Kapitel 78

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Bis morgen Mittag befindet Olivia Capshaw sich wieder in Gewahrsam des Königs. Sollte dem nicht so sein, wird die kleine Sonnenanbeterin eines grausamen Todes sterben. Genau wie das Mädchen, das ich euch als Mitgift zugeschickt habe. Ich hoffe, ihr wisst die Botschaft zu deuten.

Der Hass, der sich beim Lesen jener unbarmherzigen drei Sätze meiner bemächtigte, war mit Worten nicht zu beschreiben und mit Abstand das intensivste Gefühl, das ich jemals empfunden hatte. Meine Hände zitterten vor Wut und Verzweiflung, ehe ich das Schreiben in meinen Händen in Flammen aufgehen ließ. Die Asche rieselte zu Boden.

Jeremia legte mir eine Hand auf die Schulter, während Kaelan nach einer Schaufel griff und fluchend eine Grube auszuheben begann. Seine Bewegungen waren unbeherrscht, von einer solchen Ungehaltenheit erfüllt, dass seine Hände die ganze Zeit über in strahlend blaues Feuer getaucht waren. Innerhalb kürzester Zeit war das Loch groß genug für den geschundenen Körper des kleinen Mädchens, das ein ganzes Leben vor sich gehabt hatte. Der Offizier und seine Männer hatten es darum gebracht. Aus Boshaftigkeit und Angst.

Angst vor mir.

Es würde ein wahrer Genuss werden, es ihnen heimzuzahlen.

Der Meinung schien auch der Eiskönig zu sein, denn er kniete sich neben das leblose Mädchen und schloss mit größter Vorsicht, als könnte er ihr noch immer wehtun, ihre blicklosen Augen. Dann sagte er leise, aber doch so, dass alle Umstehenden ihn verstehen konnten: »Ich kann dir dein kostbares Leben nicht wiedergeben. Niemand kann das. Aber ich werde dich rächen. Auch wenn es das Letzte ist, was ich tue.« Damit nahm er das tote Kind - kaum älter als fünf - in seine Arme, trug es zu dem provisorischen Grab, das er für es geschaufelt hatte und legte es sanft hinein. Dann murmelte er ein paar für mich unverständliche Worte in einer fremden Sprache. Ich vermutete, dass es sich dabei um ein traditionelles Gebet aus seiner Heimat handelte und merkte erst später, dass mir Tränen über die Wangen liefen.

Jeremia kniete sich neben mich und umarmte mich fest. Sein Herz hämmerte wild an meiner Brust, seine Finger glitten über meine Wangen und trockneten meine Tränen. Das war der Augenblick, in dem ich beschloss, mich zusammenzunehmen. Ich war kein hilfloses, schutzbedürftiges Mädchen. Ich war eine Kriegerin. Und ich würde mich dementsprechend verhalten. Also löste ich mich von Jeremia, sah ihn dankbar an und erhob mich.

Raymond saß zusammengesunken am Zelteingang und betrachtete mich eingehend. Er schien zu spüren, dass etwas in mir vorging. Etwas Großes. Ich wandte mich an Kaelan. »Wie lange brauchen Eure Männer, um sich zu akklimatisieren und auf einen Kampf vorzubereiten?« Damit meinte ich die zahllosen Soldaten aus Rushworth, die ihre Zelte in der Nähe aufgeschlagen hatten und sich nun von ihrer Reise - wie auch immer diese geartet sein mochte, waren sie doch so unfassbar schnell hier angekommen - erholten und für den bevorstehenden Krieg Kraft sammelten.

»Kommt ganz darauf an, was du vorhast.« Der Eiskönig kam auf mich zu und blickte mich fragend an. In seinen Augen loderte ein mit goldenen Funken gesprenkeltes Feuer, das mir für einen Moment die Sprache verschlug.

»Ich möchte Cordelia befreien«, antwortete ich ernst und straffte die Schultern. »Heute Nacht. Ein Teil der Soldaten lenkt die abgestellten Wachen ab, während wir auf meinem ursprünglichen Fluchtweg ins Schloss einbrechen und Theodores Tochter da rausholen.«

Jeremia meldete sich zu Wort. »Ich übernehme die Wachen.«

Anerkennung blitzte in Kaelans Augen auf.
»Gut. Du nimmst so viele Männer mit wie du für nötig hältst und die restlichen Soldaten bleiben hier. Wir werden den abscheulichen Kindermördern den Krieg erklären, sobald die Sonne über Ashbrook aufgeht. Und dann werden sie sich wünschen, niemals geboren worden zu sein.« Sein Haar glänzte in der Sonne, sein Mantel blähte sich im aufkommenden Wind. Er sah aus wie ein wunderschöner, surrealer Racheengel.

Raymond trat zu uns und neigte den Kopf vor dem Eiskönig, der ihn geduldig ansah.
»Erlaubt mir, meine Kontakte zu nutzen, um Connor Lassester zu warnen. Er muss die Evakuation von Frauen und Kindern einleiten. Damit nicht noch mehr Menschen ihr Leben lassen müssen, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Die Männer wiederum, die Connor für den Widerstand und die infiltrierte Garde gewonnen hat, werden sich Euren Soldaten und denen aus Westenraa freudig anschließen. Darauf gebe ich Euch mein Wort.«

Ich wollte Kaelan warnen, wollte ihm sagen, dass ich mir bezüglich Connors Absichten ganz und gar nicht sicher war, doch ich schwieg. Alle schienen daran zu glauben, dass Connor in der Hinsicht absolut vertrauenswürdig war, selbst Jeremia, also würde ich ohnehin nichts ausrichten können. Außerdem musste ich der Wahrheit ins Auge sehen: Sollte der Thronfolger, den ich einst mit meinem naiven Mädchenherzen innig geliebt hatte, uns hinters Licht führen, würden wir allesamt untergehen. Ganz gleich, ob ich meine Warnung nun aussprach oder nicht, unser aller Schicksal wäre besiegelt. Deshalb zog ich es vor, nichts mehr zu sagen.

Worte waren überflüssig.

Nun ging es um Taten.

»So sei es«, meinte Kaelan bloß, ehe er sich abwandte und davonging, mit Sicherheit zum Lager seiner Soldaten. »Wir treffen uns um Mitternacht hier, Alexandra«, rief er mir über seine Schulter hinweg zu. »Und bete dafür, dass uns die Götter wohlgesinnt sind.«

»Wir haben nur einen Gott in Ashbrook«, erklärte ich überflüssigerweise und erntete ein trockenes: »Einer wird nicht reichen.« Dann war er auch schon aus meinem Blickfeld entschwunden.

»Die Sonnenanbeterinnen bleiben zunächst hier, nehme ich an?« Jeremias Stimme drang an mein Gehör und ich nickte. »Ja, sie sind unsere Wunderwaffe. Wir brauchen sie, sobald die Hölle losbricht auf dem tatsächlichen Schlachtfeld.«

Jeremia nickte und stieß einen tiefer Seufzer aus, den ich absolut nachvollziehen konnte. Wir lächelten uns zittrig an. »Nun ist es also soweit.«

»Ja«, sagte ich. »Das ist es, worauf ich mich seit Wochen vorbereite.«

Er kam auf mich zu und küsste mich zärtlich auf die Stirn, während ich mich an ihn lehnte und meine Furcht auszuschalten versuchte. Was wir taten war richtig, unabwendbar und zu alledem notwendig, um Ashbrook zu einem Land zu machen, das nicht von Fremdenhass und Tyrannei bestimmt wurde.

Ich lächelte meinem Verlobten zu und nahm sein Gesicht in meine Hände. Dann drückte ich ihm einen Kuss auf die Lippen und sah ihm tief in die warmen dunklen Augen, die ich von Anfang an so sehr an ihm gemocht hatte. Sie zeugten von seiner zerrissenen Seele, die langsam aber stetig verheilte. Das Leuchten, das neuerdings in ihnen lag, war Beweis genug.

»Versprich mir, dass du zu mir zurückkommst, Alexandra«, wisperte er.

»Du weißt, dass ich das nicht kann.«

Er schloss seine Augen und atmete tief durch. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch.« Er zog mich fest in seine Arme. Ich schloss meine Augen und genoss seine Wärme.

Was ich bei Jeremia gefunden hatte, war mit meinen Gefühlen für Connor nicht zu vergleichen. Er glaubte an mich, glaubte daran, dass ich siegen konnte, schenkte mir Geborgenheit und Sicherheit. Und ich hoffte inständig, dass dieser Krieg mich nicht um all das bringen würde.

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Jepp, das ist mal ein kürzeres Kapitel. Das kürzeste im ganzen Buch, nehme ich an. Das allerdings nicht ohne Grund, denn dieses Kapitel trennt euch - tadaaa - vom großen Finale! Ich bin so verdammt müde, das glaubt ihr mir gar nicht. Dabei gehe ich erst seit gestern wieder in die Schule... Ich nehme mir jeden Abend vor, früher schlafen zu gehen aber tja...es funktioniert einfach nicht. Vielleicht heute. Mal sehen.

Gute Nacht euch jedenfalls! ^^

BORN TO BURN (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt