch.

Trotzdem hungerte ich. Doch der Nachtschatten schien vorbereitet zu sein. Er verschwand in einer Öffnung, die Zugang unter der Erde gewährte. Ein unterirdischer Tunnel also. Nur wenig später zwängte er sich durch den gut versteckten Ein- und Ausgang wieder heraus. In seinem Maul trug er ein Dutzend Fische.

Ich zögerte. Eigentlich war ich noch zu jung um Fische in diesem Zustand zu fressen. Meine Kiefer waren noch nicht ganz ausgeprägt, um einen Fisch zu zerkauen. Doch der Nachtschatten hatte nicht vor mir die Fische zu geben. Er schlang sie in einem Zug runter, würgte aber einige Sekunden später die Hälfte wieder hoch.

Ich war den Anblick eines zermatschten Breies gewohnt, doch Verarbeitet von einem fremden Nachtschatten, ekelte ich mich etwas davor.

"Du brauchst dich nicht vor den Überresten zu scheuen. Schließlich bereiten dir deine Eltern deine Nahrung auch genauso vor.", erklärte er mir, als hätte er meine Gedanken gelesen. 

Ich hörte auf ihn und fraß den Brei. Ja, ich kannte den Nachtschatten erst seit einigen Minuten, trotzdem vertraute ich ihm schon mehr, als meinen Eltern.

Ohnezahns LebensgeschichteWhere stories live. Discover now