E I N S

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L a  V i d a

Die heiße Mittagssonne brennt auf meiner Haut, als ich die frisch gereiften Trauben pflücke und in den halbvollen Korb lege, der an meinem Arm hängt. Meine Finger sind schon klebrig und mein Gesicht voller Schmutz. Zum Glück ist es heute nicht windig, weil mir sonst Staubkörner in die Augen fliegen und mir die Arbeit umso mehr erschweren würden. Ich sehe mich um und lege eine kurze Pause ein, bevor der Leiter wieder seine Runde auf dem Feld dreht.

Erschöpft lege ich den schweren Korb ab und atme durch. Mit einer schnellen Bewegung hebe ich meinen Sonnenhut an und wische mir mit dem Handrücken über die Stirn. Ich spüre, wie sich die Schweißperlen mit der dreckigen Erde an meinen Händen vermischt und eine Schmutzspur hinterlässt. Ich sollte mir mal langsam überlegen die Haare zu schneiden. Es ist nicht wirklich vorteilhaft, unter der prallen Sonne zu arbeiten, wenn man lange dunkle Haare hat. Da hilft nicht mal mehr ein Dutt. Wenigstens haben sie dieses Mal Trauben angebaut, das ist viel einfacher zu pflücken als Mais, Chili oder Bananen, mein Albtraum.

Als ich mich im Schatten der Weinblätter erhole, sehe ich auf das große grüne Feld. Alle Altersgruppen sind hier vertreten. Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren, sie alle arbeiten unmenschliche Stunden am Tag, um irgendwie über die Runden zu kommen. Ganze Familien arbeiten hier, weil es nirgends mehr Arbeit für so arme Leute wie uns gibt. Ich weiß, ich sollte mit meinen achtzehn Jahren gerade die Schule beendet haben und mich daran machen ein Studienplatz zu finden, aber das ist nicht so einfach. Jedenfalls nicht für mich. Ich musste die Schule früh abbrechen und Papá dabei unterstützen, unsere Schulden beim Vermieter abzubezahlen. Wir liegen schon Monate zurück und das ist nicht das erste Mal, dass das passiert. Wie soll man auch aufholen? Bei meinem mickrigen Lohn und Papás altem Schuhladen ist das kaum möglich. Unsere einzige Hoffnung ist meine jüngere Schwester Ria. Sie ist zwölf und geht noch zur Schule. Ich will auf keinen Fall, dass sie wie die restlichen Kinder in der Feldarbeit endet und die Schule vernachlässigt oder gar abbricht. Sie soll die Möglichkeit haben, etwas aus sich zu machen und niemals so hart wie ich und Papá für einen lächerlichen Lohn arbeiten müssen. Sie soll in die Schule und deswegen ist es wichtig, dass ich dabei helfe Geld ins Haus zu bringen.

Meine Oberschenkel schmerzen, als ich mich wieder aufrichte und den schweren Korb hebe. Ich nehme mir die Schere und schneide die runden Trauben vom Ast, die in dunkelroter Farbe herunterhängen. Ich sehe kurz auf die Taschenuhr, die Papá mir geschenkt hat.

In ein paar Stunden sollte meine Schicht um sein.

× × × × ×

Nachdem ich meine täglichen Stunden abgearbeitet habe und mit allen anderen Arbeitern zurück gefahren wurde, mache ich mich auf den Weg nach Hause. Die Sonne ist gerade dabei unterzugehen und langsam kühlt die Luft ab.

Ich gehe mit meinen 150 Pesos, das sind umgerechnet ungefähr 8 Dollar Tageslohn, in der Hosentasche die Straßen entlang. Culiacán ist eine sehr lebendige Stadt. Ich wohne nicht wirklich in Culiacán, sondern außerhalb der Stadt. Vor allem in meiner Wohngegend gibt es nur überwiegend ärmere Familien, die auf die Feldarbeit stark angewiesen sind, genau wie wir. Es gibt viele Familien die vom Marihuana und Opium Anbau leben, aber dank einigen bekannten habe ich es geschafft nicht dort zu landen, sondern auf einem Privatgrundstück wo von Saison zu Saison nur Lebensmittel angebaut werden mit denen dann gehandelt wird. Jeden Tag wartet ein Pick-up auf uns, der uns zum Feld fährt und auch wieder zurück hierher bringt.

Die Kriminalität in meinem Vorort ist hoch, es gibt viele Banden die untereinander Kriege führen und leider auch viele unschuldige Menschen in ihre Konflikte verwickeln. Hier zu leben ist nicht einfach und von hier zu entkommen genauso wenig. Trotzdem ist es machbar. Ein guter Schulabschluss ist der beste Weg, um aus der Armut hier zu fliehen. Aber auch das hat seinen Preis, wie so ziemlich alles andere. Kein Geld, heißt auch kein Leben. Du arbeitest hier nur, um dir das Überleben leisten zu können. Nicht mehr, nicht weniger. Es klingt ziemlich hart, ist aber die Lebensaufgabe vieler vergangener Generationen gewesen und wird auch die der künftigen sein, wenn sie es nicht schaffen sich zu retten. Papá macht sich große Vorwürfe, weil ich die Schule abgebrochen habe, um ihn mit den Schulden zu helfen. Manchmal sieht er mich an, wie ich mit schmutzigen Klamotten durch die Haustüre eintrete und sagt:

LeyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt