Kapitel 86

1.9K 263 96
                                    

Einen so durchdringenden, endgültigen Schmerz, wie diesen, hatte ich niemals zuvor empfunden. Ich schleppte mich keuchend zu Jeremia und schloss ihn fest in meine Arme. Hektisch suchte ich nach seinem Puls, nach seinem Herzschlag, dem Heben und Senken seiner Brust, wurde allerdings nicht fündig. Ich fühlte mich hintergangen, schüttelte ihn fest, doch nichts von dem, was ich tat, konnte jene unumstößliche, unabwendbare Tatsache ändern.

Mein Verlobter war tot.
Jeremia, den ich von ganzem Herzen und mit meinem gesamten Dasein liebte.
Jeremia, der mich immer verstanden, getröstet und dann wieder aufgebaut hatte.
Jeremia, der mir von seiner Vergangenheit erzählt hatte. Davon, wie er aufgewachsen war, wie er Connor und Margaret kennengelernt hatte. 
Jeremia, mit dem ich mich in Rushworth, meiner Heimat, stundenlang geliebt hatte.
Jeremia, der mich zu seiner Frau hatte machen wollen.
Jeremia, der an mich glaubte.
Dieser Mann, dieser durch und durch wunderbare Mann, war nun tot.

Sein lebloser Körper, der in meinen Armen lag, konnte nicht geheilt werden. Der Schuss hatte ihn sofort getötet. Man hatte mir nicht einmal gestattet, mich von ihm zu verabschieden.

Von fürchterlichen Weinkrämpfen geschüttelt, brüllte und schrie ich den Namen meines Verlobten, bis ich ihn nur noch flüstern könnte, weil meine Stimme mehr nicht hergab.

Ich beugte mich zu ihm hinunter, mit bebenden Lippen, auf denen ich das Salz meiner Tränen schmeckte, und küsste ihn, küsste ihn ein letztes, ein allerletztes Mal auf seinen weichen Mund und betrachtete daraufhin sein hübsches Gesicht.

Keine Regung, nichts.

Wir hätten so glücklich werden können in Wiesenthal, schoss es mir durch den Kopf. Obwohl ich nie darüber nachgedacht hatte, tat ich es jetzt. Wir hätten dunkelhaarige Jungen und Mädchen haben können, kleine Kinder mit melancholischen Augen, die ihre freie Zeit in der Natur und auf den Rücken diverser Pferde verbracht hätten. Jeremia wäre ein großartiger Vater gewesen, ganz im Gegensatz zu-

Ich hielt in meinen sich überschlagenden Gedanken inne und blickte auf.

Die Tyrannin und der Offizier standen reglos und fassungslos da, noch immer schockiert darüber, dass ich meine Fesseln gesprengt hatte. Sie sahen mich an, als hätten sie Angst vor mir, lähmende Angst, die sie Wurzeln schlagen ließ. Sie schienen darauf zu warten, was ich als nächstes tun würde.

Dabei wusste ich das selbst nicht, denn ich hatte keine Kraft mehr, keinen Lebenswillen.
Nach nur wenigen Wochen hatte man ihn mir genommen. Gerade, als wir uns gefunden hatten, waren wir auseinander gerissen worden. Jeremia hatte nur ein klaffendes Loch in meiner Brust hinterlassen, dem, das sich in in seiner Brust befand, nicht unähnlich.
Mein Herz war in unzählige Scherben zerbrochen und ich wünschte mir nichts mehr, als mich einfach zusammenzurollen und über der Leiche meines Verlobten zu weinen.
Ich konnte nicht mehr, wollte nicht mehr...

...leben.

Wäre das nicht ein passendes Ende? An der Seite meines Verlobten zu sterben, an derselben Stelle wie er?

Ich war entsetzt gewesen, als Jeremia mir erzählt hatte, dass er bei der Hinrichtung seiner Verlobten in seiner Hilflosigkeit nichts mehr gewollt hatte, als gemeinsam mit ihr in den Flammen zu stehen und zu sterben.

Und nun? Nun verstand ich ihn, wusste genau, wie er sich gefühlt hatte, vor dem Scheiterhaufen stehend und dabei zusehend, wie Margaret sich in eine verkohlte Leiche verwandelte.

Im Gegensatz zu Jeremia, würde ich mich allerdings nicht von meinem Vorhaben abbringen lassen.

Von niemandem.

Aber ich würde meine Peiniger, meine beiden Todfeinde, mit in den Tod reißen.

Und ihre letzten Augenblicke in ein Spektakel verwandeln, das ich zur Gänze auskosten würde.

Fort war das Mädchen, das zitternd in einer kleinen Zelle gesessen hatte, auf eine Hinrichtung wartend, die nie eingetreten war. Ich war zu einer Frau geworden, die Rache nahm. Eine Frau, die ihre Feinde leiden sehen wollte.

Ich betete zu den Göttern, an die Kaelan zu glauben schien, und bat darum, dass einer meiner überlebenden Freunde mein Versprechen, mich an der Seherin zu rächen, erfüllen würde.

Sanft legte ich meinen Verlobten auf dem Boden ab, ehe ich langsam und bedächtig aufstand.

Ich war voller Blut, bei dem es sich hauptsächlich um Jeremias Blut handelte. Es erkaltete langsam.

Genau wie seine Leiche.

Wut flammte ihn mir auf, Wut, die dem fürchterlichen Schmerz verblassen ließ.

Ich drehte mich zur Tyrannin und zum Offizier und lächelte. Dann riss ich die Arme hoch und verwandelte das kleine Verlies in eine Todesfalle, aus der es kein Entkommen gab.

»Nein!«, brüllte der Offizier und versuchte verzweifelt, zu fliehen, doch ein heftiges Erdbeben brachte ihn im Bruchteil einer einzigen Sekunde zu Fall. Blut spritzte auf den erdigen Boden. Er musste sich beim Sturz eine Verletzung zugezogen haben.

Gut.

Der magielähmende Stein beeinträchtigte meine Magie nicht länger, ich konnte ihn mühelos umgehen, ohne tatsächlich zu wissen, wie ich es tat. Es hatte eben doch seine Vorteile, der Phönix zu sein.

Ich blickte zur Tyrannin, die im Gegensatz zum Offizier vollkommen ruhig blieb. Von der Angst, die ich in ihrem kalten Gesicht gesehen hatte, war nichts mehr übrig. Sie schien sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben und wartete auf das Ende.

Es dauerte nicht lange, bis die Erde über uns endlich zu bröckeln begann und die Wände kurz davor waren, einzustürzen.

Der Offizier brüllte mir etwas zu, schien förmlich um sein Leben zu flehen, doch ich schenkte ihm keine Beachtung. Er hatte jede Chance, die er bei mir noch gehabt haben mochte, mit Jeremias Tod vertan.

Unwiderruflich.

Also tat ich, was ich für richtig hielt, und wandte meine Sonnenanbeterinnen-Magie an, um uns in diesem winzigen Gefängnis zu begraben. Das war der größte Dienst, den ich Ashbrook erweisen konnte.

Und im letzten Moment, kurz bevor die Decke nachgab und uns im finalen Akt meiner Inszenierung begrub, entfesselte ich mein Feuer, das stärkste Element, das ich in mir trug und verwandelte alles in ein flammendes Inferno.

Mit den schmerzerfüllten Schreien meines Vaters und seiner ebenso diabolischen Komplizin in den Ohren, schloss ich meine Augen und lauschte dem Knistern des Feuers und dem Prasseln der Steine, die auf uns herabregneten.

Gleich, dachte ich. Gleich würde es soweit sein. Ich hieß den Tod mit offenen Armen willkommen und dachte an meine Wiedervereinigung mit Jeremia, als mich etwas hart zu Boden riss und ich mir den Kopf anschlug. Für einen kurzen Moment sah ich Sterne, dann wurde mir aufgrund des harten Aufpralls die Luft aus den Lungen gesogen. Und als ein weiterer, größerer Stein mich mit voller Wucht traf, verlor ich mein Bewusstsein.

Die Schreie meiner Feinde verstummten.
Das Feuer wütete.
Vollendet.
Es war vollendet.

-

Hi! Ihr habt die ehrenvolle Aufgabe, mir mitzuteilen, wie ihr dieses Kapitel fandet, denn ich habe mir super viel Mühe dabei gegeben, Alexandras letzten Kampf so realistisch wie möglich zu gestalten. Sagt mir, wie ihr das Ergebnis meiner Arbeit findet. ^^
Und nein, das ist nicht das letzte Kapitel.
Mel x

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now