Fackel (Teil 2)

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Ein markerschütterndes Brüllen aus weiterer Entfernung weckte mich unsanft. Mir musste es also doch gelungen sein, auf diesem ungemütlichen Balken einzuschlafen.
Schreckhaft riss ich meine Augen auf und schnellte meinen Blick alarmiert zu Hicks.

"Was ist los?", wollte ich sofort von ihm wissen, doch er und Fackel schliefen bereits tief und fest. Da war mir klar, dass das Brüllen von draußen kam. Ich funkelte Fackel an und plötzlich kam mir ein Blitzgedanke auf!
Seine Mutter! Sie suchte nach ihm!

Aufgeregt hetzte ich aus dem Haus und sprintete aus dem Dorf. Ich musste sie aufhalten! Sie durfte ihr Kind, Fackel, nicht finden! Wie weit würde eine Mutter gehen, um ihr Kind wieder zu haben? Sehr weit! Sie würde das gesamte Dorf zerbomben und im schlimmsten Fall die komplette Insel zerstören!

Ich raste zu den Klippen, bis ich etwas im Wald lodern sah. Feuer! Es brannte!
"Hey!", brüllte ich in die Nacht, "Wer ist da?" Kampfbereit richtete ich mich auf, verengte meine Augen und trat noch näher an die Felskante heran. Ich hörte Rufe aus dem Wald. Es kam genau von dort, wo das Feuer brannte. Die Mutter! Sie zerstörte mit ihrer Wut, ihrer Angst und ihre Sorge um ihr Kind den Wald. Und sie würde nicht aufhören, bis sie ihren Schlüpfling wieder hat...

Ich eilte wieder nach Hause und hastete in Hicks' Zimmer.
"Aufwachen! Sie ist da! Hicks! Aufwachen!", quengelte ich ungeduldig und schnaubte meinem Freund ins Gesicht.
"Ohnezahn!", brummte er schlafend, "Geh schlafen..." Schon in der nächsten Sekunde war Hicks wieder im Tiefschlaf.
Das konnte doch nicht wahr sein! Am liebsten hätte ich meinen Reiter mit Wucht aus seinem Bett geschmissen, aber das würde nur Streit und Ärger geben. Ich knurrte aufgebracht, hatte jedoch keine andere Wahl, als mich wieder schlafen zu legen.

Am nächsten Tag wachte ich später auf als gewöhnlich. Ich hatte nicht gut geschlafen. Wie denn auch, wenn man Uneinigkeiten mit seinem besten Freund hat, ein kleiner Knirps das ganze Abendfutter verspeist, die Nacht auf einem Holzbalken verbringen musste und mitten in der Nacht von einer wütenden Mutter geweckt wurde?

Hicks war bereits wach und schleppte unser Frühstück hinauf. Fackel leckte sich ständig über seine Schnauze und tänzelte auf der Stelle. Ich knurrte leise, weil ich es nicht zulassen durfte, dass er mir wieder alles weg fraß.

"Na, gut geschlafen?", fragte uns Hicks, worauf ich meine Ohren genervt anlegte und Fackel freudig krächzte. Er stellte den Korb auf den Boden und gab dem Schlüpfling wieder den Teller. Doch diesmal öffnete Hicks den Korb und warf ganze zehn Fische auf den Teller für Fackel.
"Hey, was soll das?", fauchte ich aufgebracht und fletschte meine Zähne.

"Ohnezahn, jetzt stell dich nicht so an! Der kleine hatte gestern bloß einen einzigen Fisch gehabt, da kannst du doch etwas von deiner Mahlzeit teilen!", erklärte Hicks sein vorheriges Handeln und streichelte Fackel vorsichtig über seine Flügelhäute, während er schmatzend die Fische verschlang. Ich grollte tief und widmete mich anschließend meinem lang ersehnten Frühstück.

Als wir damit fertig waren, schnappte ich mir freudig den Sattel und die Prothese und schmiss die Sachen vor Hicks auf den Boden. Es war Zeit für unsere Flugstunde, so wie jeden Tag!
Doch Hicks schüttelte nur lächelnd den Kopf und sagte: "Nein, Ohnezahn. Diesmal nicht. Die anderen und ich wollen jetzt gleich mit Fackel in die Akademie und prüfen, was für Fähigkeiten der kleine hat."
Ich sah ihn verdutzt an. War das jetzt sein Ernst? Er konnte doch nicht einfach so die Flugstunde absagen! Er tat ja so, als könne er Fackel den ganzen Tag nicht trainieren, außer jetzt!

Enttäuscht peitschte ich den Sattel mit meiner gesunden Schwanzflosse gegen die Wand und marschierte nach draußen. Dort traf ich auf Sturmpfeil, die gerade mit ihren drei Kindern spielte. Wahnsinn, wie groß sie schon geworden sind! Eigentlich waren sie nicht mehr auf die Pflege ihrer Mutter angewiesen, aber Sturmpfeil nahm die drei immer noch liebevoll bei sich auf.

Ohnezahns LebensgeschichteKde žijí příběhy. Začni objevovat