F Ü N F

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T u m b a   d e l   p a d r e

13:07 Uhr

Ich stehe vor Papás Grab. Er liegt neben Mamá. Sein Tod ist schon vier Tage her.

,,Ihr habt euch bestimmt viel zu erzählen", sage ich mit schmerzender Kehle und knie mich neben dem frischen Grab hin. Ich schiebe die vielen Blumen auf dem Grab zur Seite und streiche mit meiner gesunden Hand über die weiche Erde, unter der Papá liegt. Die andere Hand wurde von Abuela verartzet, da wir uns keinen Arzt leisten können. Sie musste meinen Knochen einrenken, damit er nicht falsch zusammenwächst. Ich kann nicht beschreiben, wie schlimm es weh getan hat, als sie das gemacht hat. Ich will es einfach vergessen. Meine linke Wange ist noch lila von den Schlägen die ich bekommen habe.

Ich ignoriere die Schmerzen und sehe auf das Stück Holz, auf dem der Name, das Geburtsdatum und sein Todestag steht.
Alle Besucher sind bereits weg. Ria habe ich Rosita anvertraut. Sie hat seit seinem Tod kein einziges Wort gesagt. Sie wird zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert. Zu der Zeit von Mamás Tod war sie viel zu jung und bekam anders als ich, nichts davon mit.
Sie hing so sehr an Papá. Mehr als ich, weil sie nie eine Mutter hatte.
,,Macht euch keine Sorgen um uns", bitte ich meine Eltern. Ich wünsche mir so sehr, dass sie mich hören.
,,Ich will nicht, dass du mit offenen Augen gehst Papá. Bitte mach dir keine Sorgen, ja? Ich bin alt genug, um auf uns beide aufzupassen." Mein inneres fällt jedes Mal in sich zusammen, wenn ich daran denke wie dieses Monster ihn niedergeschlagen hat. Wie hilflos er zwischen diesen Bestien war. Wie er um Zeit gefleht hat.

Bitter seufzend hole ich die Taschenuhr, die er mir geschenkt hatte, aus meiner Hosentasche. Ich umklammere sie mit beiden Händen und spreche.
,,Ich ...werde einfach Überstunden machen und noch eine Arbeit finden. Dann kriege ich auch die Miete bezahlt ... ganz bestimmt...! Der Vermieter wird uns ja wohl kaum rausschmeißen? Er ist bestimmt nachsichtig. Er wird es schon verstehen..."
Meine Tränen fallen auf die trockene Erde und die Sonne brennt auf meiner Haut.
,,Er wird es verstehen...", murmle ich gedankenverloren und streiche über die Erde. Ich räuspere mich.
,,Und Ria fragst du?" Ich atme tief durch. ,,Ria wird schon drüber hinweg kommen. No te preocupes Papá. (Mach dir keine Sorgen Papa.)"
Ich klappe die Taschenuhr auf. Ein Bild von Mamá ist in dieser Uhr. ,,Nicht wahr Mamá? Du gibst uns Kraft, oder? Das hast du doch damals gesagt", frage ich traurig lächelnd. Ich denke an ihre Worte, als sie so kränklich in ihrem Bett lag.

Egal was passiert, ich werde dich und Ria für immer beschützen Leya.

Ich erinnere mich an ihr trauriges Lächeln. Sie hatte mich und Ria an diesem Tag umarmt und nicht mehr losgelassen. Ich sah sie damals zum ersten und zum letzten Mal weinen. Ich blinzle meine Tränen weg.
,,Gracias ... M-Mamá (Danke ... M-Mama)", bedanke ich mich schluchzend. Ich nehme mir eine Handvoll Erde und lasse es in meinen Fingern zergehen. Stundenlang sitze ich zwischen den Gräbern meiner Eltern und sage nichts. Ich erinnere mich an die Zeit, als wir alle noch vereint waren. Ich verliere mich in diesen Erinnerungen. Will mich in ihnen verlieren, will wieder dieses ahnungslose Kind sein. Will mich geborgen fühlen.

So vergehen die Stunden, bis die Sonne unter geht.

× × × × ×

Zehn Tage nach Papás Tod haben wir Gäste im Haus. Abuela und einige Nachbarn haben mir geholfen Essen und Trinken für die Gäste vorzubereiten. Das ist hier in Mexiko üblich. Nach der Beerdigung eines Angehörigen beginnt novenario. Das ist eine Tradition, bei der sich jeden Tag die trauernden Gäste vor dem Haus des verstorbenen zusammenfinden und jeweils einen Rosenkranz hinterlassen. Das geht neun Tage so. Am zehnten Tag schließt man die Trauertradition ab, indem man zusammen zum Gottesdienst geht und anschließend den Gästen Essen und Trinken anbietet. Ria ist währenddessen bei ihrer Freundin. Ich wollte nicht, dass sie all das mitansehen muss. Sie soll sich ablenken.

LeyaWhere stories live. Discover now