Kapitel 45

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»B..B...Bree«, stammelte ich völlig von der Rolle und wusste nicht, wohin mit mir. Ich hatte unzählige Male darüber nachgedacht, wie ich mich verhalten würde, was ich tun würde, wenn ich ihr irgendwann einmal wieder gegenüberstand und in ihre verträumten, sanften Augen blickte, und was tat ich jetzt? Nichts von alledem, was ich mir vorgestellt hatte.

Stattdessen stand ich da, wie festgewachsen, und zitterte am ganzen Körper.

All die Jahre, in denen ich mir Sorgen um sie gemacht hatte, all die Momente, in denen ich an unsere glücklichen Kindheitserinnerungen zurückgedacht hatte und mit einem Lächeln auf den Lippen die schwierigsten Aufgaben bewältigt hatte – all das stürzte nun auf mich ein, begrub mich unter sich und machte mir das Atmen unfassbar schwer.

»Olivia?«, drang Moyras besorgte Stimme an mein Gehör, verzerrt, irgendwie unwirklich, sodass ich sie ignorierte. Ich konnte nicht anders, als Bree anzustarren, als sei sie eine Erscheinung, etwas, das unter gar keinen Umständen tatsächlich existieren konnte, es aber doch tat. »Was hast du?«

Ein leichtes Rütteln an meiner Schulter, eine weitere Frage, nun von Yasarah. »Was ist mit dir?«

Dann kam ich wieder zu mir, langsam aber sicher, riss mich von Moyra und Yasarah los und überbrückte die Distanz zwischen mir und Bree, die mich ausdruckslos ansah.

Ich dachte mir nichts dabei, wie ich mir sooft nichts bei dem dachte, was ich tat und zog sie in eine feste, stürmische Umarmung. Sie fühlte sich so zerbrechlich an, so filigran. Trotzdem drückte ich sie ganz fest an mich und vergrub mein Gesicht in ihren blonden, offenen Haaren, die ihr sanft auf die schmalen Schultern herabfielen. Mein ersticktes Schluchzen war das einzige Geräusch, das den Raum erfüllte. Alle andere schienen die Luft anzuhalten.

»Bree«, wimmerte ich, noch immer zitternd und löste mich langsam von ihr, um ihr in die Augen zu sehen, die mir so leer erschienen, so fremd. Ich schreckte zurück und versuchte, meine schnelle Atmung und das Rasen meines Herzens zu kontrollieren. Ohne Erfolg. »Bree«, wiederholte ich, diesmal eindringlicher. Warum, zum Teufel, sagte sie denn nichts?

Schließlich, nach einer Weile, in der ich schon fast die Hoffnung auf eine Antwort ihrerseits verloren hatte, öffnete sie ihre wohlgeformten Lippen und sagte ein Wort, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
»Der Phönix.«

»Du«, presste ich hervor, »du brauchst mich nicht so zu nennen, das ist doch nur eine symbolische Bezeichnung.« Hilfesuchend blickte ich zur Seherin, die seelenruhig dastand und die Szene, die ich ihr bot, distanziert betrachtete. Ich verstand nicht, was hier vor sich ging und wandte mich wieder an Bree, die mich noch immer kühl musterte. Als wäre ich eine Fremde für sie. Ich schluckte. Hatte sie mich vergessen?
»Ich bin's, Olivia.« Alexandra, dachte ich im Stillen. »Deine Kindheitsfreundin, erinnerst du dich denn nicht? Wir haben immer zusammen unter dem Birnenbaum in deinem und dem Garten deines Vormunds gesessen und uns Geschichten über ferne Welten angehört.«

»Dieser Abschnitt meines Lebens ist vorbei«, sagte sie schließlich mit ihrer vertrauten Stimme, die so viel erwachsener klang, als damals, und legte den Kopf schief. »Es gibt ihn nicht mehr.«

»Wovon redest du, Bree? Wie kannst du das sagen?« Allmählich begann ich, meine Geduld zu verlieren. Ich umfasste ihre Schultern und rüttelte sie durch, damit sie endlich zur Vernunft käme, aber das geschah nicht.

Schließlich mischte die Seherin sich in das Geschehen ein. All die anderen Mädchen schauten uns bloß Verständnislos zu und wagten es nicht, auch nur ein Wort von sich zu geben. Dafür war ich ihnen dankbar. Ich brauchte diesen Moment, um eine grundlegende Tatsache zu verstehen.

Bree war nicht mehr die Sonnenanbeterin, die sie einst gewesen war.

Sie hatte sich verändert.

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now