V I E R Z I G

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P r o g r e s o

,,Setz dich auf das Bett", sage ich zu ihm während ich die Tür des Schlafzimmers wieder schließe. Er setzt sich, ohne etwas zu sagen. Er ist wirklich sehr erschöpft, was mir zugegebenermaßen das Herz bricht. Ich seufze nur verständnislos. Wieso muss er auch in so etwas verwickelt sein? Es ist doch klar, dass irgendwann so etwas passiert und Leute verletzt werden.

Ich nehme das Tablett mit dem Verbandszeug und den Handtüchern und setze mich neben ihn auf das Bett. Ich lege das Tablett auf die Nachtkommode und drehe mich zu ihm. Er blickt mich nur an, beobachtet mich aufmerksam. Ich beginne die Knöpfe seines blutigen Hemdes zu öffnen. ,,Ich mache das schon", sage ich als er die Knöpfe selbst versucht zu öffnen. Er nimmt die Hände weg und lässt mich machen. ,,Vorsichtig ...", murmle ich als ich ihm das Hemd von seinen Armen streife. Dabei werden meine Hände klebrig von dem Blut, was an ihm haftet. Ich werfe das Hemd auf den Boden und sehe mir dann seine Wunde an. Sie blutet zwar stark, aber es ist nichts was ihm gefährlich werden könnte. ,,Zum Glück wurdest du nur gestriffen", sage ich erleichtert. Ich nehme ein kleines Handtuch was ich in eine Schüssel warmes Wasser tauche und drücke es auf die Wunde.
,,Drück fest drauf", sage ich und lege seine Hand an die Stelle. Wortlos tut er was ich ihm sage.
Mit einem anderen nassen Handtuch beginne ich damit seinen Körper von dem Blut zu befreien das an ihm haftet. Sein Körper ist angespannt, was ich an der Härte seiner Muskeln erkennen kann.
,,Das ist alles Nandos Blut", murmle ich vor mich hin. Er beobachtet mich nur, während ich mit dem Handtuch über seinen verschwitzten Körper fahre und das Blut von seiner Haut schrubbe. ,,Wurde er schwer verletzt?", frage ich. Er blickt auf den Boden. Seine tiefe Stimme bricht die kurze Stille. ,,Zwei Kugeln haben ihn getroffen. Sie hätten eigentlich mich treffen sollen", sagt er schuldbewusst. Ich halte inne. Nando hat für Vasco Kugeln abgefangen? ,,Was?", frage ich erschüttert. Er neigt seinen Kopf leicht in meine Richtung, blickt mir aber nicht ins Gesicht.
,,Dir wäre es lieber wenn diese Kugeln mich getroffen hätten, nicht wahr?", fragt er mit bitterem, leicht spöttischem Ton. Glaubt er, dass ich ihn wirklich so sehr verachte?
,,Nein, wäre es nicht", antworte ich wütend über seine Aussage. ,,Ich hasse dich nicht, auch wenn es so den Anschein hat. Ganz im Gegenteil, ich bin froh, dass es dir gut geht", gebe ich ernst zu. War ich wirklich so kalt zu ihm, das er so etwas glaubt?
Er sagt dazu nichts, scheint nicht wirklich überzeugt von meinen Worten zu sein. Ich belasse es dabei. Er wird mir früher oder später schon noch glauben.

Ich lege das schmutzige Handtuch weg. Dann nehme ich auch das Handtuch von der Wunde, die Vasco an die Verletzung drücken sollte. Ich nehme mir ein neues, welches ich ebenfalls in warmes Wasser tauche und vorsichtig beginne die Stellen um die Wunde herum zu säubern.
,,Ich habe sehr oft Wunden versorgen müssen, weißt du?", beginne ich um die Stille zu brechen. ,,Zwar waren es nicht solche Wunden, aber ähnliche, die auch versorgt werden mussten. Manchmal kam Papá nach Hause, weil er sich mit der Nähmaschine durch die Hand gestochen hat."
Ich lege das Handtuch zur Seite, nehme mir Watte und tunke es ins Alkohol, um seine Wunde dann vorsichtig zu desinfizieren.
,,Es war auch keine normale Nähmaschine, sondern eine extra für Schuhleder. Die Nadel dieser Maschiene ist deutlich dicker und länger, was dafür gesorgt hat dass die Wunde stark blutet. Du weißt gar nicht wie oft mir das Herz in die Hose gerutscht ist wenn Papá mit einem einfachen blutigen Pflaster über der Wunde nach Hause kam, in der Hoffnung, dass ich seine Verletzung nicht sehe. Eine ärztliche Versorgung konnten wir uns nicht leisten. Wir konnten uns gerade mal Papás Medikamente leisten und die waren auch nicht wirklich billig."
Ich erinnere mich daran wie sehr ich mit ihm geschimpft habe während ich mich um die Wunde gekümmert habe. Er hat immer versucht seine Verletzungen zu verbergen.
,,Er wollte mich immer davon überzeugen, dass es ihm nicht weh tat und es nichts weiter schlimmes ist, genau wie du. Ich weiß nicht was ihr Männer habt", sage ich und betrachte die Wunde. ,,Es macht euch nicht männlicher wenn ihr eure Schmerzen verleugnet. Am Ende sind wir alle doch nur aus Fleisch und Blut, nicht aus Eisen", erkläre ich letzteres kopfschüttelnd und sehe ihn an. ,,Vor allem aber du", sage ich. ,,Du bist so ernst und verschlossen, dass ich mich manchmal wirklich frage ob du überhaupt Gefühle hast."
Ich lege die Watte zur Seite und nehme das Verband. ,,Festhalten", sage ich und drücke seine Hand auf das Verband, um es dann mehrmals um seine Brust zu wickeln. Dabei komme ich ihm sehr nahe, da ich meine Arme um ihn legen muss um das Verband zu wickeln. ,,Aber dann fällt mir ein, wie oft du mich gerettet hast. Wie du mich von diesem Arzt behandeln lassen hast. Du hast mich sogar gezwungen zu essen. Ein gefühlloser Mensch tut so etwas nicht."
Ich klebe das Ende des Verbandes ab und sorge dafür, dass es gut fixiert ist. Ich sehe im seine steinharte Miene, die sich nie zu ändern scheint.
,,Es tut mir leid, dass ich dich neulich so angeschrien habe", sage ich und blicke ihn entschuldigend an. ,,Ich war sauer, weil du mir nicht erlaubst raus zu gehen, aber mittlerweile habe ich es akzeptiert." Er blickt mich skeptisch an, so wie er es immer tut. Ich seufze.
,,Kannst du mal aufhören so misstrauisch zu gucken? Ich plane nichts, wenn es das ist was du glaubst. Und ich werde dir auch schon nicht abhauen, keine Sorge." Traurig blicke ich auf den Boden. ,,Außer dich habe ich sowieso niemanden mehr", sage ich kleinlaut. Er beobachtet mich lange, bevor er spricht.
,,Was ist passiert, dass du plötzlich so denkst?", fragt er mich. Ich zucke mit den Schultern.
,,Ich habe gemerkt, dass ich zu undankbar bin. Wir wissen beide wie das alles für mich enden würde, wärst du nicht gewesen. Außerdem weiß ich doch wie geduldig du mit mir bist. Das wäre nicht jeder", antworte ich ihm. Ich sehe auf meine Hände. ,,Vor allem aber möchte ich mehr über die Person wissen, die mich so oft gerettet hat", erkläre ich ihm. ,,Du hättest nichts davon tun müssen und doch hast du es getan. Ich will mich revanchieren indem ich dir eine gute Frau sein werde."
Er hebt seinen Blick, sichtlich überrascht. Dann nickt er nur und steht auf. ,,Du solltest jetzt schlafen."
Er will aus der Tür gehen, aber ich halte ihn am Arm auf.
,,Wirst du jetzt immer wo anders schlafen?", frage ich ihn. Er sieht mich fragend an. ,,Wieso fragst du?"
Unsicher zucke ich mit den Schultern und sehe auf meine Hände.
,,Ich ... ich hätte nichts dagegen wenn du hier schläfst. Es ist sehr einsam hier und manchmal ..." zögere ich peinlich berührt. ,,... manchmal habe ich diese Albträume. Deshalb traue ich mich nicht mehr einzuschlafen", versuche ich ihm klar zu machen, dass ich mich sicherer fühle wenn er hier bleibt. Er überlegt kurz und nimmt die Hand von der Klinke.
,,Ich werde heute Nacht nicht schlafen, ich warte bis Nando wach wird."
Enttäuscht lasse ich die Schultern hängen und nicke verständnisvoll. Er dreht sich zu mir um und nickt in Richting Bett. ,,Leg dich hin. Ich kann trotzdem warten bis du einschläfst."
Überrascht über seine Aussage nicke ich. ,,Ich räume hier nur schnell auf", sage ich und nehme das dreckige Hemd und die Handtücher, als er mich aufhält.
,,Nicht nötig. Wasch dir das Blut ab und leg dich schlafen. Ich bin hier", sagt er. Ich nicke schüchtern. ,,Na schön", sage ich leise und gehe ins Bad. Ich wasche mir Hände und Gesicht, putze mir die Zähne und gehe wieder ins Schlafzimmer. Ich lege mich ins Bett nachdem ich sehe wie Vasco auf der Terrasse sitzt und sich eine Zigarre anzündet. Es ist seltsam, aber dass er hier ist beruhigt mich tatsächlich. Ich schließe müde die Augen und falle schneller als gedacht in einen ruhigen Schlaf.

× × × × ×

08:49 Uhr

Am nächsten Morgen wache ich auf ohne dass mich Clara weckt. Vasco ist nirgends zusehen. Ich stehe auf, mache mich frisch und räume die blutigen Sachen von gestern Abend weg. Als ich fertig bin und runter gehe treffe ich im Flur auf Valeria. Sie kommt aus dem Raum, in dem Nando untergebracht wurde. Sie schließt gerade die Tür hinter sich, als sie mich dann sieht. ,,Was guckst du so?", zischt sie arrogant und hält ein Tablett in der Hand mit blutbefleckten Handtüchern.
Ich antworte nicht und gehe nur weiter die Treppen runter.

Als ich ins Esszimmer gehe, sehe ich Clara. Sie deckt zusammen mit einer neuen Bediensteten - ich glaube Marina war ihr Name - den Tisch. Clara hatte mir von ihr erzählt.
,,Guten Morgen Señora", begrüßt Clara mich.
,,Guten Morgen. Weißt du wo Vasco ist Clara?", frage ich sie.
,,Don Vasco ist draußen im Garten."
Ich nicke und sehe zu Marina. Eine hübsche junge Frau mit hellbraunen Haaren und genau so hellbraunen Augen. Sie hat einige Sommersprossen im Gesicht und schmale Lippen.
,,Du bist neu hier. Marina, stimmt's?", frage ich sie. Sie nickt.
,,Ja Señora", antwortet sie schüchtern.
,,Kommst du gut zurecht Marina?", frage ich sie freundlich.
,,Das tue ich Señora. Clara erklärt mir alles", sagt sie. Clara macht aber nicht so ein begeistertes Gesicht als sie das sagt.
,,Das freut mich. Ruft mich bitte wenn das Frühstück fertig ist."
,,Machen wir Señora", sagt Clara. Ich nicke und gehe dann durch die offene Glastür raus in den Garten. Vasco steht unter der prallen Sonne und beendet gerade ein Telefonat. Ich gehe auf ihn zu und stelle mich neben ihn. Seine Klamotten sind frisch, er hat sich wohl umgezogen.

,,Wie geht es dir?", frage ich ihn und spüre schon die heißen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Wie lange steht er schon hier? Er sollte sich lieber ausruhen statt in der Hitze herumzustehen.
,,Alles bestens", antwortet er knapp.
Ich spreche. ,,Wieso stehst du hier draußen in der Hitze herum? Du müsstest dich ausruhen, deine Wunde ist noch frisch. Du solltest jetzt nicht schwitzen das Verband wird na-"
,,Es geht mir gut", unterbricht er mich und dreht sich dann zu mir. Ich blicke ihn fragend an.
,,Du darfst zu deiner Abuela. Du kannst ein paar Tage dort bleiben, bis die Lage sich beruhigt hat."
Ich sehe ihn verblüfft an. ,,Wirklich?", frage ich ihn aufgeregt.
Er nickt bestätigend. ,,Pack dir ein paar Sachen zusammen, das Auto steht bereit."
Ich strahle ihn vor Freude an.

,,Danke Vasco!"

LeyaWhere stories live. Discover now