Kapitel 62

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Dashwood war wie Ashbrook eine imposante Stadt mit unzähligen aus moorbraunem Backstein gefertigten Häusern, die um den Marktplatz herum angeordnet waren und alle gleich aussahen. Nur die Größe der einzelnen Behausungen variierte. Das Schloss war wie das in Ashbrook von einem Garten und einem hohen Zaun umgeben und thronte düster über Dashwood. Im Gegensatz zu dem des Königs von Westenraa war diese Baut allerdings klobig und ungehobelt. Westenraa war wahrscheinlich allen Ländern architektonisch und kulturell überlegen.

Die beiden Soldaten, die uns aufgesucht und uns so bereitwillig Auskunft über ihre Lage erteilt hatten, gingen aufrecht an der Spitze unserer kleinen Gruppe, um uns den Weg zu dem - ihrer Ansicht nach - besten Gasthaus zu weisen, das es in Dashwood gab. Ich fand sie sympathisch und schätzte ihre Hilfsbereitschaft, hatte aber dennoch das Gefühl, etwas ginge nicht mit rechten Dingen zu. Als würde meine Magie etwas wahrnehmen, das falsch war, etwas, das so nicht sein sollte.

»Da wären wir«, verkündete der Jüngere und sah sich lächelnd zu uns um. »Hier werdet Ihr Euch nach Eurer langen Reise ausruhen und stärken können.« Er schnippte sich einen nicht existierenden Fussel von dem Jackenaufschlag seiner Uniform und deutete eine Verbeugung an.
»Es ist uns eine Ehre, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben, Sonnenanbeterin.«

Sie kannten also nicht nur die Prophezeiung, nein, sie wussten auch, wer ich war und über welche Kräfte ich verfügte. Ich wusste nicht genau, ob das gut oder schlecht war. Einerseits musste ich niemandem etwas vorspielen, doch andererseits... Ich drängte das ungute Gefühl zurück und bedankte mich freundlich, um sie loszuwerden. Ich musste meine Zweifel mit jemandem teilen.

Sie verabschiedeten sich tatsächlich recht schnell und verschwanden strammen Schrittes nach nur wenigen Sekunden aus unserem Sichtfeld. Raymond war der Erste, der irgendetwas tat, anstatt sinnlos herumzustehen. Er ging zur Tür des Gasthauses und klopfte energisch an, worauf er sie öffnete und uns mit einem Kopfnicken bedeutete, ihm zu folgen.

»Was machen wir mit den Pferden?«, fragte die Seherin und tätschelte ihrer Stute den hellen Hals. Das Tier schnaubte wohlig.

»Ich bin mir sicher, dass sie hinter dem Haus einen Stall haben, ansonsten würde ein Gasthaus wenig Sinn ergeben. Schließlich reisen die meisten Menschen mithilfe von Pferden«, meinte Raymond unbekümmert und ließ Jim in Brees Obhut, die die Zügel des Hengstes zwar in der rechten Hand hielt, ihm aber überdies keine Aufmerksamkeit schenkte. Sie mochte ihn nicht, fürchtete sich förmlich.

Ich betrat den Flur direkt hinter Raymond und spürte die Wärme eines Feuers, die uns entgegenschlug. Es fühlte sich gut an, aus der frischen Nacht ins Warme zu kommen, auch wenn die Luft im Raum eher stickig war und muffig nach alten Stoffen und Möbeln roch. Eine alte Frau in abgetragener Kleidung erschien plötzlich in der Tür zu einer Art Speiseraum und lächelte uns breit an. Sie hatte nicht allzu viele gute Zähne mehr, was ihr das Aussehen einer tatsächlichen Hexe verlieh, aber ich zwang mich, nett zurückzulächeln. Sie betrachtete uns eingehend, worauf sie uns mit knarzender Stimme willkommen hieß: »Ich bin schon über Euer Kommen informiert worden. Drei Zimmer, nicht wahr?« Erwartungsvoll blickte sie von mir zu Raymond, wo ihr scharfer Blick etwas länger verweilte, als würde sie etwas in ihm sehen, das anderen verborgen blieb.

»Drei?«, fragte ich. »Wir sind zu fünft.«

»Ja. Ein Zimmer für die zwei Seherinnen, eines für den Magier und einen für den Pferdezüchter und Euch.«

Ihr Grinsen ließ mich erschaudern.

»Nein, ich-«, setzte ich an, wurde allerdings jäh von ihr unterbrochen.

»Tut mir leid, ich habe nur noch drei Zimmer«, sie lachte gackernd, »mehr gibt es nicht, alles vermietet.«

»Das ist doch wohl nicht-«

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now