Schockierende Nachricht

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Schnell rappelte ich mich auf und rannte dem Ruf entgegen. Es war dunkelste Nacht, selbst Umrisse waren nur schwer zu erkennen. Wir Nachtschatten waren bei so einer Finsternis wie diese so gut wie unsichtbar.

Ich konnte meinen Bruder nicht sehen, doch ich rannte im stürmischen Tempo auf die Stimme zu, bis ich in einen Körper hinein lief. Wir knallten auf dem Boden auf und stießen Schnappatmungen aus.

Den Körper, welchen ich auf den Boden geschmissen hatte, fauchte mich bösartig an und schnellte seine Krallen nach mir. Dann riss er mich von sich weg und fletschte mir angriffslustig die Zähne. Der Schwanz peitschte, sodass Staubwolken auf dem Boden entstanden. Die Ohren waren eng und stark an den Hinterkopf gedrückt, die Nüstern blähten sich auf, die Flügel quetschten sich an den Körper, die Augen funkelten leuchtend gelb und der Rücken machte einen gewaltigen Buckel.

Starr vor Angst blieb ich stehen, mit weit aufgerissenen Augen, aufgerichteten Flügeln und geradem Rücken.

"Nachtflug?", wisperte ich, sodass mich der Nachtschatten vor mir eigentlich gar nicht hören konnte.
Sofort blitzten die Ohren nach oben, Zähne und Krallen huschten zurück, die Augen wurden aufgerissen und die Flügel entspannten sich.
"Salir, bist du das?", fragte mich der Drache.

Mit einem zahnlosen Grinsen schmiss ich Nachtflug spielerisch wieder auf den Boden und leckte ihm durch das Gesicht.

"Salir, du bist doch keine drei Monate mehr alt...", brummte mein Kamerad und schüttelte sich so kräftig den Kopf, dass selbst ich etwas Sabber an der Wange abbekam.

"Wie hast du mich gefunden?", erkundigte ich mich rasch.
"Komm mit, ich erzähl dir das alles jetzt gleich."

Unsicher warf ich einen Blick auf meinen Begleiter. Er schlief immer noch tief - schmatze hin und wieder - und hielt sein totes Kind fest in den Pfoten.

"Ich... kann nicht.", erklärte ich ihm zögernd. Mein Blick sagte alles, doch eine Frage hatte Nachtflug noch: "Kann er nicht auf sich selbst aufpassen? Er hat doch ein Baby in den Pfoten."

"Der Nachtschatten ist traumatisiert und das Kind... tot.", sagte ich leise und musste mich bemühen, das letzte Wort über meine Lippen zu bringen.
Stumm starrte er die beiden an.

"Es ist aber was ernstes.", argumentierte Nachtflug, "Deutlich wichtiger, als das Aufpassen eines ausgewachsenen Nachtschatten."

Meine Augen funkelten überrascht. Schließlich gab ich nach und folgte meinem Bruder langsam.
Nicht zurücksehen, nicht zurücksehen! Mahnte ich mich immer wieder innerlich.

Die ersten Morgenstunden brachen an und weit, weit in der Ferne verblasste die Dunkelheit und wurde durch ein farbloses hellgrau ersetzt. Meine Beine taten weh, meine Pfoten schmerzten. Nachtflug sank während des Weges betrübt den Kopf und ließ die Ohren hängen. Seine hintersten Schwanzflossen malten ein verwischtes Muster in den staubigen Boden. Schon fast wie Wolken sahen die Spuren aus.

Nach einiger Zeit machte ich die Bewegungen seines Schwanzes nach und erschaffte ein so ähnliches Muster.
"Wo gehen wir hin?", seufzte ich erschöpft und erwartete schon keine Antwort, weil Nachtflug meine letzten Fragen auch ignoriert hatte.

"Weit weg.", erklärte er plötzlich, "Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Wahrscheinlich einen endlosen..."
Den letzten Satz hatte ich akustisch nicht verstanden, fragte aber auch nicht danach.

Die ersten Sonnenstrahlen erkämpften sich die Wipfel der Berge hinauf und erstrahlten den rauen, steinigen Boden zu einem traumhaften Gold.

Das wie neu geborene Sonnenlicht gab mir neue Kraft, weiter zu laufen. Ein weiter Weg, hatte er gesagt, ein weiter Weg...

Ohnezahns LebensgeschichteWhere stories live. Discover now