S E C H S U N D V I E R Z I G

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O d i o

23:56 Uhr

Den Rest des Tages verbringe ich auf der Terrasse. Ich sitze mit beiden Beinen an meinen Körper angezogen auf dem Sessel und habe den Teller mit der süßen Backware frustvoll aufgegessen. Vom ganzen Nachdenken habe ich kopfschmerzen bekommen. Vorhin habe ich Schmerztabletten geschluckt, aber noch zeigen sie in keinster Weise Wirkung.

Ich trinke etwas vom kalten Fruchtsaft den Clara mir vorhin gebracht hat und seufze auf. Ein Blick in den Garten verrät mir, dass Isabella noch immer am Pool sitzt, ein Buch liest und in ihrem knappen Badeanzug einen Cocktail nach dem anderen trinkt. Valeria geht oft in die Sauna und ins Fitnessstudio. Ich hingegen hocke wie immer den ganzen Tag im Zimmer, weil ich alles und jedem aus dem Weg gehen will.
Es ist mir so peinlich auf ihn reingefallen zu sein. Was habe ich erwartet? Dass er mich auf seinen Händen trägt und mir ewige Liebe schwört? Es war doch klar, dass ihm diese Nacht nichts bedeutet. Ich bin wohl eben doch nur eine von vielen, die bei ihm gelegen haben. Ich schäme mich so sehr, dass ich am liebsten wieder losheulen könnte. Er hat mich regelrecht verführt und ich bin wie ein naives Kind auf ihn reingefallen. Mir war klar, dass er sich nicht von Grundauf ändern würde. Aber als wir in dieser Nacht dieses kurze Gespräch hatten, hat er mir diese unnötigen Hoffnungen gemacht. Ich dachte nur, dass er ... ich weiß nicht ...

Erneut laufen mir Tränen der Enttäuschung über die Wangen. Wie konnte ich mich nur so gehen lassen?
Ich habe mich meiner Sehnsucht nach Nähe und Sicherheit hingegeben, weil ich zu schwach war! Ich wollte nicht mehr so einsam sein wenn ich hierher zurück kehre und habe deshalb eine Beziehung zu ihm aufbauen wollen, aber das ging mehr als in die Hose. Meine Eltern drehen sich wahrscheinlich im Grabe um, wenn sie sehen zu was für einem Mädchen ich geworden bin. Ich dachte ich sei stark genug um auf meinen eigenen Beinen zu stehen und für meine Schwester zu sorgen, komme was wolle. Aber jetzt? Jetzt habe ich mich auf diesen Mann eingelassen, wohl wissend, dass ich nichts als eine von vielen für ihn bin. Letzte Nacht dachte ich wirklich, er würde so etwas wie Gefühle für mich empfinden. Ich hatte irgendwie gehofft er würde mich ab sofort anders behandeln als sonst, wenigstens ein bisschen. Nicht mehr wie ein Mädchen, dem er jedes Mal mit Skepsis gegenüber steht, sondern mit Vertrauen. Ich habe mich in seinen Armen so wohl gefühlt, dass mein Herz jedes Mal zusammenzieht wenn ich daran denke wie gleichgültig ihm meine Gefühle sind. Als ich ihm in die Augen gesehen habe, sah ich so viel Zuneigung. Mein Herz hat wie verrückt geschlagen wenn seine Lippen meinen Körper berührt haben. Ich wollte einfach nur mit ihm zusammen sein und alles andere vergessen. Einsamkeit, Leid, Kummer - ich wollte nichts davon fühlen, wenn auch nur für einen einzigen Moment. Ich wollte die Realität nur für diese eine Nacht vergessen, nur damit sie am nächsten Morgen doppelt so schwer auf mich einschlagen kann. Ich war so dumm ...

Als ich höre wie jemand ins Schlafzimmer tritt, wische ich mir mit meinem Ärmel schnell über die Augen und ziehe die Nase hoch. Ein Blick in die Richtung verrät mir, dass es Vasco ist. Er nimmt die Uhr an seinem Handgelenk ab und legt sie auf die Nachtkommode. Als ich sehe wie er auf die Terrasse tritt, stelle ich das Glas in meiner Hand auf den Tisch vor mir ab und stehe auf. Ich habe nicht die Nerven dafür ihm jetzt gegenüber zu stehen und so zu tun als sei nichts passiert. Ich will gerade an ihm vorbei gehen, doch er versperrt mir den Weg. Ich sehe nur auf den Boden und warte ab, was er zusagen hat. Er soll nicht merken, dass ich geweint habe.
Er beginnt zu sprechen.
,,Du musst mir noch sagen, was mit deinem Hals passiert ist."
Ich spanne meinen Kiefer an.
,,Ich sagte doch, es ist nichts", bringe ich brüchig hervor. Er antwortet, sein Ton ist dieses mal ungeduldiger.
,,Nach nichts sieht das aber nicht aus."
,,Ist es aber", zische ich heiser und dränge mich an ihm vorbei.

Als würde ihn interessieren was passiert ist. Am Ende des Tages wenn seine Erledigungen beendet sind, nimmt er sich Zeit für mich, als wäre es unbedeutende Routine für ihn. Er macht es nicht, weil ich ihn interessiere. Er macht es aus irgendeinem schwachsinnigen Pflichtgefühl. Vor allem jetzt wo er mich schön ausgenutzt hat, glaubt er mir Besorgnis vortäuschen zu müssen.

LeyaWhere stories live. Discover now