Kapitel 49

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Scharf sog ich die Luft ein und starrte den verwahrlost aussehenden Mann ungläubig an.

»Olivia«, wiederholte er mit rauer Stimme.

Dann ging alles ganz schnell.

Im Bruchteil einer Sekunde sprang Jeremia von seinem Reittier, stürmte auf ihn zu und riss ihn mit sich zu Boden. Plötzlich hatte er einen kleinen Dolch in der Rechten und hielt ihn mit grimmiger Entschlossenheit an den Hals des alten Mannes. »Wer, zum Teufel, Seid Ihr? Wie lautet Euer Auftrag? Hat der Offizier Euch geschickt? Oder gar Taron?«

»Jeremia!«, schrie ich schockiert, ließ mich eilig von Kates Rücken gleiten und ignorierte den Schmerz in meinem linken Bein, als ich ein wenig zu hart auf dem laubbedeckten Boden aufkam. »Was tust du da?«

Er fuhr zu mir herum, allerdings nicht ohne damit aufzuhören, die todbringende Waffe auf den sich windenden Mann zu richten. In seinen Augen las ich Verständnislosigkeit.

»Ich kenne ihn«, erklärte ich hektisch gestikulierend »Lass ihn sofort frei.«

Jeremia kniff seine dunklen Augen zusammen, leistete meinem Befehl aber widerwillig Folge.

»Hergott«, zeterte Raymond, währender sich außer Atem aufsetzte und Jeremia wütend ansah. »Dass unsere Begegnung so stürmisch werden würde, habe nicht einmal ich erwartet.«

»Wer Seid ihr?«, wiederholte Jeremia unbeirrt.

»Raymond«, antwortete ich an seiner statt und schloss ihn fest in meine Arme. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ich ihn seit meiner Abreise aus Ashbrook vermisst hatte. Dann aber ging mir auf, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. »Wartet. Was macht Ihr hier? Wie habt Ihr mich gefunden?«

»Habt ihr etwas zu essen? Ich habe großen Hunger.«

»Und ein Bad könntet Ihr auch vertragen«, fügte Cyryl mit einem breiten Grinsen hinzu, während er den Beutel mit dem Gebäck vor Raymond in Sicherheit brachte.

Ich funkelte ihn wütend an. »Gib ihm etwas zu essen!«

Marten schüttelte den Kopf, als wäre es ihm völlig gleichgültig, dass ich mit seinem Freund sprach und nicht mit ihm. Er fühlte sich offenbar angesprochen. So funktionierte ihre seltsame Partnerschaft. »Wir wissen nicht, wer er ist. Oder was er will. Wo er herkommt. Mit einem Fremden Proviant zu teilen käme einem Sakrileg nahe.«

»Ich kenne ihn«, meldete sich die Seherin zu Wort, nachdem sie die Szene eine Weile lang schweigend beobachtet hatte. »Er ist Bibliothekar im Schloss des Königs. Und er versucht sich an Magie.«

Raymond reckte stolz das Kinn. »Ich versuche mich nicht bloß an Magie, ich beherrsche sie. In kleinen Teilen zwar, aber ich tue es. Und ich bin hier, weil es im Schloss nicht mehr sicher für mich ist. In ganz Ashbrook nicht.«

»Was ist passiert?«, fragte ich alarmiert. »Wurde der Widerstands ausgehoben?«

Geht es Connor gut?

»Nein, nichts dergleichen. Noch nicht. Der König ist noch immer genauso schlau wie vorher, aber der Offizier arbeitet unermüdlich an der Vernichtung jeglicher Aufstände, was ihm mehr oder weniger gelingt. Durch Einschüchterung des Volkes. Aber der Untergrund ruht nie. Und die Menschen sind unzufriedener denn je.«

»Es lebe die Revolution«, murmelten Cyryl und Marten synchron.

Jeremia verzog das Gesicht.

Ich wusste, wieso. Die Revolution hatte ihn um seine Liebe gebracht.

»Warum Seid Ihr dann hier?«

»Connor hat mich im Wald ausgesetzt. Ich sollte dich suchen. Und das habe ich auch gemacht, mithilfe meiner Kenntnisse in der Magie.« Er warf der Seherin einen bedeutungsschweren Blick zu, den sie mit der für sie üblichen kühlen Distanziertheit erwiderte. »Die Soldaten, die dem König gegenüber noch immer loyal und dem Offizier unterstellt sind, haben meine Bibliothek nach Hinweisen auf deinen Verbleib durchsucht. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was sie dort zu finden glaubten, aber dass sie auf die verbotene Literatur stoßen würden, die ich dort seit Jahren verwahre, hatten sie nicht erwartet. Der Schock war groß. Und der Offizier ließ mich sofort offiziell verhaften. Glücklicherweise war ich da schon außer Landes. Dank Connor. Ich weiß nicht, wie er das alles schafft, aber er hat mir mein Leben gerettet. Und jetzt würde ich gerne etwas essen. Bitte

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now