Kapitel 81

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Kaelan reagierte gefasst auf Cordelias Anblick und sprach sehr ruhig und sanft zu ihr. Behutsam nahm er ihre kleine Hand in seine und drückte sie. In der Zwischenzeit hatte er tatsächlich den Dolch aus seinem Oberschenkel gezogen und die Wunde mithilfe seiner Magie zum Großteil geheilt. Es klebte zwar genauso viel Blut an ihm, wie an mir aber das stammte vermutlich hauptsächlich von den ermordeten Männern.

Ich warf Theodors Tochter einen Blick zu. Die Lippen des Mädchens zitterten. Ihm war kalt.

»Hör zu, Cordelia«, sagte ich, weil mir etwas eingefallen war. »Du bleibst einen Moment bei Kaelan, ja? Ich hole indessen eine Decke aus deinem Schlafzimmer, in die du dich wickeln kannst. Es ist ganz schön frisch um diese Zeit und ich möchte nicht, dass du dich erkältest.« Als wäre eine Erkältung auch nur halb so furchtbar wie das, was ihr angetan worden war. Nur um mich zu bestrafen. Ich wollte kein schlechtes Gewissen haben, doch ich hatte eines. Ohne mich...ohne mich hätte dieses Mädchen vermutlich noch beide Augen. Ohne mich würde das namenlose Kind noch leben. Ohne mich wäre meine Mutter noch am Leben und Ashbrook nicht in den Klauen des Offiziers.

Ich ging in Cordelias Gemach, schnappte mir ein Kissen und schrie so lange hinein, bis ich mir sicher war, keinen einzigen Ton mehr von mir geben zu können. Dann erst griff ich mir eine der weichen Decken und verließ das Zimmer, um zu Kaelan und Cordelia zurückzukehren. 

Aber ich zögerte. 

Denn im Raum nebenan schlief Taron Arden, mein Ehemann, die willige Marionette meines Vaters. Es wäre so leicht, so unglaublich leicht, die Tür aufzudrücken und ihn in seinem Bett in Flammen aufgehen zu lassen. So leicht... Wie hypnotisiert näherte ich mich den Gemächern des Königs, einen Schritt nach dem anderen und spürte, wie mein Herz raste. 

Tue es. Beende sein Leben noch vor dem Ausbruch des Krieges. Das wäre ein Tiefschlag für jeden einzelnen seiner Verbündeten. Tue es, Alexandra. Beende sein Leben, solange du die Macht dazu hast. 

Ich streckte schon meine Hand nach der Klinke aus, als hinter mir Schritte erklangen. Ich fuhr herum und blickte in Kaelans Gesicht, auf dem ein sanfter aber doch bestimmter Ausdruck lag. »Nein«, sagte er. »Nicht jetzt. Wir haben keine Zeit dafür. Gleich geht die Sonne auf. Wir haben noch so viel zu tun.« Er hielt Cordelia im Arm, die ihren Kopf an seiner Schulter gebettet hatte. Ihre Zöpfe leuchteten in einem satten Rot. 

»Das wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen«, widersprach ich, obwohl ich genau wusste, dass er recht hatte. Und wir obendrein eine Abmachung mit Connor. 

»Erstens«, begann der Eiskönig geduldig, »gehört Taron seinem Neffen. Das haben wir von vorneherein vereinbart. Zweitens, würde es als Schwäche verbucht werden, den König im Schlaf zu ermorden. Es wird einen viel größeren Eindruck machen, wenn an die Oberfläche dringt, dass wir die Möglichkeit hatten, sein jämmerliches Leben zu beenden, und ihn trotzdem haben leben lassen. Glaub mir, wenn er in der Schlacht fällt, fällt er um Welten tiefer. Im Ansehen des ganzen Volkes und seiner Verbündeten. Komm jetzt.«

Ich gab mich geschlagen und folgte Kaelan, nachdem ich das in seinen Armen ruhende kleine Mädchen in die Decke gewickelt hatte, die ich aus dem ehemaligen Schlafzimmer der Königin hatte mitgehen lassen. Sie murmelte etwas, ehe sie weiterschlief. Kaelan und ich setzten uns Seite an Seite in Bewegung. Ich hoffte, dass es Jeremia gutging, der damit beschäftigt war, mithilfe der westenraaschen Soldaten und Cyryl, die Wachen abzulenken, damit wir eine Kriegserklärung, wie sie Ashbrook noch nie erlebt hatte, auf dem Marktplatz verkünden konnten.

»Sie scheint Euch zu mögen«, sagte ich leise, während wir die leeren Flure durchschritten und draußen der nachtblaue Himmel eine leise Röte annahm. Das Zwitschern diverser Vögel setzte ein, sodass ich mich unwillkürlich in meine kleine Kammer zurückversetzt fühlte. Ich hatte ständig am Fenster gesessen und auf den Schlossgarten hinausgesehen, den lieblichen Gesang der Vögel im Ohr. Jeder Winkel dieses Schlosses erinnerte mich an diese prägende, wenn auch recht kurze Zeit. Und ich wusste nicht, ob ich das gut oder schlecht fand. 

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now