» Kapitel 13 «

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»Vorsicht! Pass doch auf!«, zischte Connor mit panischer Stimme, während ich mich behände die Ranken hinunterhangelte. Ich hatte mein Körpergefühl längst nicht verloren, wie ich mit einem gewissen Triumph feststellte. Das Klettern funktionierte hervorragend, wenn man die Tatsache außer acht ließ, dass ich mir an den vereinzelten Dornen die Unterarme und Hände blutig kratzte. Und trotzdem war es ein so befreiendes und zugleich beglückendes Gefühl, dass ich den damit verbundenen Schmerz nicht weiter beachtete. Es dauerte nur wenige Minuten und schon stand ich auf beiden Beinen auf dem kurz geschorenen Rasen und strich mir das wirre Haar aus dem Gesicht, das ich bei einem nächsten solchen Abstieg auf alle Fälle zusammenbinden sollte.

Ich schaute prüfend nach allen Seiten, um mich unserer Zweisamkeit zu vergewissern, worauf ich wieder zu meinem ehemaligen Geliebten hochblickte. »Ihr könnt nachkommen«, flüsterte ich gerade so laut, dass er es hören konnte.

Im nächsten Augenblick arbeitete er sich, die Silhouette in milchiges Mondlicht getaucht, konzentriert an den Ranken hinunter. Seine Flüche durchbrachen hin und wieder die Stille der Nacht, doch auch er stand innerhalb kürzester Zeit am Fuße der Kletterpflanze und ließ seinen geschulten Blick über die Umgebung wandern. Ihm würde nichts entgehen, daran glaubte ich fest.

»Bei dir ist alles im Lot, ja?«

War es das? Im Anbetracht der Tatsache, dass ich ihm trotz Vertrauensbruchs wieder mein Leben in die Hände legte? Ja, erstaunlicherweise.

»Bis auf ein paar kleine Kratzer bin ich noch ganz«, erwiderte ich und sah mich um. Wir befanden uns in einer Art Hinterhof, wahrscheinlich ein kleiner, unbeliebter Bereich des Schlossparks, den kaum eine Menschenseele besuchte. Seine Umzäunung, bestehend aus Eisen, ragte bedrohlich in den Himmel und ließ eher wenig Freiraum für Ausbrüche. Das dämpfte meine kindliche Freude über die vorübergehende Freiheit und ich drehte mich wieder zu Connor um. Ich wollte wissen, was er als nächstes vorhatte.

»Du zweifelst wieder, Liv«, kommentierte er die offensichtliche Sachlage und schnalzte mit der Zunge. »Dann werde ich dir meine guten Absichten wohl beweisen müssen.« Er zwinkerte mir zu und ging leisen Schrittes in Richtung des Zauns. Ich folgte ihm wie ein Schoßhündchen, was mich wurmte, doch ich schob meinen Stolz beiseite.

Direkt vor dem schmiedeeisernen Ungetüm ging Connor in die Hocke und warf noch einen Blick über seine Schulter, ehe er mit beiden Händen ein Stück der Erde anpackte - zumindest sah das für mich danach aus - und es zur Seite wuchtete. Darunter kam ein enger Tunnel zum Vorschein. Der zweite Geheimgang des Tages, wie ich aufgeregt feststellte. Ich war schon immer eine Freundin von Mysterien und Rätseln jeder Art gewesen, vielleicht weil ich bald selbst zu einem werden würde.

»Seid Ihr irgendein Verbrecher oder sowas?«, fragte ich im Flüsterton und blickte in den dunklen Tunnel, der aus nichts weiter als Erde zu bestehen schien. Was wenn er plötzlich über uns einstürzte? Was dann?

Connor hielt inne, drehte seinen Kopf zu mir und lächelte das herzerwämendste Lächeln, das ich jemals jemanden hatte lächeln sehen. Trotz all der Vorkehrungen, die ich ihm bezüglich getroffen hatte oder zumindest hatte treffen wollen, spürte ich genau, wie meine Knie zu Butter wurden und mir das Herz in der Brust schmolz. Er war zu schön, um wahr zu sein. Und dabei ein Verräter, ein Mann mit zwei Gesichtern. Das sah ich an all den Geheimnissen, die ihn umgaben.
»Nein, Liv«, sagte er mit warmer Stimme. »Ich bin kein Verbrecher.« Damit wandte er sich wieder dem Loch im Boden zu.

Widerwillig beließ ich es dabei und kniete mich ebenfalls auf den Boden, um Connor über die Schulter zu sehen. »Ist das ein Durchgang? Oder ist da unten noch etwas?« Das war zwar schwer vorstellbar, aber es war ja auch nicht leicht zu verstehen, dass es Hexen gab, die über Magie verfügten, oder?

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now