Kapitel 33 «

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»Wie sollen wir nun auf die andere Seite des Zauns gelangen?«, fragte ich seltsam ungerührt. Ich hatte in den letzten Stunden so viel Schreckliches erlebt, dass dieses Fiasko hier nun auch keine große Bedeutung mehr zu haben schien.

»Was glaubst du denn?«, zischte Raymond gereizt. »Das Nest war unser einziger Zugang. Zugegeben, auf der anderen Seite des Schlossgartens befinden sich noch zwei weitere, aber wenn man diesen hier versiegelt hat, dann sicherlich auch die anderen. Oh, verdammt, verdammt, verdammt!«

Theodore sagte nichts, kniete lediglich nieder und fuhr mit der Hand durch die frische Erde, mit der der geheime Tunnel gefüllt worden war. Er blickte stumm auf seine dreckigen Finger und schien nachzudenken. Er zerrieb die Erde zwischen seinen Fingern.

»Hergott, was machen wir jetzt, Theodore? Habt Ihr irgendeinen Plan B, von dem ich nichts weiß?«

»Wenn ich einen hätte, stünden wir nicht mehr hier«, lautete die alles andere als aufmunternde Antwort.

»Verdammt«, fluchte Raymond und fuhr sich durch das Haar.

Allmählich begriff auch ich, dass unsere Lage aussichtslos war. Wenn wir gefasst wurden - und das würden wir bestimmt, weil wir nicht fliehen konnten -, waren wir dem Tod geweiht.

Ich schluckte scharf und sah nervös über meine Schulter. Bis jetzt schien uns niemand gefolgt zu sein. Aber das würde sich ändern. Der König mochte vieles sein, unvorsichtig, arrogant und unbekümmert, aber er war nicht dumm und würde nicht lange brauchen, den Hinterhalt aufzudecken. So oder so - wir mussten weg hier, sonst würde der Widerstand unseretwegen zu Fall gebracht werden. Und damit jede noch so kleine Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Raymond räusperte sich, sichtlich um Fassung bemüht, und sah mich an.
»Olivia? Vielleicht könntest du-?«

Ein melodisches Pfeifen ließ ihn nicht zu Ende sprechen.

Wir fuhren alle drei erschreckt herum und standen zwei leger gekleideten Männern gegenüber. Sie waren in dunkle und bequem aussehende Stoffe gekleidet und trugen Hüte, deren Krempen ihre Gesichter in Schatten hüllten.

Ich hatte noch nie Männer wie sie in Ashbrook gesehen, weder in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen war, noch in der Stadt oder im Schloss.

»Ist Olivia Capshaw in Eurer Obhut?«, fragte der eine und tat einen großen Schritt auf unser unschlüssiges Grüppchen zu. Nach einer Weile des Schweigens erklang ein tiefes Seufzen seinerseits, woraufhin er seinen Hut abnahm und uns durchdringend ansah. »Ich komme in Frieden«, deklarierte er mit einem mir unbekannten Akzent und verbeugte sich. »Marten - der Kerl da hinten - und ich haben den Befehl, Olivia zu Jeremia zu bringen. Wir sind Sympathisanten.«

»Und das soll ich Euch so einfach abkaufen?«, erkundigte sich Theodore schnaubend und zog seine blutverschmierte Waffe. »Ich habe
Männer wie Euch niemals zuvor in Ashbrook gesehen, warum also sollte ich Euch trauen?«

Nun trat der zweite Mann vor und verbeugte sich ebenfalls. »Wir haben vermutlich etwas, mit dem wir Euch im Handumdrehen von unseren guten Absichten überzeugen können. Ihr müsst uns nur folgen.«

»Wenn das ein Hinterhalt ist, werdet Ihr sterben«, sagte Raymond unvermittelt. »Wenn Ihr mir nicht glaubt, könnt Ihr Euch gern die
Leiche eines Soldaten der königlichen Garde ansehen. Sie liegt unterhalb des Rosengartens.«

Die Lippen des ersten Mannes zuckten leicht. »Das glaube ich Euch aufs Wort, Großväterchen.«

Raymond riss entrüstet den Mund auf, doch ich griff schnell nach seiner Hand und drückte sie sanft. Dann sah ich ihm bittend in die klugen Augen. Widerstrebend presste er seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammen, erwiderte aber den Druck meiner Hand. Er hatte begriffen, dass nun kein guter Moment dafür war, einen Streit vom Zaun zu brechen, wo wir einen solchen passieren mussten, wenn uns unser Leben lieb war.

BORN TO BURN (Band 1)Where stories live. Discover now