Unerwünschte Bedrohung

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"Bleib. Hier.", wiederholte sich Nachtflug schon etwa zum vierten Mal. Er hatte uns zu einem zertrümmerten Haufen Felsen geführt. Einige von ihnen bargen winzige Höhleneingänge. Für einen ausgewachsenen Nachtschatten wäre es unmöglich, sich dadurch zu zwängen. Doch Mondregen hatte eine ideale Größe dafür.

"Bleib-", holte Nachtflug gerade nach Luft, als ich ihn amüsiert unterbrach: "Sag mal, wie oft willst du das eigentlich noch sagen?"
"Erkläre du doch mal einem Schlüpfling, dass er hier die ganze Nacht warten soll!", gab er mir als Aufgabe und fletschte eingeschnappt die Zähne.

Ich grinste ihn hämisch an und begann mit meinem Plan: "Wenn der leuchtende Kreis nicht mehr zu sehen ist, erwachen die Monster aus ihren Verstecken. Sie fressen alles und jeden, das ihnen in die Quere kommt! Also bleib wachsam und verstecke dich hier."

Verblüfft starrte mich der Kleine an. Seine Augen entsprachen fast der Größe meiner Pfote.

"Jetzt jage ihm doch keine Angst ein!", zischte der Besserwisser neben mir und funkelte mich an.
"Wenigstens können wir jetzt davon ausgehen, dass er hier bleibt.", lachte ich, doch Nachtflug fand das alles andere als komisch.

Schweigend gingen wir nach Hause. Schon vor dem Eingang konnten wir das Gejaule von Feuerblüte hören.
"Gibt die Kleine etwa nie Ruhe?", fragte Nachtflug erstaunt und musterte unsere kleine Schwester.

"Ich warte nur so auf den Moment, bis sie das Sprechen erlernt. Aber immerhin kann sie schon 'Mama' aussprechen.", kam es plötzlich von unserer Mama, die leicht gestresst wirkt.

"Wo ist Papa?", maulte Nachtflug und wirkte ungeduldig. Aus Mamas Stress wurde Verzweiflung.
"Er macht eine Spritztour um die Insel.", antwortete sie, widmete ihre Aufmerksamkeit aber direkt wieder an Feuerblüte.

Die Kleine konnte schon eine Vielzahl an Laute erzeugen. Doch das süßeste Geräusch welches sie machte, war ihr kindisches Lachen. Es klang so lebensfroh und ehrlich.

Ich gesellte mich zu ihr und musterte sie beeindruckt. Sie war noch ein Baby und verstand den Ernst des Lebens noch nicht. Noch hatte sie Grund zum Lachen. Bald womöglich nicht mehr.

"Hast du damals auch immer so viel gelacht?", fragte ich Nachtflug, der ständig Kreise drehte.
"Keine Ahnung, denke schon.", brummte er, war aber nicht ganz bei der Sache.
Er wusste es nicht?
Hatte er es etwa vergessen?
Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie ich als winziger Schlüpfling die Welt betrachtete. Vielleicht nicht so fröhlich wie Feuerblüte, aber ich erkundete die Welt mit Neugier. Meistens jedenfalls.

Plötzlich wurde die Luft kalt und ein kühler Wind bließ in den Eingang unserer Höhle. Das kam selten vor, es musste wohl stürmisch sein.
Aus dem süßen Lachen wurde ein Wimmern, als Feuerblüte den Wind an ihren zärtlichen Flügelhäuten spürte.

Ich beugte mich über sie und breitete einen meiner Flügel über ihren Körper aus, um sie etwas vor dem Wind zu schonen.
"Da hat sich unser Vater aber ein schlechtes Wetter für eine Spritztour ausgesucht...", bemerkte ich mit einem skeptischen Unterton und beobachtete von hier aus die dicken grauen Wolken, welche sich übereinander türmten und ein Gewitter vorhersagten.

Sofort kam mir Mondregen in den Sinn. Er konnte doch nicht allein im Gewitter sein.
"Nachtflug!", wisperte ich unbemerkt, "Was ist mit Mondregen?"
Mein Bruder verstand sofort und machte große Augen. Im selben Moment wussten wir was zu tun war und machten uns auf den Weg zu unserem Findelkind.

Der Regen schlug kräftig auf unsere Schuppen ein, als wir das Versteck fanden. Zu unserer Überraschung schlief Mondregen seelenruhig, als würde nicht das reinste Unwetter vor ihm herrschen.
"Ich wünschte, ich besäße diese Fähigkeit.", beneidete ich den Knirps und starrte ihn verblüfft an.

"Er schläft, ihm geht's gut, lass uns gehen.", fasste Nachtflug knapp zusammen und eilte schon nach Hause. Er hatte Recht, ich hatte auch keine Lust, die ganze Zeit im Regen zu stehen.

Aus dem Abend wurde Nacht und das Unwetter hatte sich immer noch nicht beruhigt. Trotz alle dem huschten noch einige Nachtschatten durch den Himmel und ließen ihre ultra heißen Plasma Strahle aufblitzen und explodieren.

Ich sah ihnen zu und ignorierte das Geprassel des Regen und das knallen des Donners.
Auf einmal vernahm ich ein schrilles Zischen hinter mir. Verwirrt drehte ich mich um und sah Nachtflug, wie er übertrieben stark nach Luft holte. Einige Rauchwölkchen qualmten aus seinem Maul, bis plötzlich ein harmloser, ganz kleiner violetter Blitz entflammte.

"Hast du das gesehen?", rief Nachtflug erstaunt und konnte nicht fassen, was er soeben entfacht hatte. Nur stieß der Plasma Strahl direkt auf den Steinboden und verschwand.

"Nicht so voreilig.", schmunzelte unsere Mama, "Morgen werdet ihr das Fliegen lernen. Darauf freut ihr euch doch schon, oder?"
Wir nickten eifrig und dann warf ich nochmal einen Blick zu den blitzschnellen Nachtschatten am Himmel. Irgendwann werde ich auch einer von denen sein!

"Lange kannst du hier nicht mehr bleiben.", mahnte er mich streng und sah mich ernst an.
"Warum denn? Bin ich etwa nicht erwünscht?", fragte ich verzweifelt und fing an zu stammeln.
Ruhig und langsam schüttelte er seinen Kopf.
"Diesmal nicht.", antwortete er kahl, "Ihr werdet bedroht."
"Wer ist wir? Und welche Bedrohung?", bombadierte ich ihn verwirrt mit Fragen.
"Mit wir sind alle Nachtschatten auf der Insel gemeint, und mit Bedrohung, meine ich-"

"Psst! Salir... wach auf!", weckte mich Nachtflug mitten in der Nacht. Ich brummte verschlafen und kniff verärgert meine Augen zu.
"Was?", knirschte ich genervt und wollte nicht aufstehen. Doch ich wartete schon gar nicht mehr auf die Antwort und tauchte schon wieder in das Reich meiner Träume.

~~

"Salir!", brüllte Nachtflug plötzlich aufgebracht und rüttelte mich so sehr, als gäbe es keinen Morgen mehr.
Ich rappelte mich empört auf und fauchte: "Was soll das, leg dich endlich-", doch da blieb mir das Wort im Hals stecken und versperrte mir die Luft.

Die eigentlich dunkle Höhle wurde von grellem Feuer beschienen. Die Flammen bäumten sich monströs auf und leckten an den Wänden unserer Höhle.
Aus Reflex huschte ich ganz nach hinten und machte einen Buckel.

"Feuerblüte, wo ist sie?", wollte ich von Nachtflug wissen und durchsuchte jeden Winkel.

"Sie musste vor uns aufgewacht sein. Sie bekam vermutlich Angst und ist nach draußen in die Flammen gelaufen. Mama und ich sind vorhin erst aufgewacht. Ich sollte dich wecken und Mama macht sich auf die Suche nach unserer Schwester.", erklärte Nachtflug schnell.

"Und unser Vater?", fragte ich weiter.
"Der ist schon den ganzen letzten Tag weg, weißt du doch!", erinnerte er mich. Ich brauchte einen Moment um zu realisieren, was gerade vor sich ging.

"Mama sagt, wir sollen hier warten, bis sie zurück ist.", wechselte Nachtflug nun das Thema. Doch da kam mir sofort ein Gedanke.
"Nein, das können wir nicht!", widersprach ich ihm.
"Salir, jetzt mach nicht so einen Aufstand! Hier sind wir noch am sichersten.", machte mir Nachtflug klar.

Doch mein angsterfüllter Blick verriet auch ihm, was mir in den Sinn kam.

Wie aus einem Maul riefen wir entsetzt: "Mondregen!"

Ohnezahns LebensgeschichteWhere stories live. Discover now