F Ü N F U N D A C H T Z I G

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R e g r e s a

Ich führe ihn an der Hand ins Wohnzimmer. Er muss sich ducken wenn er den Türrahmen passieren will. Diese kleine Wohnung ist alles andere als die Villa in der wir lebten. Jedoch fühle ich mich hier mehr zu Hause als ich es dort je getan habe. Ich denke das wird sich nie ändern.

Ich setze mich mit ihm auf das Sofa. Vasco zieht mich an seine Brust und legt seine Arme um mich. Ich bin einfach nur still und horche seinem Herzschlag. Auch er sagt nichts, fährt stattdessen mit seinem Daumen über meine Wange während er seine Lippen an meine Stirn drückt. So verweilen wir, still und in unseren Gedanken. Ich bin kurz davor an seiner Brust einzuschlafen, als er die Stille bricht.
,,Dieser Kerl, einer von Ricardos Leuten ... er sagte er hätte dich in einem Bordell gesehen. Er hätte dir helfen wollen und dann hätten sie dich erschossen. Was ist passiert?"
Bei diesen Worten werde ich wieder hellwach. Ich setze mich auf und sehe ihm dabei zu wie er etwas aus seiner Jackentasche kramt. Es ist mein Ehering, beschmiert mit Blut, aber nicht mein Blut.

Was sage ich jetzt nur? Weiß Vasco von Cassius? Ich weiß ja nicht was Sergio ihm erzählt hat ...
,,Wer war der Kerl der ihm diesen Ring gegeben hat, erinnerst du dich?", fragt Vasco mich. Sergio hat ihm wirklich von Cassius erzählt! Was mache ich jetzt?
,,Du musst keine Angst mehr haben. Ich bin jetzt bei dir", verspricht er mir ernst. ,,Eine kurze Beschreibung reicht."
,,Ich erinnere mich nicht", sage ich nur leise. Sergio hat Vasco erzählt, dass er mir helfen wollte. Etwas anderes war von ihm auch nicht zu erwarten. Würde ich ihm sagen dass er sich an mir vergehen wollte, würde Vasco ihn umbringen. Aber es wird nichts besser machen. Nach Mateos Tod ging es mir auch nicht besser. Trotzdem ist da dieser Wunsch in mir, ihn für seine Taten büßen zu lassen.
Vasco beobachtet mich nur stumm. Ich frage mich was er denkt.
Wenn das so weiter geht wird er an allem was ich sage zweifeln.
,,Es war einer der Arbeiter in diesem Bordell, aber ich erinnere mich nicht. Sie sehen alle gleich aus", versuche ich glaubhafter zu klingen. Er nickt nur langsam und antwortet daraufhin nichts.
,,Dieser Sergio", sage ich zögernd. Vasco blickt mich aufmerksam an.
,,Du kennst seinen Namen?", fragt er mich verwundert.
,,Er war dabei, als sie meinen Vater umgebracht haben. Er hat nichts unternommen obwohl er meinen Vater schon so lange kennt."
,,Er wollte dir nicht helfen, oder?", fragt Vasco mich ausdruckslos. Ich schlucke schwer.
,,Im Bordell", sagt er. ,,Hat er dich angerührt?"
Ich erinnere mich daran zurück, wie Sergio mir sagte er würde mich jede Nacht besuchen wollen. Dass es keinen Grund gäbe Vasco zu sagen wo ich bin. Das letzte was ich tun werde ist für den Mann zu lügen, der meinen Vater auf dem Gewissen hat. Also antworte ich.
,,Er wollte mir nicht helfen."
Als Vasco das hört, fährt er sich - seinen Zorn unterdrückend - über sein Gesicht. Er steht auf und blickt auf mich herab. ,,Sag mir was er getan hat!"
Meine Hände krallen sich in meine Oberschenkel während ich seinem Blick ausweiche. Ich bin so nervös, weil ich davor Angst habe etwas falsches zu sagen und Cassius zu verraten.
Vasco missinterpretiert mein Verhalten und fährt sich über die geschlossenen Augen. Dann bringt er seine Atmung unter Kontrolle und kniet sich runter um in mein Gesicht sehen zu können.
,,Du musst nichts mehr befürchten. Egal was sie dir angetan haben ... das ändert nichts zwischen uns."
Ich schlucke schwer. Vasco denkt ich befürchte, er könnte anders über mich denken sobald ich ihm sagen würde was mir angetan wurde. Wäre so etwas aber wirklich passiert, wüsste ich nicht ob ich noch leben würde, geschweige  denn ob ich überhaupt hier still sitzen und noch klar denken könnte. Es ist noch immer ein Wunder, dass mir nichts dergleichen wiederfahren ist. Cassius hat mich beschützt, meine Wunden versorgt, mir Essen gegeben. Er hat seine Familie verraten nur damit es mir gut geht. Wenn Vasco das jemals herausfindet und ihm etwas antut, könnte ich mir das niemals verzeihen ...
,,Jetzt sag doch was ...!", fordert Vasco ungeduldig und zornig zugleich. Seine Augen wirken müde. Er hatte kaum Schlaf, das sieht man sofort. Jedenfalls tue ich das.
,,Es ist nichts passiert", sage ich nur knapp und überlege etwas zu sagen, dass ich mir schon vorher ausgedacht hatte. Ob es realistisch klingen würde? Vasco wird ja kaum glauben dass wirklich nichts passiert ist.
,,Du musst es mir erzählen. Was ist passiert als die dich gefangen genommen haben? Wie konntest du entkommen?"
Als Vascos Bedrängnis zu stark wird, spreche ich. Ich muss jetzt hoffen dass er es mir abkauft.
,,Ich ... wurde für bestimmte Leute reserviert ... Hector hatte irgendwelche Pläne mit mir. Ich weiß nicht genau was ... aber deswegen ließen sie keinen an mich ran. Auch nicht Sergio."
Er sieht mir lange ins Gesicht, bis er anfing langsam zu nicken.

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