Z W E I

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M e d i a n o c h e

00:00 Uhr

Unruhig wache ich mitten in der Nacht auf. Darauf bedacht, Ria nicht zu wecken, stehe ich mit trockenem Hals vom Bett auf und gehe in die Küche. Ich nehme mir eine kalte Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und fülle etwas ins Glas. Als die kalte Flüssigkeit seinen Weg in meinen Magen findet, seufze ich müde auf und stelle das Glas wieder ab. Die Wasserflasche stelle ich wieder in den Kühlschrank und gehe aus der Küche. Als ich den Flur entlang gehe, sehe ich in Papás Zimmer. Die Tür steht offen und das Zimmer ist leer. Ich gehe ins Wohnzimmer, auf die Terasse, klopfe an der Tür vom Bad, doch er ist nirgends aufzufinden.

Er ist schon seit mehreren Stunden weg und nicht zurück gekommen. Wollte er nicht nur das Licht im Laden ausschalten?
Mir fallen schlimme Dinge ein und Sorgen machen sich in mir breit. Diese Stadt ist nicht wirklich die sicherste, erst recht nicht um diese Uhrzeit. Vielleicht sollte ich mal nachsehen? Er wird bestimmt schimpfen wenn ich dort auftauche. Außerdem müsste ich Ria alleine lassen. Der Laden ist nur ein paar Blöcke entfernt, es würde eigentlich nicht lange dauern ...
Ich warte noch zehn Minuten und wenn er nicht auftaucht, dann suche ich nach ihm!

Angespannt setze ich mich ins Wohnzimmer und warte. Mein Bein wippt auf und ab, während ich besorgt auf Papá warte. Wenn ich jetzt so überlege fällt mir auf, dass er schon öfters Abends raus geht. Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein. Ich werde leicht paranoid, wenn ich zu viel nachdenke. Ich werde vor allem sehr paranoid wenn ich an Ria denke, sollte sie mal fünf Minuten zuspät kommen vom spielen mit ihren Freunden. Ich fühle mich schon gar nicht mehr wie ihre Schwester, sondern mehr wie ihre Mutter.

Die zehn Minuten sind um und noch immer ist Papá nicht zurück. Ich stehe auf und sehe kurz nach Ria. Sie schläft tief und fest. Ich ziehe mir eine Caprihose an und nehme meine dünne Jacke. Nachts ist die Luft ein wenig kühler, auch wenn kaum Wind weht.

Ich nehme mir die Schlüssel und gehe raus. Schnell schließe ich die Eingangstür ab und mache mich auf den Weg zum Laden.

Abends beleuchten nur wenige Laternen die Straßen. Streunende Hunde und Katzen sind hier und da auf den Straßen zu sehen und von den kleinen Häusern hört man Gelächter von Familien, die gemeinsam ihre Lieblingssendung schauen. Die Straßen sind kaum befahren, während ich an den Häusern vorbeigehe und die frische Luft einatme. Ich spüre wie ich langsam wach werde als ich in die nächste Straße abbiege. Die Sterne leuchten hell am Himmel, machen mir klar, wie vergänglich das Leben doch ist.

Carpe Diem.

Diesen Spruch hatte ich in eines der vielen Bücher gelesen, die Rosita mir geschenkt hat. Es bedeutet, man solle den Tag genießen und nichts auf morgen verschieben, da das Leben vergänglich ist. Sehr weise, wenn man bedenkt, dass dieser Gedanke bei vielen in Vergessenheit gerät. Auch bei mir. Eigentlich sollte man das Leben genießen, aber unter solchen Umständen ist das nicht einfach. Mir steht es nicht zu das Leben zu genießen, sondern nur das Beste daraus zu machen. Trotzdem kann ich mich glücklich schätzen für alles was ich habe, auch wenn es nicht viel ist.
Man denkt so viel an das, was man nicht hat, statt dankbar für das zu sein, was einem noch geblieben ist.
Egoísmo, wie Mutter sagen würde.

Als ich in die Seitenstraße abbiege um endlich am Laden anzukommen, höre ich laute Männerstimmen. Ich bleibe stehen und beobachte sie. Es sind fünf Männer die vor unserem Laden stehen.
,,Ich frage dich ein letztes mal, du alter Sack. Wo ist das versprochene Geld?", sagt einer von ihnen bedrohlich zu einem älteren Mann. Plötzlich erkenne ich den älteren Mann. Es ist Papá, der inmitten dieser Männer steht.
,,Gebt mir nur noch eine Woche. Ich habe die Hälfte schon zusammen, zählt nach, es stimmt", antwortet Papá bittend.

LeyaWhere stories live. Discover now