Gezwungender Abschied

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Die Kerle waren gute drei Köpfe größer als ich. Warnend fletschte ich meine Zähne und peitschte mit dem Schwanz, damit mich niemand von hinten überraschen konnte. Es wäre dumm, solange abzuwarten bis die Männer mich angriffen, deshalb schlug ich aggressiv meine Flügel auf, damit meine Gegner zurück wichen. Schließlich sprang ich in die Höhe und segelte über die Baumwipfel hinweg. Ich hörte nur noch einige Flüche von ihnen.

Allerdings verschwand meine Schadenfreude auch ziemlich schnell, als ich Feuerblüte winselnd vor dem monströsen Drachen vorfand. Nachtflug flatterte immer noch treu neben eines der Stoßzähne der Bestie. Seine Pupillen waren nach wie vor hauchdünne Linien. Einfach nur schmerzhaft der Anblick.

Ich beschloss mich hinter einigen dicken Bäumen zu verstecken. Die drei Männer hatte ich nun gute vierzig Meter hinter mir gelassen, sie würden mich schon so schnell nicht finden.

"Folge mir!", fauchte der Riese unsere kleine Schwester an.
"I- Ich kann nicht!", wimmerte sie verzweifelt. Sie konnte es nicht?
"Ich befehle dir,", donnerte die Bestie wütend, "folge mir!"

"Verflucht!", lärmte der Mann mit dem Stab und schmiss diesen weg von ihm. Beinahe hätte er damit einer seiner Männer erwischt. Scheppernd krachte der Gegenstand auf's Holz, was den Besitzer nicht gerade besänftigte.

"Drago!", meldete sich der junge Mann mit dem nach hinten gebundenen Zopf, "Der Große Überwilde hat keine Macht über Schlüpflinge."
Mit den Nerven am Ende biss sich der Anführer auf die Zähne, starrte seinen Gegenüber zornig an und schleuderte ihn mit aller Kraft zu seinem Stab, welcher mit großem Abstand hinter ihm lag.
Dabei dröhnte er: "Das sehe ich selbst, du Idiot!"

"A-Aber Drago!", keuchte der junge Mann erneut, "Ist ein Nachtschatten nicht erstmal genug? Wozu drei von ihnen, wenn allein einer die Kraft von tausend Drachen besitzt?"

"Ich brauche aber alle!", schrie der Anführer ihn so laut an, dass selbst ich aus meinem Versteck zusammen zuckte.
Dann fuhr er mit ruhigerer, dennoch tieferer Stimme fort: "Um eine gute Drachenarmee aufzustellen, brauche ich alle Nachtschatten weltweit! Bis jetzt herrsche ich bloß über fünfundzwanzig Tödliche Nadder, achtzehn Gronckel, dreizehn Wahnsinnige Zipper und neun Riesenhafte Albträume."

"Nicht die drei Schrecklichen Schrecken zu vergessen.", fügte ein eher kleinerer Mann mit Kapuze hinzu.

Auf einmal stellte ich eines meiner Ohren auf. Ich hörte Flügelschläge. Irritiert blickte ich nach oben und sah Stoßflamme, Gluckser und Wirbelsturm auf die Schiffe zufliegen. Aber nicht aggressiv, eher als gehorchten sie auf etwas. Ich befürchtete es schon, trotzdem kontrollierte ich mit einem raschen Schielblick ihre sonst so verspielt wirkenden Augen. Und tatsächlich: Ihre vorher immer rund gewesenen Pupillen hatten sich ebenfalls wie bei Nachtflug zu Linien verformt.

"Ist das etwa eine Leistung?", fuhr der Anführer den kleinen Mann an und packte ihn am Hals. Dieser quiekte auf und rang verzweifelt nach Luft. Als er schon im Gesicht blau anlief, ließ der Mann ihn trotzig fallen.
"Drei Schreckliche Schrecken...", lachte er auf, "Wie armselig!"

Unsere drei Mitbewohner ordneten sich Nachtflug unter und starrten ebenso wie er in die Leere.

"Egal...", raunte der große Mann nun unbeeindruckt, "Den Nachtschatten dort können wir immer noch als Trainingspartner für den Großen Überwilden gebrauchen."

"Findest du ihn nicht etwas zu ungeeignet?", hakte der junge Mann nach, den der Anführer vorhin noch zu seinem Stab warf.
Als dieser keine Antwort von sich gab, erklärte der schwarzhaarige: "Na ja, der Nachtschatten sieht noch recht jung aus, er wird wahrscheinlich schon beim ersten Training umkommen und-" "Genug!", unterbrach der Befragte ihn gereizt und hätte den jungen Mann fast geohrfeigt.

"Hier gelten meine Befehle, verstanden!", brüllte er ihn daraufhin an, "Wenn ich sage, dass dieser Nachtschatten der künftige Trainingspartner sein soll, dann ist das Gesetz, bis ich das Gegenteil behaupte!"
"Verstanden Drago.", gab der jüngere schließlich nach.
"Du bist ganz schön dickköpfig, Eret. Widerspreche mir in Zukunft lieber nicht, sonst wirst du das mit deinem Leben bezahlen!", drohte der Anführer nach kurzer Zeit und hob seinen Stab auf.

"Schick die drei wieder an Bord.", wendete er sich nun an den kleinen Mann mit Kapuze, "Den entlaufenden Nachtschatten werden wir eh nicht mehr finden." Der Angesprochene nickte verstehend und wank plötzlich in meine Richtung.

"Schade eigentlich...", murmelte der Anführer nun, "Den hätten wir bestimmt auch gut gebrauchen können..."

Ich verstand erst nicht, warum der kleine Mann in meine Richtung wank, bis ich einige Meter hinter mir lautes Knacksen von gebrochenen Ästen hörte. Panisch duckte ich mich in einem Busch, um unbemerkt zu bleiben. Die drei Männer von vorhin liefen nur knapp an mir vorbei und rannten weiter in Richtung Schiff. Dort kamen sie an Bord.

"Das war knapp...", grummelte ich erleichtert.

"Und was ist mit dem Schlüpfling?", fragte einer dieser Männer den Mann mit Stab und zeigte auf Feuerblüte, die sich immer noch vor Angst klein gemacht hatte.
"Den...", seufzte der Befragte, "lassen wir hier. Der Große Überwilde kann ihn nicht beeinflussen und generell ist er zu klein und zu jung."

Nach der Absprache setzten die Menschen die Segel und verließen unsere Insel. Allerdings machte sich der riesige Drache ebenfalls auf den Weg und sowohl die drei Schrecklichen Schrecken als auch Nachtflug folgten ihm.

"Nein!", brüllte ich ihnen entsetzt hinterher und preschte aus meinem Versteck, "Nachtflug, komm zurück!"
"Er gehört jetzt den Menschen.", schluchzte Feuerblüte entkräftet und versuchte sich aufzurichten.

"Woher weißt du das?", wunderte ich mich und sah sie mit großen Augen an.
"Als er noch für seinen Willen gegen das Monster kämpfte, fiebte er ständig, dass das Ungetüm ihn beeinflusse. Der riesige Drache mache irgendwas, was ihn seinen freien Willen raube. Kurz bevor er dann völlig beeinflusst worden war, murmelte er noch, dass er der Bestie nun folge."

"Du meinst also, der Riese hat unseren Bruder hypnotisiert?", riet ich.
"Schätze schon.", stimmte sie mir kleinlaut zu.

•••

Die Menschen, die Bestie, die drei Schrecklichen Schrecken und auch Nachtflug wurden nun seit zwei Wochen nicht mehr gesehen. Feuerblüte und ich lebten ganz allein auf dieser verlassenen Insel und dachten häufig über diesen rätselhaften Tag nach.

"Hast du verstanden, was die Menschen gesagt haben?", fragte mich meine kleine Schwester eines Abends. Wir saßen zu zweit auf einer Klippe. Die Klippe, an der Nachtflug und ich Feuerblüte entdeckt hatten.

"Nicht das geringste Wort.", brummte ich sichtlich enttäuscht.
"Nicht mal eine Vermutung?", hakte sie weiter nach und sah mich prüfend an.

"Du etwa?", gab ich scherzend wieder.
"Na ja...", glurrte sie, "Die haben bestimmt nichts gutes mit unserem Bruder vor. Glaubst du, sie töten ihn?"
"Nein.", gab ich entschlossen wieder, "Würden die Menschen uns Nachtschatten töten, hätten sie uns auch getötet."
Immer noch unzufrieden über unser mangelndes Wissen erkundigte sie sich: "Und was haben sie dann mit ihm vor?"
"Weiß ich doch auch nicht!", stöhnte ich leicht genervt.

Wir schwiegen eine Weile und musterten die weißen Schaumkronen der Wellen im Meer.
"Ich fühle mich einsam.", brach Feuerblüte plötzlich die Stille. Verwundert äußerte ich: "Ich bin doch bei dir." Um meinen Satz zu unterstreichen, rückte ich noch etwas näher an sie heran.

"Schon, aber du bist der einzige. Ich möchte auch mal andere Drachen sehen."
"Willst du diese Insel etwa verlassen?"
"Nur, wenn du mitkommst."
"Na gut, wenn es dich glücklich macht."
Erstaunt sah Feuerblüte zu mir hoch. "Du würdest wirklich mitkommen?", fragte sie nach.
"Wenn du das willst, dann ja.", versprach ich ihr.
"Und wohin?", informierte sie sich.
"Irgendwo, wo es andere Drachen gibt.", antwortete ich.

Ohnezahns LebensgeschichteWhere stories live. Discover now