Kapitel 31 «

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Eilig ging ich auf Raymond zu. Connor rief mir noch etwas hinterher, doch ich verstand ihn nicht. Meine Gedanken konzentrierten sich allesamt ausschließlich auf den Bibliothekar, der meinen Arm ergriff, sobald ich ihn erreicht hatte, und mich in dieselbe entlegene Nische führte, in der ich mich vorhin mit George unterhalten hatte.

Dann blickte er mir tief in die Augen und seufzte. »Es tut mir so leid, Olivia.«

Es schnürte mir die Kehle zu. »Was tut Euch leid? Habt Ihr sie nicht da rausholen können? Gibt es keinen anderen Weg, vielleicht könnte ich...?«

Er griff nach meinen Händen und versicherte sich nervös, ob wir noch immer unbeobachtet waren.
Dann verzog er die Lippen zu einem traurigen Lächeln. »Es ist vorbei.«

»Was soll das heißen?«, zischte ich ihn an, während meine Brust sich vor unterdrückter Angst schneller hob und senkte. »Haben sie Euch erwischt? Oder etwas über den Widerstand herausgefunden?«

»Weder noch«, sagte er resigniert und mit gepresster Stimme. »Und das haben wir deiner Magd zu verdanken. Sie sollte verhört werden, hat dies allerdings erfolgreich verhindert...« Der Blick, den er mir zuwarf, schien etwas zu bedeuten, doch ich war nicht in der Verfassung, die Botschaft des Gesagten zu begreifen. Viel zu sehr klammerte ich mich an die Hoffnung, es wäre ihr gelungen, aus dem Verlies zu fliehen, was ein völlig unmögliches Unterfangen darstellte. Ich war so naiv.

»Olivia, geht es dir...geht es dir gut?«

»Natürlich tut es das, aber wie...wie hat sie das geschafft? Ich meine, hat sie niemand aufgehalten? Wo waren die Wachen?« Und wo war sie jetzt? Vielleicht konnte Connor sie ebenfalls von hier wegbringen. Zwischen uns lief es zwar im Augenblick nicht allzu gut, aber seiner Gefühle für mich war ich mir nach wie vor sicher, weshalb er mir diesen Wunsch niemals verweigern würde. Oder? »Wir müssen sie finden!«

Raymond biss sich auf die Unterlippe, gab sich dann allerdings einen Ruck und sagte, was gesagt werden musste:
»Sie ist tot, Olivia. Sie hat sich das Leben genommen.«

»Nein!« Ich presste mir die Hand vor den Mund und zwang mich, nicht auf der Stelle zusammenzubrechen. Nicht hier, nicht vor all diesen Leuten.

»Doch, ich habe...ich habe ihre Leiche gesehen. Sie wird vermutlich in diesem Moment fortgebracht. Es tut mir leid, Olivia. Aber so hat sie sich noch viel größere Qualen erspart, man hätte sie verbrannt, und zu alledem ist der Widerstand sicher.«

»Sie hätte uns niemals verraten«, murmelte ich unter Tränen und fuhr mir über die Augen.

»Doch, das hätte sie. Unter Folter hätte sie gesungen wie ein Vogel. Und genau das hat sie mit ihrer
Entscheidung verhindert. Das werden wir ihr niemals vergessen.«

»Sie ist tot«, wiederholte ich tonlos und spürte, dass meine Wangen nass wurden. Mit dem Handrücken wischte ich die lästigen Tränen eilig fort. Ich würde später um sie trauern, jetzt musste ich mich zusammenreißen, zu weinen würde sie auch nicht wieder zum Leben erwecken.

»Ja.«

»Gott, das war so mutig und selbstlos von ihr«, flüsterte ich und schniefte. Es war nicht so einfach, meine Gefühle unter Kontrolle zu behalten. »Wie...wie ist es passiert?«

»Sie hat in ihrer Zelle ein Seil gefunden.«

»Ich verstehe.«

»Es tut mir wirklich schrecklich leid. Wäre ich nur etwas früher...«

»Hör auf, dich zu entschuldigen. Du kannst nichts dafür.«

Ich hatte Bree verloren. Nun auch ihren Doppelgänger, ein wunderschönes, junges Mädchen, das sich erhängt hatte, um mich zu beschützen.

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now