» Kapitel 5 «

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Einige Zeit später - ich hatte jegliches Gefühl dafür verloren, konnte nicht einmal mehr den Wochentag mit Sicherheit bestimmen -, holten die Tyrannin und Soldat Fitzpatrick mich ab und brachten mich zum zweiten Mal in den großen Saal mit der kuppelartigen Decke. Genau wie zuvor standen ein halbes Dutzend Wachen der Königsgarde bewegungslos und stillschweigend vor sich hin brütend hinter den hölzernen Stühlen und sahen mich an. Ihre Blicke verrieten mir mehr als ich wissen wollte, sie waren ein weiterer Beweis dafür, dass ich niemanden hatte, der mir auch nur im Geringsten freundlich gesinnt gewesen wäre. Sie alle sahen einen Feind in mir, der hingerichtet gehörte, und verstanden nicht, warum das nicht längst geschehen war. Keine einzige Person würde mir helfen, mich zu befreien, ich hatte keine andere Wahl, als einzuwilligen und mich dem König zu verschreiben. Ansonsten würde ich mit dem Leben bezahlen und dazu war ich im Alter von gerade mal siebzehn Jahren noch lange nicht bereit.

Der Offizier saß als Einziger auf einem der Stühle und musterte mich mit einem gewissen Amüsement in den kalten Augen. Er kannte meine Antwort, ohne danach fragen zu müssen, tat es der Form halber aber trotzdem. »Ich frage dich, Olivia Capshaw, eine Sonnenanbeterin, im Beisein dieser loyalen und treuen Männer des Königs, ob du dich der Königsgarde anschließt oder den Tod erwählst.« Seine Stimme klang so feierlich, dass man glauben könnte, er würde einen Soldaten honorieren. Abwartend legte er den Kopf schief und gab einer der misstrauischen Wachen ein halbherziges Zeichen.

Der junge Mann, kaum älter als ich, trat vor und näherte sich mir langsam. Im Schein der Öllampen sah ich, dass ihm Schweißperlen auf der Stirn standen und seine Hände leicht zitterten. Es traf mich wie ein Schlag. Dieser Mann fürchtete sich. Er fürchtet sich vor mir! Der Schock, den diese Erkenntnis mit sich brachte, verwandelte sich in Kürze in erfüllende Genugtuung. Ich musste ihm nicht erklären, dass von mir keine Gefahr ausging. Meinetwegen konnte er sich bei dem Gedanken daran, ich könnte ihm zu nahe kommen, ins Hemd machen.

Ich begrüßte diese Tatsache.

»Sprich, Olivia Capshaw«, erhob der Offizier seine dröhnende Stimme und funkelte mich an. Er war mit seiner Geduld offenkundig am Ende.

Ich tat einen Schritt nach vorn und straffte tief durchatmend die Schultern. Ich würde diesen Menschen, diesen voreingenommenen, angsterfüllten Menschen, die sich nur im Vorteil sahen, weil sie in der Überzahl waren, zeigen, dass ich durchaus Mumm hatte und dass ich mich nicht unterkriegen lassen würde. Trotz ihrer Einschüchterungen und Drohungen. »Ich möchte dem König dienen«, sagte ich im Brustton der Überzeugung und verneigte mich vor dem Offizier. Ich hatte keine Ahnung, warum ich dies tat, aber irgendwie erschien mir diese simple Geste passend. Sie drückte einen Gehorsam aus, den ich keineswegs so empfand. Aber das konnte keine der versammelten Personen wissen und das war für mich von Vorteil.

Der Offizier verbarg seine Überraschung hinter einem listigen Lächeln und nickte mir anerkennend zu. »Du hast dich richtig entschieden«, erklärte er und kreuzte die Arme vor der Brust. »George, begleite Olivia auf ihr Zimmer.«

George, der noch immer eine gewisse Distanz wahrte, zuckte kaum merklich zusammen, beschloss dann aber, sich zusammenzureißen und ergriff nonchalant meinen Arm. Ich zischte wütend auf, weil er ihn mit seinen knochigen Fingern beinahe zerquetschte, woraufhin er mich losließ, als hätte er sich verbrannt und im nächsten Augenblick knallrot anlief. Er hatte sich vor seinen Kumpanen eine unverzeihliche Blöße gegeben; er hatte doch tatsächlich Angst gezeigt, oder zumindest Schrecken, und damit würden sie ihn in den kommenden Tagen unaufhörlich aufziehen. Wütend und frustriert griff er wieder nach meinem Arm, diesmal drückte er ihn noch fester, als wollte er mir seinen eigenen Ausrutscher heimzahlen.

Ich biss die Zähne zusammen und ignorierte den Schmerz.

Als der junge, peinlich berührte Soldat mit dem verkniffenen Gesichtsausdruck mich durch die Tür führte, durch die ich niemals zuvor gegangen war, und die mich nicht wieder in die winzige Zelle zurückführen würde, spürte ich den brennenden Blick der Tyrannin in meinem Rücken. Ich wusste nicht, wieso ich ihn so genau wahrnahm, aber so war es. Mir war, als würde sich eine ätzende Substanz auf meiner Haut ausbreiten.

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now