S I E B E N U N D V I E R Z I G

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C o y o t e

22:57 Uhr

Ich habe seit Gestern das Zimmer nicht verlassen. Ich fühle mich einfach nur schlecht und habe das Bedürfnis die ganze Zeit zu weinen, verkneife es mir aber so gut es geht. Es macht mich fertig immer so einsam zu sein und in diesem Zimmer zu warten bis etwas passiert. Vasco geht mir aus dem Weg so wie er es immer tut wenn wir streiten. Ich frage mich ob er sich schlecht fühlt. Ob er überhaupt noch daran denkt. Mir geht es nämlich nicht aus dem Kopf. Ich kann noch immer nicht fassen wie anders er in unserer gemeinsamen Nacht war. Ich erinnere mich an das Gespräch das wir hatten. Noch nie war er so offen zu mir, wie in dieser Nacht.

R ü c k b l e n d e

Vor zwei Tagen

01:52 Uhr

Mit glühenden Wangen schmiege ich mich an seine Brust. Das Nachtlicht ist an, weshalb ich gut erkennen kann wie seine Stirn noch leicht glänzt. Er greift kurz nach seinem Telefon um zu sehen wie spät es ist. Dann legt er es wieder hin und sieht an die Decke. Wir atmen noch immer schwer wegen dem was vorhin passiert ist. Ich fühle mich bei ihm so sicher und geborgen, dass ich mir wünsche, dieser Moment würde nie enden.

Ich blicke zu ihm hoch und sehe in diese schönen Augen, die mir mittlerweile kein unwohles Gefühl mehr geben. Mit seiner Hand die unter mir liegt, fährt er mir behutsam mit den Fingerspitzen über meine Taille. Schüchtern lächle ich ihn an, was ihn dazu verleitet mich zu küssen. Ich genieße das Gefühl seiner Lippen auf meinen, kann noch immer nicht glauben wie liebevoll er ist.
Als er von mir ablässt, lege ich meinen Kopf wieder auf seine Brust und horche seinem kräftigen Herzschlag. Ich blicke auf das Tattoo an der Innenseite seines rechten Unterarms.
,,Ist das ein Wolf?", frage ich ihn und greife nach seinem Arm um es mir genauer anzusehen. Er lässt es zu.
,,Ein Kojote", antwortet er ruhig und beobachtet mich dabei wie ich das Tattoo inspiziere. Darauf abgebildet ist ein Kojote in einer Wüste, welcher eine tote Schlange zwischen seinen Zähnen hält und über verschiedene Tierkadaver die am Boden liegen hinweg steigt.
,,Was hat das zu bedeuten?", frage ich ihn neugierig. Seine Mundwinkel zucken leicht hoch.
,,Der Kojote ist unser Symbol", erklärt er mir. ,,Kojoten sind Aasfresser, sie ernähren sich von Kadavern und es gibt sie auch in Mexiko. Es passt also ziemlich gut zu uns."
Stimmt, dass Kartell heißt 'Carroñeros', also Aasfresser.
,,Wer kam auf diesen Namen?", frage ich ihn. Er legt seinen Arm unter den Kopf.
,,Mein Großvater. Er hat das alles zusammen mit meinem Vater gegründet", antwortet er ruhig. Ich atme freudig durch, als ich höre wie er Familienmitglieder erwähnt. Der schöne Klang seiner Stimme erklingt erneut im Raum als er weiter spricht.
,,Er sagte, dass er den Namen wählte, weil wir im Grunde genau das tun. Wir leben vom Untergang anderer", erklärt er gedankenverloren. ,,Jeder der im Kreise aufgenommen wird, muss sich das Tattoo stechen um die eigenen Sünden niemals zu vergessen. Wir sollen das tun, was wir tun müssen, ohne zu vergessen dass diese Menschen denen wir schaden, auch Familie haben. Wir sollten uns immer bewusst sein, was für Konsequenzen unsere Taten haben. Und das wir nichts weiteres sind als die, die sich am Leid anderer nähren."
Ich schlucke schwer. Es macht mich traurig, dass er mit solch traurigen Sprüchen erzogen wurde. ,,Wie alt warst du, als es dir gestochen wurde?"
,,Dreizehn. Natürlich sah das Tattoo damals anders aus, ich habe es später überstechen lassen", antwortet er. Ich blicke zu ihm auf. Er wurde so jung im Kreise aufgenommen? Aber er war gerade mal fast so alt wie Ria?
,,Was?", fragt er amüsiert als er meinen geschockten Blick sieht.
,,Aber du warst ja noch ein Kind", sage ich traurig. Er nickt als sei es nichts bewegendes.
,,Mein Großvater war der Meinung, dass Kinder schneller und besser lernen."
Ich schmiege mich näher an ihn und lasse mir diese Worte durch den Kopf gehen. ,,Mochtest du ihn?", frage ich ihn leise und zeichne mit dem Finger nachdenklich kleine Kreise auf seine Brust. Er zögert.
,,Zumindest mehr als meinen Vater", antwortet er.
,,Wie war dein Vater so?", frage ich ihn. Er blickt wieder an die Decke.
,,Kein guter Vater", antwortet er knapp. Nachdenklich sehe ich mir die Narben an seinem Körper an. Er schaltet das Nachtlicht aus.

,,Schlaf jetzt."

G e g e n w a r t

Ich habe mich so gefreut als er mir etwas über seine Familie erzählt hat, auch wenn es keine schönen Erzählungen waren. Er hat mir in dieser Nacht vertraut. Wieso benimmt er sich mir gegenüber dann so kalt? Er hat so getan als sei zwischen uns nichts gewesen. Weiß er denn nicht, wie sehr er mich damit verletzt hat?
Ich musste ihn erst provozieren damit er mir sagt, dass es ihn etwas bedeutet hat. Wieso ist es so schwer für ihn, es mir einfach offen und ehrlich zu sagen? Ich muss ihn wirklich jedes Mal dazu drängen damit er in mehreren Sätzen mit mir spricht.
Vor allem gestern, er war so wütend ... ich will gar nicht wissen was passiert wäre, wenn ich wirklich so etwas wie eine Affäre hätte. Er hat tatsächlich geglaubt, ich sei zu Abuela gegangen um mich mit jemandem zu treffen. Idiot! Hat er deshalb Mario geschickt? Etwa weil er an meiner Treue zweifelt? Ich verstehe einfach nicht wieso er sich so kalt benimmt? Ich sage ja nicht, dass er mich vor allen als sein Liebling präsentieren soll, für wen hält er mich?
Ich will doch nur, dass er mich nicht so abweisend behandelt.
Aber was mache ich mir vor? So ein Eisklotz wie er wird es nie verstehen.

Ich sollte endlich mal schlafen. So vor mich hinzugrübeln wird mir nichts bringen.

× × × × ×

03:36 Uhr

Mit trockenem Hals wache ich in der Nacht auf. Ich nehme das Glas von der Nachtkommode. Als ich etwas Wasser ins Glas schütten will bemerke ich, dass der Wasserkrug leer ist. Seufzend setze ich mich auf. Ich könnte vom Wasserhahn im Bad trinken, aber das schmeckt mir nicht so sehr wie normales Wasser.

Ich schlage die Bettdecke zur Seite, ziehe mir den Morgenmantel über und die Hausschuhe an. Müde öffne ich die Tür des Schlafzimmers und trete hinaus. Alle sind schon am schlafen. Keine Ahnung wo Vasco ist, ist mir aber auch herzlich egal.

Gähnend steige ich die Treppen hinunter und gehe den Flur entlang zur Küche. Ich nehme mir ein Glas, öffne den Kühlschrank und nehme das kalte Wasser heraus. Nachdem ich zwei Gläser trinke, stelle ich das Glas in die Spüle und nehme die Wasserflasche mit bevor ich die Küche verlasse.
Als ich im Flur stehe fällt mir ein, dass es eigentlich verboten ist hier zu sein. Ich sehe mich um. Niemand ist hier. Es schadet doch nicht, einen Blick zu riskieren? Wobei die Tür bestimmt abgeschlossen ist, aber ein Versuch ist es ja wert.

Neugierig folge ich dem Flur. Ich gelange an eine Tür, von der ich nur weiß, dass sie mich zu einer Abstellkammer führen müsste. Das glaube ich jedenfalls.
Ich sehe mich vorsichtig um und öffne die Tür. Als ich das Licht anschalte, sehe ich eine Treppe die nach unten führt. Ich bin nervös, weil ich mir nicht sicher bin wo Vasco sich herumtreibt. Jedoch gewinnt meine Neugier, weshalb ich die Treppen vorsichtig und so leise wie möglich hinunter steige. Unten angekommen befinde ich mich in einem Weinkeller. Die Wände links und rechts sind mit teuren Alkoholflaschen übersäht. Hier ist doch gar nichts?

Hinter der Treppe erkenne ich dann eine Tür. Ich trete näher an sie ran und lausche. Nichts.
Als ich dann die Türklinke vorsichtig betätige, muss ich feststellen, dass die Tür abgeschlossen ist. Ich seufze. Was solls. Wenigstens weiß ich jetzt, dass wir einen Weinkeller haben.
Irgendwie enttäuscht gehe ich wieder die Treppen hoch und schließe die Tür.

Ich gehe mit der Wasserflasche zurück ins Schlafzimmer und lege mich ins Bett. Es dauert nicht lange bis ich es schaffe wieder einzuschlafen.

LeyaWhere stories live. Discover now