Flugunfähige Langeweile

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Langsam bekam ich Kopfschmerzen vom ganzen Geschrei der Drachen. Wie ein buntes Band am Himmel flatterten sie in den Horizont, wohin es ging wusste ich nicht. Zudem machten sich auch Bauchschmerzen breit, als ich sah, dass alle Drachen von Berk dem Strom folgten. Ich legte noch einen Zahn zu, schlug kräftiger mit den Flügeln und strebte das chaotische Wikingerdorf an.

"Schneller, Ohnezahn!", befahl Hicks und machte seinen Körper flach. Ich schnaubte einverstanden und wurde schneller. Da vorne war etwas, irgendetwas, dass die Drachen anlockte. Aber warum wurde ich nicht beeinflusst?

Mit einem steilen Sinkflug landete ich an den Klippen, am Rande des Dorfes. Plötzlich kam uns Sturmpfeil entgegen, begrüßte mich allerdings nicht.
Hicks sprang sofort vom Sattel und rannte auf die panischen Wikinger zu.

"Astrid!", rief er besorgt und rannte auf die blonde Wikingerin zu. Diese fragte Hicks völlig überstürzt: "Was ist hier los, Hicks? Wo fliegen die alle hin?" Dabei streckte sie ihren Arm in Richtung der Drachen aus, welche Berk verließen.

Aufgebracht kamen jetzt auch alle anderen Bewohner zu meinem Reiter. Sie versammelten sich um ihn und stellten alle auf einmal Fragen. Als erstes wollte ein bärtiger Mann wissen: "Warum fliegen die weg?" Direkt im Anschluss erkundigte sich eine Frau schockiert: "Was ist passiert?"
"Und wenn sie nicht mehr zurück kommen?", informierte sich ein schwarzhaariger Wikinger.

Immer mehr Menschen bombardieren Hicks mit Fragen, während er die Masse beruhigen wollte: "Stop, wartet!"
Ich wollte mich gerade mit Gebrüll einmischen, als Haudrauf mir zuvor kam: "Beruhigt euch! Er kommt ja gar nicht zu Wort!" Seine Stimme war laut und volltönig, sodass viele Berkianer sofort verstummten. Schon fast genervt drängte sich das Stammesoberhaupt durch die Menge und bahnte sich seinen Weg zu Hicks.
"Hicks, mein Junge, wo fliegen unsere Drachen hin?", wollte er nun mit ruhiger Stimme von seinem Sohn wissen.
"Vater... Ich weiß es nicht...", gab dieser ehrlich zu, woraufhin ein Seufzen des rothaarigen Wikingers folgte.

Plötzlich hörte ich Sturmpfeil nach mir rufen: "Hey, Ohnezahn! Wir sehen uns dann in ein paar Wochen!" Der blaue Drache wollte den anderen gerade folgen, als ich sie irritiert abhielt: "Wo fliegt ihr denn hin? Ich weiß von nichts!"

"Na, es ist Brütezeit!"
"Und das bedeutet was?"
"Wir alle ziehen uns für eine Weile zurück, um unsere Eier zu legen! Das bedeutet ich werde Mama!", verkündete sie begeistert, ehe sie sich von mir verabschiedete und sich auf den Weg machte. Ich sah ihr verdutzt hinterher. Sturmpfeil wird bald Kinder haben!
All die Zeit war mir nicht bewusst, dass Sturmpfeil und theoretisch auch ich eine Familie gründen könnten. Eine richtige Familie mit Frau und Kindern. Ich hielt kurz inne. Als Drache war es nicht ungewöhnlich mit fünfzehn Jahren Eier zu legen. Selbstverständlich gab es auch viele von uns, die erst mit dreißig oder vierzig Jahren Schlüpflinge bekamen. Sich Sturmpfeil als Mutter vorzustellen, war ein seltsames Gefühl. Früher waren wir noch Kinder gewesen und hatten im Auftrag der Königin gearbeitet. Und jetzt sind wir älter geworden. Schon fast erwachsen.

•••

Es war bereits alles dekoriert. Der Snoggletok-Baum stand inmitten des Dorfes, beschmückt mit vielerlei Schildern, die ein Tödlicher Nadder - vermutlich Sturmpfeil - befestigt haben musste. Eigentlich würden die Wikinger jetzt fröhlich feiern, aber dazu waren sie natürlich nicht in Stimmung. Und auch ich war nicht glücklich. Sturmpfeil, meine anderen Freunde und überhaupt alle Drachen würden jetzt für einige Wochen weg sein. Das würde eine lange Zeit werden.
Ich war jetzt der einzige Drache auf Berk.

Der Nachmittag verlief schleppend. Ohne Drachen war es nicht das Dorf, das ich kannte. Mir war langweilig und ich hatte keine Beschäftigung. Noch nicht einmal Hicks nahm sich Zeit für mich, er hielt sich nur bei Astrid und den anderen Drachenreitern auf. Zumindest hatte er mir den Gefallen getan, den Sattel abzuschnallen. Aber das war auch gleichzeitig ein Zeichen von ihm, dass er heute nicht mehr mit mir fliegen würde.

Ohnezahns LebensgeschichteWhere stories live. Discover now