Mein Alltag - hart und streng

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Ich fühlte mich irgendwie nackt, als Dorn und ich den Vulkan betraten. Feuerblüte war stets immer bei mir gewesen. Dies war das erste mal, wo ich auf mich selbst gestellt war. Gut, ich hatte noch Dorn an meiner Seite, aber das war eben nicht dasselbe.

Das Magma brauste und spritzte in die Höhe, als der Rote Tod sich gereizt aufbäumte. Um die hundert Drachen kreischten dabei aufgeschreckt und flohen in jede erdenkliche Richtung. Ich erhoffte mir Zuflucht auf einem winzigen Felsvorsprung, der mein Gewicht gerade so noch halten würde.

"Wie konnte sie es bloß wagen!", fauchte mich die Königin an und fletschte dabei ihre Zähne. So wütend war sie schon lange nicht mehr gewesen. Am liebsten hätte ich einfach die Flucht ergriffen, wäre in die Freiheit geflogen, doch das würde ich anschließend mit meinem Leben bezahlen müssen.

Immer wieder begann der grau-grüne Gigant Drohungen aufzuzählen, unterbrach sich dabei allerdings ständig mit einem so lauten Knurren, dass sogar das Magma anfing zu blubbern.
Schließlich kommandierte sie: "Ihr da!", dabei fixierte sie eine Schar von Riesenhaften Albträumen und Tödlichen Naddern, "Fliegt und sucht sie! Und kommt nicht ohne leere Klauen zurück!" Ihre Stimme war so tief und laut, dass die Besagten leise winselten. Nach einem bösartigen Zischen der Königin machten sie sich auch schon auf den Weg.

Ich sah ihnen verdutzt hinterher, mein Hals war wie zu gedrückt. Ich wusste es doch! Sie musste mit ihrem Leben zahlen, ich hatte es ihr doch gesagt!
Behutsam knarzte Dorn: "Feuerblüte hat einen guten Vorsprung. Mit ihrer Geschwindigkeit und Wendigkeit ist sie ihnen überlegen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie gefunden wird."
Erst jetzt hatte ich bemerkt, dass ich ein unkontrolliertes Wimmern ertönen ließ. Leicht beschämt sank ich meinen Kopf und versuchte meine Sorgen und Ängste zu verbergen.

•••

Die Suchtruppe war jetzt seit einigen Wochen unterwegs und seitdem verschärfte der Rote Tod die Überwachung ihrer Arbeiter. Da Feuerblüte nicht mehr da war, durfte ich mir eine Gruppe aussuchen, mit der ich lebenslang das Wikingerdorf attackieren werde. Würde ich - wie vorher auch - in jeder Gruppe anwesend sein, wäre es zu viel Stress für mich gewesen. Ich entschied mich natürlich für die Gamma-Gruppe, was für die Freundschaft zwischen mir und Dorn nur gutes versprach. Auch freundete ich mich seitdem mehr mit der braunen Gronckeldame namens Lavastein, Zisch und Klacks und Feuerschuppe an. Wir wurden nach und nach ein eingespieltes Team. Wenn wir im Einsatz waren, hielten wir uns immer gegenseitig den Schwanz frei. Natürlich musste ich dabei gut aufpassen, von keinem Menschenauge gesehen zu werden. Und das gelang mir bis jetzt auch immer.

•••

Heute hatte ich wieder mit der Gamma-Gruppe den Einsatz. Es war frühe Nacht und der Farbe vom Himmel zu urteilen, könnte meine schwarze Tarnung zu dunkel sein und somit auffliegen. Doch darum machte ich mir noch keine Gedanken. Viel mehr waren wir mit der Planung beschäftigt. Während die Gruppe und ich die Insel der Menschen ansteuerten, sprachen wir unsere Vorgehensweise ab. So wie immer.

Lavastein war zusammen mit einigen anderen Gronckeln für die Schafe zuständig; Zisch und Klacks wurden beauftragt, den Hühnerstall zu sprengen und anschließend die Yaks von der Koppel zu scheuchen; Feuerschuppe hatte die Aufgabe, die Waffenkammer in Brand zu setzen und Dorn und ich waren für die Rückendeckung zuständig.

Ein blonder Mann mit einem Holzbein und einer Hakenhand hat uns als erstes entdeckt und trommelte nun aufgeregt die Einwohner zusammen. Schon von weitem konnten wir das Kreischen kleiner Kinder hören und die Mütter rennen sehen.
Jeder Drache machte sich an seine Aufgabe, ebenso taten es auch die Menschen.

Während ich prüfend über die Dächer segelte, fiel mir wieder dieser kleine Junge auf. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht bahnte er sich seinen Weg durch die Menschenmasse, immer weiter zu dem Gebäude, wo der Einbeinige stand. Ich verstand zwar nicht das geringste Wort der Menschen, dennoch landete ich unbemerkt auf einem breiten Mast, dicht neben dem besagten Gebäude. Dieser Mast war so hoch, dass mein Schuppenkleid gut getarnt war.

"Grobian, ich muss dir unbedingt etwas zeigen!", quängelte der Junge. Ich konnte die beiden Menschen im Gebäude zwar nicht sehen, jedoch unterschieden sie sich deutlich von ihrer Stimme.
"Was hast du diesmal gebastelt, hm?"
"Das hier!"
"Und was soll das darstellen?"
"Siehst du doch. Das ist ein Schild mit einem Dolch in der Mitte. So kann man sich nicht nur schützen, sondern den Gegner zusätzlich noch verletzen!"
"Aha... Dumm nur, dass dieses... Ding... bloß aus einem Stück Rinde mit einem Ast in der Mitte besteht..."
"Vater lässt mich noch nicht an die Waffen. Er behauptet, ich würde mir mit Hilfe einer Axt in innerhalb von drei Sekunden meine eigene Hand abhacken."
"Damit hat er vermutlich recht. Los, Hicks, wird Zeit, dass ich dir beibringe wie man ein Schwert vernünftig schleift."

Daraufhin verstummte das Gespräch, stattdessen ertönte ein schrilles Zischen, welches nicht mehr aufhören wollte.

"Hey,", krächzte plötzlich Dorn, "Was machst du denn hier? Du weißt doch, dass du die Sprache der Menschen nicht verstehen kannst, Blödmann!" Der blaue Drache zögerte etwas, bis er schließlich dicht neben mir auf einem weiteren Mast landete.
"Ich weiß.", brummte ich und ließ meinen Blick auf das Gebäude ruhen.
"Das hier ist keine Mittagspause, komm schon, du könntest ruhig mal das Katapult da vorne ausschalten.", schlug Dorn mir vor und erhob sich daraufhin schon wieder in die Höhe.

"Ja, aber-", wollte ich noch äußern, doch da war sie bereits weg, "vielleicht ist dieser Junge ja auch ein Außenseiter..."

Es war schon seltsam, der einzige Nachtschatten im Drachennest zu sein. Alle sahen so anders aus, verhielten sich anders und hatten auch andere Fähigkeiten. Machte mich das zu einem Außenseiter?
Die Königin machte da jedenfalls keinen Unterschied, denn sie kommandierte mich mindestens genauso streng, wie sie es bei den anderen Drachen auch tat. Hatte ich nicht genügend Katapulte oder Gebäude zerstört, so galt auch bei mir die Todesstrafe.

Die Suchtruppe, welche nach Feuerblüte Ausschau halten sollte, war inzwischen wieder zurück gekehrt. Allerdings ohne meine Schwester. Da sie aber die Drohung des Roten Todes noch in Erinnerung hatten, besänftigten sie die Königin mit reichlich Fleisch, das sie auf ihrer Suche ergattert hatten.

Von Tag zu Tag vergaß ich mein Leben vor dem Drachennest. All die Erinnerungen mit Feuerblüte, Nachtflug und dem Rest der Nachtschatten verblassten langsam aber sicher. Dafür wuchs die Freundschaft mit Dorn, Lavastein, Feuerschuppe und Zisch und Klacks umso mehr.

Das Arbeiten für die Königin wurde für mich zum Alltag und das Zerstören des Dorfes zu einer Selbstverständlichkeit. Während alle Drachen sich bemühten ausreichend Vieh zu stehlen, machte ich meine übliche Aufgabe und ließ mich danach an einem guten Versteck nieder. Warum ich das tat? Ich beobachtete von meinem Standpunkt aus den Jungen. Er war wirklich eine Plage für das Dorf. Unbrauchbar wurde er von jedem Wikinger beschimpft. Was sie zu ihm sagten, wusste ich nicht. Aber ich wusste, dass er sich sichtlich unwohl fühlte.

Aus der Zeit entstanden Jahre. Schwere, harte Jahre. Sieben Jahre, um genau zu sein. Sieben lange, lange Jahre und dennoch keine Veränderung. Feuerblüte blieb verschollen, Nachtflug kam nicht wieder und meine Familie war weg. Für immer. Ich würde niemals eine Familie gründen können. Niemals einen weiblichen Nachtschatten meine Frau nennen können. Und niemals würde ich Kinder haben. Ich führte ein Leben in Isolation. Zumindest war ich in einem Vulkan gefangen und getrennt von allen Nachtschatten weltweit. Dies und noch viel mehr wurde mir in diesen sieben Jahren bewusst. Ich wuchs heran, war kein Kind mehr. Nicht mehr so naiv und eingebildet wie früher. Der Gedanke, dass ich nun mein halbes Leben lang für die Königin arbeitete, fraß mich innerlich auf. Es war einfach schrecklich, was für ein Leben ich führte.

Und wahrscheinlich würde mein Leben auch so enden, würde uns die Königin nicht in dieser Nacht beauftragen, das Dorf anzugreifen.

Denn in dieser Nacht passierte etwas schreckliches...

Ohnezahns LebensgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt