Entfachtes Feuer

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Mit einem besorgtem Blick beobachtet der Pater die blauhaarige, wie sie nachdenklich immer weiter in sich zusammen sinkt. Ihr Gesicht zeigt Anzeichen von Traurigkeit. Sie denkt wohl an ihre Familie. Es ist fast so, als könnte er die ersten Tränen in ihren Augen sehen. "Alex. Komm her." Die braunen Augen der jungen Frau gehen zu ihm und er lächelt sanftmütig. Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Anderson klopft direkt neben sich, da sich die blauhaarige ein wenig von ihm weggesetzt hat. Zögerlich rutscht sie zu ihm. Ihr Kopf ist immer noch eingezogen. Die Schultern hochgezogen. So kennt er sie gar nicht. Ein anderes Bild. Mit Sicherheit! Aber nicht das, welches wirklich zu ihr passt. Sanft legt er ihr eine Hand auf die Schulter. "Willst du darüber reden? Ich denke, dass mir Gott die Gabe des Zuhörens geschenkt hat. Und ich würde sie für dich nutzen."

Die Wärme erinnert sie gerade irgendwie an ihren Vater. Und das ist nicht vorteilhaft. "Du willst nach Hause, oder? Zu deiner Familie. Deinen Freunden. Deinem eigentlichen Leben." Die Worte hallen in ihrem leeren Kopf wider und sie nickt. "Ich meine... Ich habe nichts gegen euch beide... Ihr... Klar. Es könnte besser laufen, aber..." Sie seufzt und sieht wieder auf den Boden. "Für die Situation gibt es wahrscheinlich nichts besseres." Ihre Stimme bricht ab und sie würde einfach nur gern heulen. Ihr wird das alles zu viel. All das, was sie bisher verdrängt hat, bricht über sie ein. Aber noch einmal? Wobei der Pater sie schon heulen gesehen hat. DAS Problem wäre es nicht. Ein leichtes Ziehen an ihrer Schulter erregt ihre Aufmerksamkeit. Ihr Blick geht zu ihrer Schulter und dann zu Anderson, der lächelnd nickt und auf seinen Schoss deutet.

Zwar dachte Alexander, dass die kleine Frau nur ihren Kopf auf seinen Schoss legen würde und so sich eventuell entspannen könnte! Aber mit der aktuellen Lösung, Alex sitzt direkt in der Kuhle zwischen seinen Beinen die er im Schneidersitz angeordnet hat, kommt er auch zurecht. Sie scheint ihm dahingehend gut genug zu vertrauen. "Wie wäre es, wenn du mir einfach mal von Anfang an erzählst, was bei dir alles passiert ist. Kindergarten... die ersten Erinnerungen..." Das sollte auf jeden Fall Ablenkung genug sein. Und lange genug dauern, bis Alucard wieder da ist. Vielleicht weiß dieser Sohn Satans ja noch etwas, was den einzigen Menschen in diesem Dreiergespann aufheitern könnte.

Der Pater will es so. Der Pater kriegt es so. Also erzählt Alexandra alles, was ihr einfällt. Den Fakt, dass sie nie richtige Freunde hatte. Dass sie früh das Manipulieren lernte, um nicht komplett allein zu sein. Das Mobbing, welches von vor dem Kindergarten, bis nach ihrer Fachoberschule lief, also ungefähr 17 Jahre. Dass sie aus dem Fußball gemobbt wurde, weil sie besser war als der Stammtorwart. Dass sie als Abstellgleis benutzt und man nur mit ihr gespielt hatte, als überhaupt kein anderer Zeit hatte. Warum sie lernte, dass die Wahrheit nicht immer das Beste ist. Wie sie das Gerüst aus Lügen aufrecht erhalten kann. Die alten und aktuellen Hobbys. Dass ihr Allgemeinwissen wohl durch das Schreiben ein wenig erweitert ist. Dass sie Kampfsport gemacht hat. Und so weiter und so weiter.

Irgendwann ist Alucard einfach dazu gekommen, ohne dass Alex es bemerkt hat. Anderson wirft ihm einen Blick zu, dass dieser verdammte dunkle Spross seinen, mit Fängen bewehrten Mund halten solle. Zu seinem Glück nickt der schwarzhaarige nur, legt den gleichen Hirsch vom See ein wenig abseits hin und setzt sich einfach gegenüber der blauhaarigen hin, die anscheinend nicht einmal DAS mitbekommt. Beide Männer sind überrascht, dass sich Alex noch nicht von der Brücke gestürzt hat. Können aber nun ihre Klappe und ihre Denkweise verstehen. Und irgendwann... irgendwann wird sie immer leiser und schläft beim Reden einfach ein. Auf Anderson. Dieser ist überrascht, legt aber beschützend die Arme um sie und drückt Alex an sich. Ein kleiner Engel mit einer Vergangenheit, die jetzt nicht wirklich traumatisch ist. Aber schlimm genug, damit sich bestimmte Verhaltensmuster einbürgern, die nicht als 'normal' angesehen werden.

"Jetzt habe ich extra gejagt und dann pennt die einfach ein!", knurrt der schwarzhaarige und verzieht sein Gesicht. Alex wollte doch so unbedingt den Hirsch. Er glaubt, dass sie gemeckert hätte, wenn er etwas anderes gebracht hätte, also hat er den geholt. Aber dass sie einfach weg ratzt? Mitten im Reden? Er versucht ja, die Menschen ein wenig zu verstehen. Aber manchmal sind und bleiben sie ein Rätsel. "Versetz dich in ihre Lage rein.", brummt Anderson ihm entgegen und ist so leise, dass Alucard es nur dank seiner Vampirohren hören kann. "Ein normales Leben. Und dann im nächsten Moment hier. Mit einem Vampir und Regenerator. Ohne Überlebensfähigkeiten. Und dafür, dass wir sie beide jederzeit töten könnten, vertraut sie uns und ist ziemlich mutig." Der schwarzhaarige steht wieder auf. Es wird langsam aber sicher dunkel und mit der Dunkelheit kommt die Kälte. "Dumm, Pater. Sie ist dumm."

Während Alucard mit dem Satz: "Ich geh Holz für ein Feuer holen.", wieder verschwindet, sieht Anderson erneut auf die junge Frau hinunter. Sie wird lernen müssen, in der Wildnis zu überleben. Wobei er dahingehend nicht das Problem sieht. Offensichtlich ist sie anpassungsfähig und weiß, wie sie theoretisch überleben könnte. Aber Alex muss lernen, mit Alucard auszukommen. Beziehungsweise Alucard mit ihr. Wer hier schlimmer ist, weiß der Pater nicht so wirklich. Wobei... Alucard ist tödlicher. Von der Psyche her geben sich die beiden nichts. Aber der Herr wird einen Plan haben. Und Pater Anderson wird ihn ausführen. Und bis er genau weiß, was Gott möchte, wird er das kleine Schaf behüten und beschützen. Denn der große böse Wolf ist nie weit entfernt.

Innerlich immer wieder vor sich hin fluchend, sammelt der Vampir das Holz mitsamt ein wenig trockenem Blättergedöns und stapelt es auf seinen Armen, bevor er wieder zurückkehrt. Auch wenn der Pater seine Augen geschlossen hat. Alucard weiß, dass er wach ist. Leise, um die Nervensäge nicht zu wecken, legt er alles auf den Boden und beginnt das Feuer zu entfachen. Die ersten Flämmchen brauchen nicht lange und Holzstück nach Holzstück wird aufeinander gelegt, um eine gute Basis zu haben. Schon bald knackt es und Wärme macht sich breit. Grillen zirpen und kleine Glühwürmchen sind zu sehen. An sich, als wäre hier alles normal. Eine normale Stelle im Wald, ohne Dimensionen oder so etwas. Doch ein Blick in die Sterne verrät dem Urvampir, dass sie irgendwo im nirgendwo sind. Denn solche Konstellationen der Gestirne hat er noch nie in seinem langen Leben gesehen.

Die Insel der DimensionenWhere stories live. Discover now