V I E R U N D V I E R Z I G

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A f e c t o

23:14 Uhr

Zwölf Tage sind schon um, seit Ria in diesem Internat ist. Vasco versprach mir, dass ich sie alle zwei Wochen sehen darf, also sollte ich sie eigentlich morgen oder übermorgen sehen dürfen. Ich bin weiterhin bei Abuela und Vasco hat mich noch immer nicht nach Hause gerufen. Ich habe das Gefühl, dass er sein Versprechen vergessen hat. Ich kann es zwar verstehen, ich meine Nando wurde schwer verletzt und bis die Lage sich beruhigt sollte ich auch weg ... trotzdem überkommt mich dieses komische Gefühl. Wenn ich fertig bin mit Geschirrspülen, rufe ich Vasco an und frage ihn.

Ich spüle das Geschirr fertig während Abuela im Wohnzimmer einen Loch in ihrer Hose flickt und ihre Lieblingssendung schaut. Schnell trockne ich meine Hände ab und gehe zu Abuela ins Wohnzimmer.
,,Abuela ich gehe kurz raus und nehme Marios Teller", sage ich ihr Bescheid. Wir geben ihm immer etwas vom Essen, egal wie oft er versucht abzulehnen.
,,Mach das liebes. Sag ihm doch, dass er rein kommen kann wenn er möchte. Es ist doch anstrengend den ganzen Tag wache zu halten", sagt sie und blickt mich durch ihre Brille an.
,,Kann ich machen, aber er wird wie immer ablehnen", antworte ich.
,,Er ist ein sturer Bengel, aber auch sehr diszipliniert. Das ist gut", merkt sie schmunzelnd an und widmet sich wieder Nadel und Faden. Ich gehe zur Haustür und trete hinaus. Mario sitzt in seinem Auto und telefoniert. Als er mich dann sieht, legt er auf und steigt aus dem Wagen.
,,Ich wollte das Besteck abholen", sage ich. Er nickt und reicht es mir aus seinem Auto. Ich nehme es in eine Hand.
,,Hat es geschmeckt?", frage ich.
Er nickt. ,,Wie immer, Doña Leya. Vielen Dank."
Ich nicke. ,,Wäre es ein Problem für dich, wenn du Vasco kurz anrufen könntest? Ich möchte ihn etwas fragen."
,,Ich kann es ihm weiterleiten Doña Leya", sagt er. Ich schüttle den Kopf.
,,Es ist etwas persönliches. Es ist wichtig", erkläre ich. ,,Es wird auch nicht lange dauern."
Er überlegt und nickt zögernd. Er kramt sein Telefon heraus, wählt die Nummer und reicht es mir.
,,Danke", sage ich woraufhin er stumm nickt und in seinen Wagen steigt um mir etwas Privatsphäre zu geben.

Nach dreimal Klingeln, nimmt er ab.
,,Was gibt's? Ich bin beschäftigt", höre ich seine Stimme. Seine Atmung ist nicht so ruhig wie sonst, als hätte er sich leicht angestrengt. Im Hintergrund hört man dumpfe Laute, nur kann ich sie nicht genau einordnen.
,,¡Habla, puto! (Sprich, Bastard!)", höre ich jemanden im Hintergrund brüllen und dann wieder diese dumpfen Geräusche. Sind das etwa Schläge?!
,,Sag schon Mario!", zischt Vasco genervt.
,,Vasco", sage ich nervös und überlege was ich als nächstes sagen soll. Sofort ist es still. Die Geräusche im Hintergrund verstummen.
,,Ist etwas passiert?", fragt er mich. Ich höre wie eine Tür sich schließt.
,,Nein ... ich ...", stammle ich vor mich hin. Ich kann mir vorstellen, womit er gerade beschäftigt ist und das macht mir Angst.
,,Ich wollte dich nur fragen wann ich zurück kommen soll ...", kommt es zögerlich aus meinem Mund.
,,Wieso? Du wolltest doch so unbedingt zu deiner Abuela?", fragt er skeptisch.
,,Ja, das wollte ich auch. Aber du hast mir versprochen, dass ich meine Schwester alle zwei Wochen sehen darf und bald sind es schon zwei Wo-"
,,Ich muss das verschieben", unterbricht er mich. Ich schlucke schwer. ,,Aber warum? Liegt es etwa an der Schießerei? Könntest du mir bitte erklären was hier vor sich geht?"
,,Stell keine Fragen. Du bleibst so lange bis ich dich rufe, entendido? Wenn du Geld oder sonst etwas brauchst, sagst du es Mario. Hör auf mich anzurufen."
Ergeben nicke ich, als würde er mich sehen können. Ich wage es nicht darauf zu bestehen, meine Schwester zu treffen. Es ist wohl auch besser so.
,,Na schön", gebe ich nach. ,,Pass auf dich auf."
Er legt auf. Ich seufze enttäuscht und gebe Mario das Telefon. Ohne weiteres gehe ich mit dem Besteck in der Hand zurück ins Haus.

× × × × ×

21:38 Uhr

In einer halben Stunde schließen wir den Laden. Ich packe gerade das übrige Gebäck ein, als ich entdecke wie Mario jemandem den Eingang zum Laden versperrt. Als ich genau hinsehe, erkenne ich Marta.
,,Ich habe nichts mehr zu Essen! Bitte, es tut mir Leid!", ruft Marta verzweifelt. ,,Rosita! Bitte, ich habe seit Tagen nichts vernünftiges gegessen!", bettelt sie. Wegen dem Wasserhahn hört Rosita in der Küche nichts. Mit zittrigen Händen packe ich das Essen zusammen. Ich krame das Geld heraus was Vasco mir gegeben hat und tue es auch in die Tüte. Dann gehe ich zur offenen Eingangstür. Marta hält inne und blickt mich mit leerem Blick an.
,,Hier", sage ich kleinlaut und reiche es ihr zögerlich. Sie blickt die Tüte, dann mich an. Mario nimmt mir die Tüte aus der Hand und drückt es in ihre.
,,Da hast du es. Jetzt mach, dass du wegkommst!", drängt er sie. Sie sieht mich lange an. Ohne ein Wort läuft sie davon.

LeyaDonde viven las historias. Descúbrelo ahora