Fütterungszeit

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Hicks wank mich zu sich rüber und zusammen trotteten wir in Richtung der Höhlengasse, von der wir hierher gelangten.
Schlagartig rammte ich meine Krallen ins Moos und stoppte.

"Nicht schon wieder dieser enge Weg!", schnaubte ich und legte die Ohren an.
Hicks verstand erst nicht, aber seine Mutter schon, denn sie lächelte: "Keine Sorge, diesmal nehmen wir den drachenfreundlicheren Ausgang."
Sie stellte sich auf Wolkenspringers Halsbeuge, streckte ihren Stab empor und ritt mit ihrem Drachen in die Höhe.

Der Alpha bemerkte das und stieß ein Röhren aus. Seine Untertanen reagierten sofort und schwangen sich in die Lüfte.
Wolkenspringer entfachte seine vier Flügel und kommandierte: "Alle mitkommen! Fütterungszeit!"
Jubel trat auf, es wurde stürmisch in der Eishöhle. Schwärme bildeten sich, Freunde und Familien flatterten zusammen dem Sturmbrecher hinterher, es entstand ein Wirbel. Aber es war keineswegs chaotisch, jeder Drache wusste sich zu formatieren und die Reihenfolge einzuhalten. Hier herrschte ein Zusammenhalt. Ohne diesen würde sich der Strom an Drachen stauen, es gäbe Streitereien und Kämpfe. Aber nein, diese Drachen hier - diese tausenden Drachen hier - wussten mit der Menge umzugehen. Das war beeindruckend.

Bevor wir Wolkenspringer aus den Augen verloren, kletterte Hicks in den Sattel und wir hetzten seiner Mutter hinterher.
Es war laut. Der Lärm hallte in der Höhle. Umso schwieriger war es, die Flugbahn einzuhalten und Wolkenspringer zu folgen.

Wir flogen zwischen zwei Felswände hindurch. Diese waren mächtig und reich an Pflanzen bewachsen. Die Lücke, durch die wir uns bewegten, war viele Meter breit. Oberhalb der Felswände ragten Bäume aus der Erde, Lianen baumelten herab, Gras und Moos bedeckten das Gestein. Es war tropisch, die Luft zwischen den Felsen war rein und frisch. Ich blinzelte nach unten, vorbei an den massigen anderen Drachen, die unter mir flatterten. Ganz, ganz unten gluckerte Wasser. Es war ein Fluss, der die gesamte Schlucht entlang lief.

Ich blickte genauer hin und entdeckte allerlei Gezeitenklasse-Drachen aller Art.
Glutkessel, Donnertrommler, Schrecken der Meere, Tiefseespalter, Flutsegler, Glattstreicher und Schiffbrecher schwammen im Wasser stromaufwärts.
Sie tauchten glücklich im Fluss und verfolgten uns. Sicherlich lebten sie ebenfalls in der Eishöhle und machten sich mit uns zusammen auf den Weg, etwas zu fressen.

Ich beschleunigte mein Tempo, überholte Drachen, bis ich Wolkenspringer erreicht hatte.
"Was ist mit den Drachen, die nicht fliegen können?", fragte ich den Sturmbrecher.

Er schielte zu mir hinüber und brummte: "Dafür sind die Donnertrommler zuständig. Mit ihren übergroßen Mäulen sammeln sie vielerlei Fische unterschiedlichster Gattungen. Wenn wir wieder in der Eishöhle angekommen sind, verteilen die Donnertrommler ihre Beute an die verletzten Drachen. Rein theoretisch müsstest du auch im Nest warten, bis wir wieder zurück sind."
Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen bei seinem letzten Satz.

"Musst du mich denn ständig damit aufziehen, dass ich alleine nicht fliegen kann?", knurrte ich.
Er antwortete nicht und das war für mein Temperament auch besser so.

Jetzt hatten wir den Ausgang erreicht.
Titanische Eissplitter krönten das Ende der Felswände, als seien sie ein Eingangstor für jeden Drachen.
Die Masse löste sich auf, als wir die Eishöhle hinter uns ließen und jeder geräumigen Platz zum Fliegen hatte. Die Halbstarken preschten durch die Wolken, während die ruhigeren sachte übers Meer glitten.
Schrecken der Meere sprangen aus dem Wasser und Glutkessel planschten spielerisch herum. Es war erstaunlich, dass die beiden Drachenarten in Harmonie zusammen lebten, obwohl sie natürliche Feinde waren.

Wolkenspringer röhrte kräftig, woraufhin er die Aufmerksamkeit aller Drachen für sich gewann.
"Hier entlang! Folgt mir!", gab er die Richtung an und flatterte in die Ferne. Hicks trat in das Pedal, sodass ich die Geschwindigkeit erhöhte und den Sturmbrecher einholte.

Ohnezahns LebensgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt