Das war ich

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Der Wind legte zu, die Kälte stieg und es fielen Milliarden von Schneeflocken auf die Erde hinab. Viele davon schmelzten auf meinen Schuppen und ließen mich frieren. Angestrengt kniff ich meine Augen zusammen, vor lauter Kälte hatten sich dicke Tränen in ihnen gebildet.
Ich hatte die Dracheninsel bereits umrundet und suchte nach einer Landemöglichkeit. Ich brauchte Schutz, denn dem Anblick der Wolken zu urteilen, würde es schon bald einen Schneesturm geben.

Ich zog meine Flügel ein Stück ein, balancierte mich in die Tiefe hinab und fegte dicht über das Meer. Einige Felsen, dessen Enden zu gefährlichen Spitzen verliefen, ragten monströs aus dem Wasser. Geschickt legte ich mich in die Kurven, um jedem Gestein auszuweichen. Die Kälte setzte noch einmal an und ließ meine Flügelhäute zittern. Ein letztes Mal atmete ich tief den Duft des Meeres ein, ehe ich über den festen Boden fegte und fieberhaft nach einem Unterschlupf suchte. Ich kannte die Insel gut und mir war klar, dass ich auch in den unaktiven Vulkan fliegen konnte, aber dort war mir die Magmakammer zu riesig und zu heiß, als dass ich mich entspannen könnte.

So entschied ich mich für eine gut getarnte Höhle. Sie war klein und im Schutt der Steine versteckt. Die auf dem Boden liegende Asche hatte sich mit dem Schnee vermischt und ergab eine graue Masse. Die Zahnräder meiner Prothese rasselten leise, als sie ihre Runden flitzten und das schwarzer Leder schlossen.

Ich trat in die verschneite Asche, welche daraufhin ein matschiges Geräusch von sich gab. Vorsichtig zwängte ich mich durch den Eingang der Höhle und betrat den Innenraum. Es schien, als wäre dies nicht eine gewöhnliche Höhle, sondern das zerbombte Innere eines Felsens. Alles sah so zerstört und verbrannt aus. Vielleicht hatte ein Wikinger mit einem Katapult diese Felswand gesprengt, als sie mit mir einst gegen den Roten Tod kämpften? Das vermeintliche Katapult könnte diesen Eingang und Hohlraum erschaffen haben, somit entstand diese Höhle.

Ich grummelte nervös, als ich an den Kampf denken musste. Er war hart gewesen. Die nun zertrümmerte Dracheninsel war der existierende Beweis dafür. Alles war zerstört, verbrannt und zerbombt. Dass hier vor einigen Monaten mehrere Millionen Drachen gelebt hatten, war unvorstellbar. Geradezu unmöglich. Genauso unmöglich war die Erkenntnis, dass ich dieses Chaos angerichtet hatte. Es war mehr oder weniger meine Schuld gewesen. Wegen mir war diese Insel kaputt.

Ich untersuchte achtsam den Innenraum des Felsens. Hier würde ich heute Nacht schlafen. Als ich ihn für sicher erklärt hatte, verschaffte ich mir Nahrung.
Ich segelte langsam über das Wasser und fokussierte mich auf ein Schwarm Fische. Die Wellen machten meine Jadt nicht leichter, aber der zur Hälfte gefüllte Korb hatte für einen ganzen Tag einfach nicht gereicht.

Bekanntlicherweise war ich noch nie gut im Fischefangen gewesen, das stellte sich heute auch wieder heraus. Immer wieder schnappte ich in die Leere und statt Fische füllte das Wasser mein Maul. Das Salz war nicht sonderlich appetitlich und ließ mich husten. Ich brauchte mehrere Anläufe, bis ich das erste Futter erwischte. Sorgsam lagerte ich alles an meinem Schlafplatz und fischte weiter, bis ich einen ausreichenden Haufen gesammelt hatte.

Hungrig ließ ich meine Zunge über meine Lippen gleiten und schmatzte laut. Dann machte ich mich an meine Mahlzeit heran.
Während ich die Fische kaute und hinunter schlang, musste ich wieder an Hicks denken. Mein Freund ging mir einfach nicht aus dem Kopf, egal wie sehr ich mich ablenkte. Das Fischefangen hatte mir noch einmal klar gemacht, wie gut ich es eigentlich bei den Menschen hatte. Denn bei ihnen musste ich noch nie Fische fangen. Hicks oder Haudrauf hatten mir jedes Mal ein bis zweimal am Tag einen großen Korb mit Fischen hingestellt, der mich für einige Stunden sättigte.
Aber jetzt war ich auf mich allein gestellt. Ich war jetzt ein freier Drache... ein wilder Drache. So wie früher.

•••

Die Fische waren bereits vernascht, der Nachmittag jedoch noch da. Natürlich vermisste ich es nicht der verstorbenen Königin zu dienen, aber ich wollte mir das Drachennest noch einmal anschauen. So kroch ich aus meinem Unterschlupf hinaus und schwang mich in die Lüfte. Ich umkreiste einmal den Vulkan und er war wirklich nicht mehr derselbe gewesen. Überall hatten sich riesige Löcher an den Wänden gebildet, die Öffnungen waren weit aufgerissen, das Gestein mit einer dicken Schicht Asche bedeckt und die Steine waren von Rissen gezeichnet. Das nannte ich Zerstörung.

Ein wenig abseits des Vulkans traf mein Blick die mit Abstand größte Zerstörung dieser Insel. Der Krater.
Er hatte sich ausgiebig verbreitet und war das deutlichste Kennzeichen eines Kampfes schlechthin. Ich flatterte hibbelig mit meinen Flügeln und zog meine Beine noch enger an meinem Bauch. Ich fühlte mich schwer und zweifelte an der Belastbarkeit der Prothese. Mein Verstand wollte mich in die Irre führen. Aus welchem Grund auch immer hatte ich Angst, dass ich jeden Moment in die Vertiefung gerissen werde. Dorthin, wo die Königin ihren Tod fand.

Ich umrundete den Krater aufmerksam und malte mir Bilder und Szenarien aus, mit welch einer Geschwindigkeit der Rote Tod in die Erde geprescht sein musste. Von den Schmerzen ganz zu schweigen.
In Gedanken versunken landete ich wieder vor meinem vorübergehenden Schlafplatz und dachte nach. Es schien als wäre mir jetzt erst klar geworden, was ich vor einigen Monaten überhaupt angerichtet hatte. Ich hatte nicht nur die Insel zerbombt, sondern auch die Königin getötet und einen meterweiten Graben geschaffen. Na ja, ich hatte etwas Hilfe von Hicks und den anderen Drachen und Wikingern bekommen. Aber für das meiste war ich verantwortlich.

Der Abend brach schneller an als gedacht und da mir mein vorzeitiger Unterschlupf noch fremd war, wollte ich kopfüber schlafen. Falls Gefahr drohen sollte, wäre ich mit dieser Schlafposition am schnellsten angriffsbereit. So setzte ich meinen Gedanken in die Tat um und suchte nach etwas, was mich die Nacht über halten könnte. Vielleicht eine Wurzel oder ähnliches?
Schließlich entdeckte ich einen passend geformten Stein, an dem ich meinen Schwanz schlingen konnte. Ich angelte mich gekonnt daran fest und ließ mich vorsichtig nieder. Jetzt baumelte meine Schwanzflosse vor meinen Augen herum, was mich jedoch nicht störte. Langsam drehten sich die Zahnräder des Ersatzgliedes und die Prothese schloss sich zeitgleich mit meinen Augen.

Am nächsten Morgen wachte ich ausgeschlafen auf. Ich blinzelte und war erleichtert, dass mein Versteck auch tagsüber recht schattig und dunkel war. Gähnend sah ich mich um und ließ mich auf den Boden fallen. Es tat gut, wieder richtig auf dem Boden stehen zu können. Ausgiebig streckte ich mich und trottete nach draußen. Die gesamte Dracheninsel war mit Schnee bedeckt, welcher mich sofort blendete. Ich wich knurrend zurück, bis meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnten.

Und jetzt erinnerte ich mich auch an letzte Nacht. Denn ich wurde vor einigen Stunden von einem heftigen Schneesturm geweckt, der zweifellos Spuren hinterlassen hatte. Der Wind heulte und klatschte so laut an der Felswand, dass für einige Minuten an Schlaf nicht zu denken war. Und trotzdem war ich ausgeruht. Fit genug, um mich auf die Suche nach anderen Inseln zu machen. Ich hatte schon überlegt wieder nach Berk zurück zu kehren, aber ich verwarf den Gedanken schnell. Hicks hatte bestimmt eine lange und schlaflose Nacht hinter sich gehabt und trotzdem wollte ich jetzt nicht zu ihm. Er hatte mir das freie Fliegen möglich gemacht, also sollte mein Reiter auch Verständnis dafür haben!

Nach dem Frühstück, welches ich nach vielen misslungenen Versuchen zubereitet hatte, machte ich mich auf die Erkundungstour. Ich war von Natur aus ein sehr neugieriger Drache, weshalb ich auch andere Inseln und womöglich auch andere Drachen kennen lernen wollte.

Der Flugwind spielte bei meiner Lust auf Abenteuer leider nicht wirklich mit, wodurch ich viel Kraft investierte, gegen ihn anzukommen. Er peitschte gnadenlos an meinen Flügeln und ließ mich frösteln. Es schneite zum Glück nicht, aber die Kälte in der Luft war schon schlimm genug. Immer wieder drehte ich meinen Kopf beiseite und öffnete meine Augen nur zu kleinen Schlitzen. Sie tränten und brannten, so eisig war es. Auch meine Ohren flatterten in beliebige Richtungen und ließen mich am Nacken frieren. Ich brauchte Land. Eine Landemöglichkeit. Ich musste landen. Egal wo!

Ich hatte viel mit dem Gegenwind zu kämpfen und war bereits eine Stunde unterwegs. Stetig kam ich zehn Meter voran, wurde jedoch fünf Meter wieder zurück gedrängt.
Ich strebte den Osten an, warum auch immer. Mein Ziel war es irgendwo zu sein, wo ich noch nie war. Und der Osten war so ziemlich die unbekannteste Himmelsrichtung in die ich jemals geflogen bin.

Nach einer Weile erblickte ich eine Inselgruppe. Ich hatte Land entdeckt! Endlich!
Nach genauerem Betrachten ähnelte der Umriss dieser Inselgruppe einer menschlichen Hand. Ich grinste beeindruckt und steuerte auf den 'Daumen' zu. Ich nahm an Höhe ab und positionierte meine Flügel ein wenig um, als sich der Wind sachte wechselte. Der aussehende Daumen war seltsamerweise mit viel Nebel umhüllt, was meine Neugier noch mehr anspornte. Alles war neblig, schon fast rauchig. Diese Insel hatte ich noch nie gesehen und genau das war der Grund, weshalb ich sie mal besuchen sollte.

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Hey ihr Lieben!
Es gab wohl Probleme beim Update, darum erscheint dieses Kapitel erst jetzt.

Ohnezahns LebensgeschichteWhere stories live. Discover now