Langer Heimweg

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Wir redeten noch viel über unsere Vergangenheit. Ich vertraute Mondstaub und gab viele persönliche Erlebnisse und Gefühle preis. Doch dasselbe tat auch er. Er scheute sich nicht vor mir. Im Gegenteil: Die tiefgründigen Gespräche schienen ihm gut zu tun. Als wolle er all seine Sorgen und Ängste aussprechen. Sie loswerden, sie von seinem Herzen abschütteln.

Nach einer halben Stunde verlor der ältere Nachtschatten sogar eine Träne. Mit liebevollen Augen lächelte er mich an. Unsicher lächelte ich zurück.

"Ach mein Junge, weißt du eigentlich, wie gut du tust?", seufzte er nun erleichtert, alle Bedenken ausgesprochen und losgeworden zu haben.

Ich bedankte mich herzlich, schüttelte aber innerlich auf die Antwort seiner Frage mit dem Kopf.

Nein, meiner Familie habe ich noch nie gut getan. Eher geschadet. Doch Mondstaub war mein Vorbild. Er hatte seine Frau verloren, anschließend seine Tochter. Und was machte er? Er ließ die Vergangenheit zurück. Was passiert ist, ist passiert. Und so wollte ich es jetzt auch machen. Ich lebte in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit.

Schließlich verabschiedete ich mich von Mondstaub. Er war mein bester Freund geworden und es tat mir auch im Herzen weh, ihn zu verlassen.

"Mach's gut, Kleiner...", brummte er traurig und hoffnungsvoll zugleich in mein Ohr. Jetzt entfloh auch mir eine Träne. Um die Schmerzen möglichst schnell abzuschütteln, machte ich mich auf den langen Weg nach Hause.

Doch unzählige Gedanken plagten mich. Jetzt musste ich Mondstaub alleine lassen. Jetzt war er wieder seiner Vergangenheit ausgesetzt. Was würde er jetzt tun? Nun musste er wieder ein Leben in Isolation führen. Ein einsames, trauriges Leben.

Schritt für Schritt wurden die Sorgen in meinem Kopf schwerer. Schließlich stürzten sie nach unten in mein Herz. Ich fühlte mich schlecht, Mondstaub alleine zu lassen. Andererseits musste ich auch an meine Familie denken. Würde sie mich dafür hassen? Waren sie traurig? Haben sie mich etwa ver- ... nein! Vermisst haben sie mich bestimmt nicht!

Die Hitze haute mich um. Aus meinen Sorgen wurden verrückte Halluzinationen. Ich malte mir Szenen aus, wie meine Familie mich wohl empfangen würde.

~

"Oh, hallo Schatzilein! Wir haben dich ja so sehr vermisst! Na komm her, erzähl uns, was du alles erlebt hast, mein liebes Kind...", empfing mich Mama und schaute mich freudig an.
"Und? Hast du wieder mal einen Großen Überwilden abgemorkst? Oder einen Roten Tod? Ach, vielleicht hast du's diesmal ruhiger angehen lassen und hast nur einen Brüllenden Tod getötet...", vermutete mein Vater und belächelte mich stolz.

~

Nein, aufhören! Ich musste verrückt sein, um mir so etwas auszudenken. Was ich brauchte war Wasser. Frisches, kaltes Wasser, dass mein Maul und meinen Hals kühlte und meinen Magen füllte. Ja, irgendetwas flüssiges...

Hin und wieder sah ich einige Schreckliche Schrecken vor mir herumtanzen und singen. Sie sangen, wie schön das Leben doch sei und wie glücklich sie wären. Doch wenn ich mich ihnen näherte, lösten sie sich im Wind auf. Es war eine Phatamogana.

"Wenn die Blumen sprießen,
und alle miesen Riesen
sich der Sonne verbeugen
und ich sie beäuge,
ist der Sommer da,
ist der Sommer da!
Lalalalala, lalalalala!",

sang ich gelangweilt durch die Gegend und sah meinen Pfoten interessiert zu, wie sie im ungleichen Rhythmus herumtänzelten und schwankten. Ja, jetzt war ich sogar so weit, dass ich eigene Lieder komponierte und sie vor mir her trällerte. Toll Salir, du bist sehr einfallsreich! Lobte ich mich selbst und lächelte sogar stolz über mein eigenes, ironisches Kompliment.

Ohnezahns LebensgeschichteWhere stories live. Discover now