A C H T

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E n c u e n t r o

10:14 Uhr

Als Ricardo mich erblickt, legt er grinsend auf und sieht mich mit diesen blutrünstigen Augen an. ,,Hola ... hast du mich vermisst?"
Als er einen Schritt in meine Richtung tritt, laufe ich. Ich renne so schnell es mir möglich ist und ignoriere alle Schmerzen die meinen Körper immens belasten. Ich laufe, mit der Hoffnung auf Menschen zu treffen die mir helfen können. Mein ganzer Körper schmerzt bei jedem Schritt, meine Gelenke scheinen an den Knochen miteinander zu verschmelzen und meine Herzschläge hämmern mir wie Fausthiebe gegen den Brustkorb.
,,Bleib stehen Señorita! Ich will doch nur plaudern!", lacht er von weitem. Als ich einen Blick nach hinten werfe, läuft nicht Ricardo mir hinterher, sondern zwei seiner Männer. Ich biege in eine Gasse ab und komme an einer Einkaufsstraße heraus wo die Leute ihre Stände bereits aufgebaut haben. Mir geht langsam die Kraft aus und so verzweifelt wie ich bin, laufe ich in ein Geschäft.
,,Hilfe!", schreie ich. Von draußen sehen die Menschen in den Laden. ,,Bitte helfen Sie mir ich werde verfolgt!", rufe ich verzweifelt. Aus einem Hinterraum kommt ein Mann zu mir.
,,Was ist denn los Kind?!", fragt er überrascht und versucht mich zu beruhigen. Bevor ich etwas sagen kann, kommen die zwei Männer hereingestürmt. Der Mann nimmt ein Holzschläger in die Hand die hinter der Theke lag.
,,Schämt ihr euch nicht ein junges Mädchen zu verfolgen?!", sagt der Mann zu meinen zwei Verfolgern.
,,Halt dich da raus alter Mann", sagt einer der beiden. Er hat helle braune Haare und ein Bart, ist vielleicht achtundzwanzig und durchschnittlich Gebaut. Er trägt ein rotes Hemd mit Ananas Mustern, eine goldene Kreuzkette und alte Jeans. Der andere neben ihm hat dunkle Haare, trägt eine silberne Armbanduhr und ein Trainingsanzug. Ich schätze ihn auf dreiundzwanzig.
,,Raus aus meinem Geschäft!", sagt der Ladenbesitzer und stellt sich schützend vor mich, der Schläger in seiner Hand. Um den Laden herum sammeln sich Leute, aber keiner traut sich etwas zu sagen. Plötzlich zückt der mit dem Trainingsanzug eine Waffe hervor und richtet es auf den Mann. Erschrocken lege ich beide Hände auf meinen Mund.
,,Weißt du wer hier eigentlich vor dir steht? Wir gehören zu den Carroñeros und stehen unter Don Vascos Befehl!", zischt er und entsichert die Waffe.
,,Nein, bitte hört auf!", flehe ich ängstlich, doch genau als ich meinen Satz beende, drückt er ab. Der Mann fällt tot zu Boden.

Ohne meine Augen von der Leiche des Mannes abzuwenden, stehe ich still. Als wäre mein ganzer Körper eingefroren oder versteinert. Der Tod meines Vaters erscheint mir wieder vor Augen. Noch ein Mensch ist tot ... aber dieses Mal bin ich der Grund. Das ist meine Schuld ...!
Draußen hört man nur wie die Leute verängstigt weglaufen oder erschrocken vom weiten zusehen. Jugendliche die ihren Eltern beim Verkauf helfen wollten, Erwachsene, die ihre Waren verkaufen wollten. Sie alle sehen zu, trauen sich nicht, etwas zu tun. Aber ich kann es verstehen. Ich würde es mich nach dem hier auch nicht trauen.
Die Augen des alten Mannes starren in die Luft. Die Kugel hat ein Loch in seinen Schädel gebohrt aus dem Blut quillt. Dieses Bild brennt sich auf meine Netzhaut, genau wie Papás Gesichtsausdruck an seinem Tod.
Als ich plötzlich am Arm gepackt und mit gezerrt werde, komme ich wieder zu Sinnen. Ich schreie auf und wehre mich mit aller Kraft, höre aber sofort auf als mir der kalte Lauf der Pistole an den Kopf gedrückt wird.
,,B-Bitte ...!", wimmere ich ängstlich.
,,Keinen Mucks mehr!", brüllt der Mann mit der Waffe und zerrt mich aus dem Geschäft.
,,Was gibt's hier zu glotzen?!", brüllt der ältere mit dem Hemd zu der Menge. Ich werde grob am Arm mitgezerrt und zurück gebracht.

Auf dem Weg flehe ich diese Monster an, dass sie mich gehen lassen sollen. Verzweifelt weine ich, kann nur schlecht mit ihren Schritten mithalten, da mein Körper das alles nicht mehr mitmachen kann. Immer wieder scheine ich kurz davor zu sein umzukippen. Ich zittere, schwitze und mir tut alles weh. Ich sehe immer wieder zurück zum Laden, wo die Leute sich um den Mann versammelt haben, der mir als einziger geholfen hat. Oder es jedenfalls wollte. Aber jetzt ist er tot und das nur wegen mir. Das werde ich mir niemals verzeihen können...

Als wir wieder zurück vor Sergios Apartment sind, steht Ricardo am Wagen gelehnt und sieht mir grinsend dabei zu, wie ich gegen meinen Willen mitgezogen werde. Ich werde vor Ricardos Füße geworfen, wie ein nutzloses Stück Fleisch. Meine Arme und Beine schürfen am Boden auf, weil sich kleine Steine in meine Haut bohren. Meine wegen dem Bruch geschwollene Hand fühlt sich schon gar nicht mehr wie ein Teil von mir an. Es ist einfach nur ein Körperteil, dass mir nichts als Schmerzen bereitet. Ich weine vor mich hin, versuche erst gar nicht aufzustehen.
Ricardo packt mich fest an den Haaren und zieht mich hoch. Zwingt mich, in seine kranken Augen zu sehen. ,,Siehst du das hier?", fragt er und deutet auf seine Schulter. Er zieht sein Hemd am Kragen leicht auf. Es ist die Schusswunde, die er in der Nacht von diesem Mann bekommen hat. Er war Ricardos Boss.
,,Wegen dir ist das passiert du kleine Schlampe! Euch liegt es wohl im Blut mich in Schwierigkeiten zu bringen, was?", zischt er und sieht mich mit seinen weit offenen Augen an. Er ist so wütend, dass seine Hand die meine Haare fest im Griff hat, bebt. Ich schluchze nur, traue mich nicht etwas zu sagen. ,,Es war mir ein Vergnügen, deinen Alten umzubringen", sagt er dunkel und grinst mich überlegen an. Er genießt es, mich so zu sehen.
,,Ich sehe nach Sergio", sagt der Mann mit dem roten Hemd und geht die Treppen hoch. Ricardo ignoriert ihn.
,,Ich frage mich nur, wieso du aus Sergios Wohnung kommst. Bist du etwa jetzt seine puta? Dieser Penner hat nichts davon gesagt, anscheinend hat er nicht vor dich zu teilen, hm?", lacht er dreckig. ,,Das muss er aber, ob er will oder nicht."
Verzweifelt schüttle ich den Kopf, schaffe es nicht ein Wort zu sagen. Stattdessen versuche ich meinen Oberkörper zu verdecken. Sergio hat den Kragen meines Oberteils aufgerissen, weswegen meine Schulter entblößt ist.
,,Ricardo! Sergio ist verletzt!", ruft der Mann von oben. Das ist mein Todesurteil.
,,Was heißt hier - ,er ist verletzt' - Gustavo?", fragt der andere verwirrt, der seine Waffe bereits wieder eingesteckt hat. Ricardo blickt hinauf. Dieser Gustavo kommt mit dem bewusstlosen Sergio im Schlepptau, die Treppen herunter.
,,Hilf mir mal!", sagt er angestrengt zu dem anderen, welcher ihm sofort zur Hilfe eilt. Ricardo lacht laut auf und sieht mich an.
,,Warst du das etwa?" Er lacht lauthals. ,,Mann! Vor dir sollte man Angst haben!" Plötzlich holt er weit aus und Ohrfeigt mich so fest, dass ich hart gegen das Auto knalle. Ich wimmere unter Schmerzen auf. Wann hat dieser Albtraum endlich ein Ende?
,,Er wurde mit etwas erstochen", sagt Gustavo. ,,Hilf mir ihn ins Auto zu bringen Antonio", sagt er zu dem Mann im Trainingsanzug. Während sie ihn ins Auto verfrachten packt mich Ricardo wieder an den Haaren.
,,Ich sehe, ich habe dir dein Handgelenk gründlich gebrochen", sagt er schadenfroh und betrachtet meine blau angelaufene Hand, um die das abgenutzte Verband gewickelt ist. ,,Ich werde dir noch viele andere Stellen brechen. Warte nur ab."
Er zerrt mich mit sich und öffnet den Kofferraum des Autos. ,,Rein da", befiehlt er und drückt mich grob rein.
,,Nein!", rufe ich und versuche mich zu befreien, aber er packt mein verletztes Handgelenk, drückt zu und nutzt diese Gelegenheit, um mich rein zu zwängen.
Das Letzte was ich sehe, ist Ricardos höhnisches Grinsen, bevor er die Heckklappe zuknallt und ich von Dunkelheit umhüllt werde. Genau dieser Moment ist es dann auch, in dem mein Körper letztendlich nachgibt und ich das Bewusstsein verliere.

LeyaWhere stories live. Discover now