Kapitel 87

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Ich hörte jemanden meinen Namen flüstern, als ich meine Augen aufschlug und mich in tiefer, undurchdringlicher Finsternis wiederfand. Ich versuchte, irgendetwas zu erkennen, wenigstens Umrisse, doch da war nichts. Also streckte ich meine Hände aus und suchte nach etwas, das ich berühren konnte, etwas, das mir das Gefühl geben würde, nicht den Verstand zu verlieren.

Wo war ich? Warum fühlte und sah ich nichts?

»Alexandra.«

Ich kannte die Stimme, wusste, wer da sprach. Und doch verstand ich nichts und kämpfte weiterhin fieberhaft gegen die Dunkelheit an. Was war das hier? Was sollte das?

»Du befindest dich gerade im Zwischenraum. Ein furchtbarer Ort, ich weiß.« Ehrliches Mitgefühl klang in ihrer Stimme mit. »Aber ich verspreche dir, dass du bald wieder bei uns bist. Du musst dich nur noch etwas gedulden.«

Im Augenblick war mir völlig egal, dass ich mit Bree kommunizierte wie vor einiger Zeit mit der Seherin, Lavinia, die mich in meinem Traum besucht hatte, was bedeuten musste, dass die Betrügerin nicht mehr am Leben war.

Was für mich momentan wirklich von Bedeutung war, war ihre Aussage.

»Bei euch?«, wiederholte ich also. »Bin ich denn nicht tot?«

Ein bitteres Lachen ertönte. »Das warst du. So gut wie. Aber Kaelan hat alles Nötige getan, um dich wieder zurückzuholen. Und so langsam gelingt es ihm.«

Nein!, dachte ich entsetzt. So war das nicht geplant, ich wollte nicht zurück, wollte, dass es zu Ende war. Das war meine Entscheidung gewesen, niemand, nicht einmal der Eiskönig, hatte das Recht, mich gegen meinen Willen wieder zurückzuholen.

»Bree, ich-«

»Ich kenne dich. Ich weiß genau, was du tun wolltest und konnte das nicht zulassen. Und Kaelan genauso wenig.«

Und tatsächlich. Die Schwärze, die mich blind und orientierungslos machte, war schon weit weniger penetrant und erinnerte mich eher an Rauchschwaden.

Verdammt!

»Bitte, Bree«, flehte ich, weil mir nichts anderes einfiel. »Sag ihm, dass er es lassen soll. Ich möchte das so. Bitte, nimm mir diese Entscheidung nicht ab. Bitte.«

»Tut mir leid, Alexandra. Das Schicksal will es so...und Kaelan. Ich werde ihn nie und nimmer davon überzeugen können, dich aufzugeben. Er hat viel zu viel in deine Rettung investiert.«

»Warum das? Niemand hat ihn darum gebeten!«

Bree seufzte. »Weil er dich liebt. Ist das so schwer zu begreifen?«

»Das tut er nicht.«

»Ich bin die neue Seherin, Alexandra. Das bedeutet, dass ich Dinge sehe. Darunter auch das. Und dreimal darfst du raten, wer sich darum gerissen hat, meiner Vorgängerin den Garaus zu machen. Damit du dein Versprechen halten kannst.« Ein glockenklares Kichern.

Die Finsternis verzog sich mit jedem Augenblick mehr und mehr und nahm mir jede Hoffnung auf eine Wiedervereinigung mit meinem Liebsten.

Jeremia, dachte ich. Verzeih mir.

Als ich losließ, fielen meine Augen wieder zu. Aber nun war es kein endgültiger Schlaf mehr. Nein, es war das Warten auf ein nächstes Erwachen.

*

Es fühlte sich wie das Erwachen aus einem furchtbaren Albtraum an. Und eigentlich war es das in vielerlei Hinsicht auch. Ich war zurück in einer Welt, in der Jeremia tot war. Das war kein Ort, an dem ich sein wollte. Und trotzdem war ich hier, lebendig, in einem warmen Bett im Gehöft der Mahoneys in Wiesenthal. Gegen meinen Willen.

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now