Gehirnwäsche

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Während mein Seh- und Hörvermögen sich abschwächten, wurde mein Geruchs- und Geschmackssinn verschärft.
Mein Blickfeld wurde schemenhaft, ich konnte nur noch von hell und dunkel unterscheiden und musste mich an die Schatten orientieren, die Drachen und Menschen darstellten. Farben konnte ich auch nicht voneinander unterscheiden, für mich verlief alles in ein dunkles Sepia. Meine Pupillen taten weh, es war ein bohrender Schmerz! Ich wusste zuvor nicht, dass so etwas möglich war, mir waren nur übliche Augenschmerzen bekannt. Aber Schmerzen in der Pupille?
Hicks' Worte und das Geschrei der übrigen Drachen prallten an meinen Ohren ab. Sie waren so stumpf, als hätte mir jemand Watte an die Ohren gelegt. Mein Freund sagte mir etwas, vielleicht war es auch eine Frage, aber ich verstand ihn nicht. Die einzige, volltönige Stimme war die des Alphas. Nur sie. Diese Stimme war meine Informationsquelle. Mein Aufenthalt. Mein ein und alles. Ohne die Stimme funktionierte es nicht, ich brauchte sie. Mehr als alles andere!

Oberhaupt war mein Herr. Mein Herr, der Alpha, mein König. Ich war sein Untertan, sein Aufgabenerfüller, sein Sklave. Sein Wunsch war mein Befehl. Er musste absolviert werden, ganz gleich, was er von mir verlangte. Das Erfüllen seiner Aufträge war das wichtigste. Jeder Drache, jeder Untertan, musste sich daran halten. Egal was es war, ich musste seine Befehle meistern!

Ich schenkte meinem Herrscher absolutes Gehör. Aufmerksam war ich, bereit alles zu bewältigen, was er mir befahl. Alles.

Mein König sprach: "Hicks ist kein Freund, er ist ein Feind. Kein Reiter, ein Gegner. Töte ihn! Töte deinen Feind namens Hicks!"

"Zu Befehl, eure Majestät", erwiderte ich und drehte mich zu Hicks. Ich konnte nur seinen Schatten sehen, dafür erkannte ich ihn am Geruch. Er roch nach Drachen, aber am meisten nach Nachtschatten.

Hicks, mein Feind.
Hicks, mein Gegner.

Ich schritt näher. Angst schmeckte ich heraus. Mein Feind hatte Angst.
Eine köstliche Kombination, mein Gegner roch nach Hilflosigkeit und schmeckte nach Angst.

Ein Schritt nach dem anderen.
Weiter... Weiter...
Mein Konkurrent wich zurück. Aus seiner Angst wurde Panik. Noch leckerer!
Ich breitete meine Flügel aus, um gefährlicher und größer zu wirken. Durch mein geöffnetes Maul schmeckte ich weitaus mehr an meinem Feind heraus, als ich es vorhin tat.
Er schmeckte nach Sorgen, Aufregung, Unsicherheit und ein Hauch nach Wut. Wut, ein ekliger, scheußlicher Geschmack!

Vermutlich streckte mein Gegenüber eine Hand nach mir aus, denn eines seiner Gliedmaßen witterte ich stärker und sein verschwommener Schatten änderte sich ebenfalls dezent. Vielleicht redete er auf mich ein. Vielleicht wollte er mich bremsen.
Vielleicht.
Aber der König hatte gesprochen. Das war Fakt.
Und Fakt war, ich musste gehorchen.

Ein Schritt näher. Noch näher.
Ganz langsam.
Das Gas, mein Plasma, kroch meinen Hals hinauf. Meine Lunge erhitzte sich. Mein Schädel schien zu qualmen. Dies würde der bombastischste Plasma Strahl werden, den ich jemals geschossen hatte.
Trotz meinem miserablem Gehör, konnte ich das Zischen aus meiner Kehle wahrnehmen. Das Feuer in mir loderte. Süchtig nach einem Ziel.
Und dieses Ziel war mein Feind. 

Mein König verordnete: "Zügiger!"
Ich strapazierte seine Geduld! Wie furchtbar, das durfte ich nicht! Ich musste mich beeilen. Unter gar keinen Umständen durfte ich meinen Herren verärgern!
Sein Wort war Gesetz!  

Ich raunte: "Zu Befehl, eure Majestät."
Das Plasma stieg hinauf.
Mein Gegner wurde lauter. Dennoch würde er niemals meine Aufmerksamkeit gewinnen. Niemals. Ich gehörte dem Alpha. Er war mein Besitzer. Mein Feind hatte nichts, rein gar nichts, zu sagen. Ihm lag kein Recht dazu. Er solle schweigen!

Qualm schlich aus meinem Maul heraus.
Ich sog nochmals den Duft meines Konkurrenten ein. Er roch nicht mehr nach Panik, sondern nach Todesangst.
Meine Zunge kam zum Einsatz. Ich schmeckte Verwirrung heraus, gemischt mit Einsamkeit, Orientierungslosigkeit und Ratlosigkeit.
Himmlisch, dieser Geschmack! Ein köstlicher Verzehr!

Ohnezahns LebensgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt