» Prolog «

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Das trockene Knistern des sich ausbreitenden Feuers war das einzige Geräusch, das an Jeremias Ohren drang. Er kämpfte sich keuchend und schwitzend durch die blutrünstige, nach Gewalt und Tod heischende Menge, stolperte dabei über Schuhe, stieß gegen Menschen und brachte kleinere Kinder zu Fall, die sich gleich darauf verängstigt wieder aufrappelten und in die Arme ihrer Eltern stürzten. Von allen Seiten folgten Jeremia hasserfüllte Blicke, doch er beachtete sie gar nicht. Sie prallten an ihm ab, waren ihm völlig gleichgültig.

Trotz des erdrückenden Lärms der aufgebrachten und vor allen Dingen erregten Meute, hörte er nur das Feuer. Die Menschen rissen ihre Münder zu markerschütternden Schreien auf, forderten lautstark Margarets Hinrichtung, aber Jeremia nahm nichts davon wahr. Sein Augenmerk lag auf dem großen, in den bewölkten Himmel ragenden Scheiterhaufen, von dem bereits dichter und stinkender Rauch aufstieg. Der Geruch erinnerte ihn unwillkürlich an nächtliche Lagerfeuer im Kreise der Familie, Margaret schlafend in seinen Armen gebettet, Iris mit einer Harfe auf einem umgekippten Baumstamm sitzend.

Aber jetzt, in diesem Augenblick, war nichts mehr so wie es sein sollte, wie es sein müsste. Alles war verquer und vollkommen falsch.

»Margaret!«, brüllte er aus Leibeskräften, als er endlich direkt vor der Ansammlung des Brennholzes stand und die zierliche Gestalt seiner Verlobten inmitten von Verrätern und Verbrechern ausmachte. Sie war an einen der Balken gefesselt, die Hände hinter ihrem Rücken, den Blick ausdruckslos auf die hetzenden Menschenmassen gerichtet. Selbst jetzt, selbst in diesem Moment, wirkte sie wie die starke und unbeugsame Frau, die sie immer gewesen war.

Seine zukünftige Frau.

Jeremia traten Tränen in die Augen.

Er war kurz davor, sich auf das Podest zu hieven und Margaret von den Fesseln zu befreien, seinetwegen auch bei dem Versuch zu sterben, als ihn jemand kraftvoll an seinem Hemd zurückriss.

Jeremia verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings zu Boden. Die starken Hände, die ihn vor seinem Vorhaben bewahren wollten, hielten ihn noch immer eisern umklammert.

Panisch schrie er auf. »Lasst mich los!« Er trat wie wild um sich, tat alles, um sich zu befreien - vergebens. Der Fremde kannte keine Gnade. »Margaret!« Sein Brüllen hallte über den gesamten Platz, worauf er hoffnungslos aufschluchzte. Es war zu spät.

Das Feuer breitete sich aus, verschluckte die zum Tode verurteilten Gestalten, die darauf warteten, bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden. Allmählich drangen durchdringende, entsetzliche Schreie, die Jeremias Haare zu Berge stehen ließen, aus dem Scheiterhaufen, darunter auch Margarets. Er kannte ihre Stimme besser als seine eigene.

Er konnte nicht länger an sich halten, gab seine Gegenwehr auf und ließ seinen Schmerz an die Oberfläche. Heftige Weinkrämpfe schüttelten seinen Körper, Tränen nässten seine Wangen und obszöne Flüche, ebenso wie Gebete, drangen über seine Lippen, vermischten sich mit dem gehässigen Jubel des Volkes. Seine Sicht verschwamm , worauf er das Züngeln der orangeroten Flammen nur noch unscharf sah, bis er irgendwann nichts mehr wahrnahm.

Weder schemenhafte Silhouetten, noch herzzerreißende Schreie und um ihr Leben flehende Stimmen. Nichts. Jedes Geräusch war unwiderruflich verstummt. Eine lähmende Stille legte sich über den großen Marktplatz. Selbst die Zuschauer wagten es nicht, jene Ruhe zu durchbrechen.

Der brechreizerregende Geruch von verbranntem Fleisch lag in der Luft und brachte Jeremia zum Würgen. Der Griff, mit dem er von irgendjemandem von hinten in Schach gehalten wurde, lockerte sich, sodass Jeremia vornüber fiel und sich schluchzend vor dem qualmenden Scheiterhaufen übergab. Alles, was er in den letzten Stunden zu sich genommen hatte, vermischte sich nun mit dem dreckigen Wasser, das nach dem letzten Regenfall über die Pflastersteine strömte und seine Hände umspielte. Er würgte noch einmal trocken, worauf er sich mit dem Ärmel über den Mund fuhr.

Die Menge zerstreute sich schließlich in einvernehmlichen Schweigen, kehrte zu ihrer eigentlichen Arbeit zurück, widmete sich wieder ihrem Alltag, den wirklich wichtigen Dingen.

Jeremia hingegen kniete verloren vor dem Schauplatz eines unmenschlichen Massakers, in dem er mittlerweile einzelne, bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leichen erblickte. Der Gestank war noch immer unerträglich und provozierte einen weiteren Brechreiz seinerseits, der aber nichts als Galle zutage forderte. Seinen gesamten Mageninhalt war er bereits losgeworden.

Margaret.

Seine süße, schöne, starke Margaret. Sie war nicht mehr da. Würde es niemals wieder sein. Der Schock über diese Erkenntnis lähmte ihn. Er konnte es nicht glauben. Er konnte es schlicht und einfach nicht glauben. Es war nicht möglich. Konnte es gar nicht sein.

Das Letzte, was er hörte, waren sich eilig entfernende Schritte, dann glitt er übergangslos in den seligen Zustand der Ohnmacht und brach endgültig zusammen.

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now