Gefangen im Talkessel

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Verwirrt blickte ich um mich herum. Der Nebel hing schlaff über mir und ließ das Tal düster und mystisch wirken. Hier und da hörte ich einige Vögel zwitschern, aber von Drachen nicht das geringste Geräusch.
Auch der Teich, welchen ich mittig des Tals erkannte, wirkte eisig und kalt.

Nachdem ich meine Gedanken kurz gesammelt hatte, sah ich wieder mein Ziel vor Augen. Der Rote Tod! Ich musste zu ihr, ich war sicherlich die Nummer eins auf ihrer Todesliste. Ich konnte noch so viel für sie leisten, meine Unpünktlichkeit würde mich trotzdem nach unten ziehen und ein schlechtes Licht auf mich werfen.

Entschlossen machte ich einen Sprung in die Höhe und peitschte dabei wild mit den Flügeln. Schon wieder! Meine Schwanzflosse kippte unerwartet nach links, das tat sie sonst nie.
"Nein!", fauchte ich auf, die folgenden Schmerzen schon in meinem Kopf. Ich knallte auf die Wiese, mein Körper pochte vor Schmerzen.

"Aouh...", jaulte ich erschöpft und blieb für einige Minuten auf der Stelle liegen. Plötzlich brannte es wieder so unerwartet am Schwanz.

"Was ist das?", schrie ich als erste Reaktion und rappelte mich in Sekundenschnelle auf. Es brannte, es juckte und es schmerzte! Eine mir völlig unbekannte Hitze stieg in meiner Schwanzspitze auf und der Schmerz verteilte sich bis hin zu meinen Rudern, am Schwanzansatz.

Mit vor Schmerz tränenden Augen schwankte ich meine Schwanzflossen vor mein Gesicht. Dafür machte ich mich zu einer Kugel, anders war es nicht möglich.

Da fehlte was! Sie war weg! Meine linke Schwanzflosse war weg!
"Nein! Nein! Das ist nicht passiert! Nein!", brüllte ich erschrocken, der Schmerz und das Brennen verstärkten sich noch mehr.
Sie war weg, weg war sie! Deshalb das Brennen! Es tat so weh, aber mein Schock war unerträglicher.

Ich kreischte einige Male, sodass ein Schwarm Vögel die Flucht ergriff. Außer mir vor Entsetzen stürmte ich in jeden Winkel des Tals und konnte mich nicht damit abfinden, dass meine linke Schwanzflosse weg war.

Das ging den ganzen Morgen so, bis meine Energie einen Schlussstrich zog und mich lahm legte. Ich prustete vor Müdigkeit und mein Hals war vom Brüllen ganz rau und trocken. Meine Muskeln verlangten es, mich schlafen zu legen.

Irgendwann, es musste bereits Mittag sein, wachte ich grummelnd auf. Als ich ins Tageslicht blinzelte, fühlte ich mich sehr benommen. So, als hätte ich tagelang geschlafen. Und für einige Sekunden war mein fehlendes Körperteil vergessen, bis mich ein überhitztes Ziehen an der Schwanzflosse wieder daran erinnerte. Immer noch erschrocken starrte ich meine Wunde an. Ich betrachtete sie so genau, dass ich sogar einzelne Adern an meiner Schwanzspitze pulsieren sah. Mein Kreislauf war völlig durcheinander und ich geriet ein wenig ins Schwindeln.

Sie war immer noch weg, meine Schwanzflosse, und würde nie wieder kommen.

Für einen Moment sank ich ins Grübeln. Ich würde in der Luft mein Gleichgewicht nicht halten können, denn dafür waren eben meine zwei Schwanzflossen zuständig. Aber ich konnte Abheben, wenn auch nur für kurze Zeit. Das hieß, ich konnte eine gewisse Höhe erreichen.
Nachdenklich musterte ich die Felswände. Sie waren sehr hoch, von allein konnte ich unmöglich bis nach ganz oben fliegen. Aber wenn ich mich von irgendwo abstützen würde, hätte ich einen sicheren Halt. Ich könnte bis zu einem Felsvorsprung fliegen und von da aus bis nach ganz oben abspringen. Das würde funktionieren!

Selbstsicher ließ ich meine Schultern und Flügel hervorragen, meinen Rücken und meinen Kopf machte ich so klein wie möglich. Ein Ruck und ich war schon in der Luft. Mein Ziel war ein schwer erkennbarer Spalt, welcher ganz oben vorzufinden war. Durch ihn könnte ich es nach draußen schaffen.

Ich schlug und schlug, schwankte immer wieder, und kämpfte um jeden Meter, den ich an Höhe schaffen würde.
Ich hatte es geschafft! Eilig krallte ich mich an dem Gestein fest und hievte mich noch ein wenig höher, immer weiter zum Spalt. Ich hinterließ viele Kratzspuren im Gestein, ich wollte es einfach nur nach oben schaffen!

Ohnezahns LebensgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt