F Ü N F Z I G

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S i l e n c i o

09:10 Uhr

Ich komme gerade aus der Dusche, während Vasco noch im Bett liegt und auf seinem Telefon herumtippt. Ich schnappe mir Unterwäsche und Klamotten aus dem Schrank und will wieder ins Bad, als er mich aufhält.
,,Wohin?", fragt er mich prüfend.
,,Ins Bad, ich will mich anziehen", antworte ich ihm fragend.
,,Und das kannst du nicht hier?", sagt er genervt. ,,Ich habe alles von dir gesehen, es gibt für dich keinen Grund dich im Bad anzuziehen", fügt er hinzu.
,,Nur damit du mir dabei zusehen kannst? Nein danke", sage ich und verschwinde im Bad.

Nachdem ich mich angezogen und meine Haare geföhnt habe, trete ich ins Schlafzimmer. Ich sehe wie Vasco seinen Gürtel schließt und die letzten Knöpfe seines Hemdes zuknöpft.
,,Bleibst du zum Frühstück?", frage ich ihn.
,,Nein. Ich muss ein paar Sachen erledigen", sagt er knapp. Ich nicke nur als er seine Armbanduhr anbringt, von der ich dachte es sei immer die selbe, aber er trägt jeden Tag eine andere.
Ich gehe zum Schminktisch und öffne den Deckel der Gesichtscreme. Ich trage sie gleichmäßig auf als Vasco zu mir kommt und meine Haare auf eine Hand sammelt. Er schiebt sie mir auf eine Schulter und drückt seine weichen Lippen auf meinen Hals. Er sieht mich durch den Spiegel an.
,,Sitz nicht den ganzen Tag im Zimmer herum. Nando ist heute nicht hier, also kannst du den Pool ausprobieren", schlägt er vor. War ja klar, dass ich das nur darf wenn kein anderer Mann im Haus ist. Ich drehe mich zu ihm um.
,,Oder du erlaubst mir in die Stadt zu gehen", schlage ich stattdessen vor. Ich war das letzte Mal als Kind in der Stadt weil Papá mich einmal mitgenommen hat um mir eine Schultasche zu kaufen. Ich habe sie nur leider nicht wirklich gebrauchen können, dafür aber meine Schwester. Ich erinnere mich wie voll es dort war. Noch nie hatte ich so viele Menschen an einem Ort gesehen wie in der Innenstadt.
Seine Miene verhärtet sich.
,,Auf keinen Fall", stellt er klar. ,,Du bleibst Zuhause."
,,Bitte! Nur für ein paar Stunden! Mario könnte mich doch fahren? Wie bei Abuela", schlage ich hoffnungsvoll vor.
,,Ich sagte nein", sagt er streng und lässt von mir ab. ,,Geh schwimmen oder in die Sauna oder sowas. Du gehst nicht raus."
Genervt antworte ich nicht und packe wütend die Creme weg. Es scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren, dass ich sauer bin, weil er einfach zur Tür geht. ,,Warte heute Abend nicht auf mich", sagt er nur und verschwindet auch schon.

Wieso führt er sich so auf? Er tut so als würde der nächst Beste mich auffressen wenn ich mal einen Fuß vor die Tür setze!

× × × × ×

15:18 Uhr

,,Ich habe kein Badeanzug gefunden", sage ich zu Clara nachdem ich sie ins Schlafzimmer gerufen habe.
,,Die sind in dieser Schublade Señora", sagt Clara und schiebt die Schranktür auf. Sie beugt sich runter zu einer Schublade und zeigt mir die Bikinis.
,,Oh, das wusste ich nicht", sage ich überrascht.
,,Möchten Sie zum Pool?", fragt Clara mich lächelnd. Sogar sie freut sich darüber, dass ich mal etwas anderes tun will als herumzusitzen. Ich schüttle den Kopf.
,,Nein, ich möchte zum Pool auf der Terrasse", erkläre ich. ,,Der im Garten ist zu tief. Ich kann nicht schwimmen", füge ich hinzu.
,,Sie meinen den Jacuzzi, verstehe.", sagt sie. Jacuzzi nennt man das also ...
,,Suchen Sie sich ein Bikini aus. Ich bereite Ihnen das Becken vor."
Ich nicke und ziehe mir im Bad ein rotes Bikini an. Ich schnappe mir ein Handtuch und gehe zu Clara auf die Terrasse. Das Wasser im runden Becken sprudelt zu meinem erstaunen. Clara hält eine Fernbedienung in der Hand.

Ich finde es wirklich beeindruckend wie Clara es schafft den gesamten Haushalt alleine zu bewältigen. Fragend blicke ich sie an.
,,Clara, gab es nicht noch mehr Angestellte, die dir bei allem helfen?", frage ich sie. Bevor ich zu Abuela gegangen bin, gab es doch viel mehr Personal?
Sie blickt mich überrascht an und lächelt. ,,Doch, früher gab es viel mehr Angestellte nur ...", zögert sie plötzlich bedrückt.
,,Was?", frage ich sie. Sie schüttelt den Kopf, als würde sie sich an etwas erinnern.
,,Nicht so wichtig", sagt sie und möchte ihre Unruhe mit einem Lächeln überspielen, aber darauf falle ich nicht rein. Wieso will sie es mir nicht sagen?
Sie zögert und blickt auf den Boden.
,,Ich lasse dich nicht gehen bis du es mir sagst. Hat Vasco es dir verboten? Ich sage es ihm nicht, keine Sorge", versichere ich ihr. Sie hat wortwörtlich Angst darüber zu sprechen. Sie atmet tief durch.
,,Während Ihrer Abwesenheit, fand man eine unserer Angestellten in der Wäschekammer ... leblos. Sie hat sich das Leben genommen", erklärt sie. Verwirrt sehe ich sie an. Bitte was?
,,Ich fand sie, wie sie von der Decke herunterbaumelte. Sie war noch so jung ..."
Fassungslos sehe ich sie an.
,,Meinst du etwa das junge Mädchen, das vor Marina hier war? Aber sie war doch immer so lieb und ...", ich breche geschockt ab. Hat er deswegen das Personal verringert? Wieso weiß ich nichts davon?
,,Ich verstehe es auch nicht Señora. Camila war so ein gutes Kind, immer so fröhlich ... sie hatte einen kleinen Bruder um den sie sich gekümmert hat", sagt Clara traurig und ich bemerke wie schwer sie versucht sich zu fassen. Ich nehme sie behutsam in die Arme.
,,Das tut mir so leid", flüstere ich traurig und noch immer verwirrt. Das alles hat sich während meiner Abwesenheit abgespielt?
,,Danke Señora", sagt Clara dankbar und löst sich von mir. Sie zieht die Nase hoch und atmet tief durch. ,,Wie auch immer ...", sagt sie schnell. Schon fast beschämt darüber, dass sie vor meinen Augen trauert.
,,Ich zeige Ihnen schnell was passiert wenn man diese Knöpfe drückt", sagt sie und drückt mir die Fernbedienung in die Hand. Ich sage nichts weiter, weil sie es auch selbst irgendwie braucht, sich abzulenken. Sie beginnt damit, mir alles beizubringen. ,,Es ist ziemlich warm hier draußen, also glaube ich nicht, dass sie das Wasser warm haben wollen ..."

LeyaWhere stories live. Discover now