Kapitel 43

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Beim Frühstück am nächsten Morgen brachte ich es nicht über mich, auch nur in Jeremia Mahoneys Richtung zu sehen. Ich hielt den Blick auf meinen Teller, der diesmal mit zwei belegten Broten bestückt war, gerichtet und leerte einen Becher Apfelsaft nach dem anderen. Camilla hatte mir erzählt, den hätten sie hier im Überdruss, was ich ihr in Anbetracht der unzähligen Apfelbäume gerne glaubte. Moyra schaute mich immer wieder prüfend von der Seite an und versuchte vergeblich, mich in ein Gespräch zu verwickeln, aber ich ging nicht darauf ein.

Was hätte ich ihr auch erzählen können? Dass ich einen Nervenzusammenbruch hatte, weil Jeremias Harfenspiel mich an einen längst vergangenen Moment aus meiner Vergangenheit erinnert hatte, der mir vor Augen geführt hatte, dass ich in Wirklichkeit Alexandra hieß?

Nein, ich konnte noch nicht darüber sprechen.

Also konzentrierte ich mich auf mein Frühstück.

Nach einer Weile verließen Moyra und Iris nacheinander das Zimmer, wie tags zuvor, um sich die Pferde anzusehen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich die beiden gerne begleitet, doch heute wollte ich einfach nur mein Training hinter mich bringen und mich dann in meinem Bett verkriechen. Ich fühlte mich so unendlich nutzlos und wollte Jeremia nicht länger mit meiner Anwesenheit behelligen, als es nötig war.

Nun war ich nämlich restlos davon überzeugt, dass er mich nicht leiden konnte.

Erst verteidigte ich in seinem Beisein Connor, den Mann, den er für den Tod seiner Verlobten verantwortlich machte, und dann erwischte er mich auch noch dabei, wie ich ihm hinterherspionierte. Was ich nicht getan hatte, aber mich am geöffneten Fenster stehen zu sehen, hatte ihm wahrscheinlich ebendies suggeriert.

Ich seufzte leise.

Yasarah, die in unmittelbarer Nähe saß, entging mein seelischer Zustand ebenso wenig, wie er Moyra entgangen war, aber anstatt mich mit Fragen zu löchern, wie es die dunkelhäutige Schönheit getan hatte, schenkte Yasarah mir nur ein aufmunterndes Lächeln, das ich sogar erwiderte.

Danach schien es mir tatsächlich etwas besser zu gehen.

*

Nach dem Frühstück fanden die Sonnenanbeterinnen sich in ihren vier Gruppen ein, während ich mich etwas abseits hielt und meinen Gedanken nachhing. Es mochte sich kindisch anhören, aber ich hoffte inständig, heute mit Marten und Cyryl trainieren zu können. Jeremia war der letzte Mensch, den ich an mir heranlassen wollte, geschweige denn berühren.

Aber meine stummen Gebte wurden nicht erhört.

Sobald wir uns auf der wiederhergestellten Traingsweide befanden, hörte ich Jeremia meinen Namen sagen. Indessen sah ich, wie Cyryl und Marten in die jeweils entgegengesetzte Richtung gingen. Ich schloss seufzend die Augen und hörte meinen Namen ein zweites Mal.

Dabei war das nicht mein Name. Ich hieß nicht Olivia, sondern Alexandra.

Trotzdem beschloss ich, meinen Lehrer nicht länger warten zu lassen und trat an seine Seite. Eigentlich war es keine große Sache. Ich konnte einfach so tun, als hätte es die gestrige Nacht und sein Harfenspiel nicht gegeben, ebenso wenig seinen Gesang, der mich völlig aus dem Konzept gebracht hatte. Professionalität. Das war es, was ich nun brauchte. Er würde mir sicherlich denselben Gefallen erweisen, hatte er doch auch keine Lust darauf, mit mir darüber zu sprechen.

»Ich habe dich gestern Nacht gesehen«, sagte er plötzlich, womit er mir den Wind aus den Segeln nahm. »Am Fenster. Als ich...als ich gespielt habe.«

Bildete ich es mir nur ein, oder war er verlegen?

Ich zuckte unbeteiligt die Schultern. »Ich hatte Durst und hab mir etwas zu trinken geholt.«

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now