N E U N Z E H N

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U n  I n t e n t o

20:19 Uhr

Drei Tage sind vergangen. Ich war nicht ein einziges Mal außerhalb dieses Zimmers. Essen wurde mir ans Bett gebracht und die Tür wurde immer verriegelt. Sogar die Tür des Balkons haben sie verschlossen. Ich habe das Gefühl hier drin durchzudrehen. Die letzten drei Tage war ich alleine mit meinen Gedanken, was mir überhaupt nicht gut tut. Mir fallen immer wieder schlimme Dinge ein, Sorgen machen sich in mir breit und ich denke auch immer wieder an das was noch kommen wird. Niemand spricht mit mir, auch nicht Clara. Sie bringt das Tablett mit Essen und holt es auch wieder ab. Ich habe jede Nacht diese Albträume die mich plagen und kann nicht länger als höchstens zwei Stunden schlafen, weil ich jedes mal hoch schrecke. Egal was ich tue, wie ich die Dinge angehe, bei ihm kann man nichts richtig machen. Ich komme mir vor wie eine Fliege die immer wieder gegen das Fensterglas prallt, ohne eine Chance auf einen Ausweg.

Gedankenverloren starre ich auf die Bettdecke als die Tür wieder aufgeschlossen wird. Clara und ein Mann kommen herein. Es ist der Arzt, der gelegentlich nach mir sieht. Ich habe auch ihn schon oft um Hilfe gebeten, aber er scheint nicht mal darüber nachzudenken mir hier raus zu helfen. Ich lege die Decke enger um mich und drehe mich weg. Die sollen mich alle einfach in Ruhe lassen!
,,Bitte Señora, es wird auch nicht lange dauern", bittet Clara vorsichtig.
,,Ich brauche keinen Arzt, mir geht es blendend, sieht man doch?", zische ich sauer und mache keine Anstalten mich Untersuchen zu lassen.
,,Bitte lassen Sie mich einfach meine Arbeit machen", sagt der Arzt. Ich antworte nicht.
,,Zwingen Sie mich nicht Don Vasco zu holen Señora", sagt Clara jetzt flehend.
,,Mach doch was du willst", zische ich gleichgültig. Sie seufzt. Man hört wie Schritte sich entfernen.
,,Sie machen es nur unnötig kompliziert Señora", sagt der Arzt. Ich kralle meine gesunde Hand in die Bettdecke.
,,Ihre Aufgabe als Arzt ist doch Menschen zu helfen? Wieso tun sie es dann nicht?", frage ich ohne mich zu ihm zu drehen. Mit ruhigem Ton antwortet er mir. ,,Ich kann nur das tun, was in meiner Macht steht. Und das ist, ihre Verletzungen zu behandeln."
Ich antworte ihm nicht. Meine Verletzungen heilen? Das kann nichts als die Freiheit.

Die Tür wird schwungvoll aufgerissen, ich weiß auch schon wer es ist. Ich drehe mich aber trotzdem nicht um. Nervös kralle ich meine Finger in die Decke.
,,Lasst uns allein", erschüttert Vascos tiefe Stimme den Raum. Stumm gehen die beiden raus und die Tür schließt sich. Ich liege mit dem Rücken zu Vasco im Bett. Er sagt nichts, tut nichts. Diese Stille macht mich nur noch nervöser als ich schon bin.
,,Du hast jetzt die Wahl", beginnt er dunkel. ,,Entweder du tust was man dir sagt und ich belasse es dabei..."
Ich schlucke schwer. Er tritt näher ans Bett.
,,... oder ich sorge dafür, dass du nach dem ich mit dir fertig bin, um einen Arzt flehst."
Bei diesen Worten kann ich mir mein Schluchzen nicht verkneifen.
,,Shh ...", macht er und zieht die Decke von mir. ,,Setz dich auf, na los", sagt er mit ruhigem Ton. Mit zitterndem Körper setze ich mich auf den Bettrand. Er steht vor mir, zwingt mich am Kinn zu ihm nach oben zu sehen. Schon wieder fühle ich mich so klein.
,,Du darfst danach auch dein Zimmer verlassen und in den Garten", sagt er ruhig. Ich sehe ihn aus großen Augen an.
,,Was? Wirklich?", frage ich verwirrt. Er nickt kurz und lässt mich am Kinn los.
,,Kommt rein", ruft er. Clara öffnet dem Arzt die Tür. Er tritt herein. Vasco sieht zum Arzt. ,,Du kannst anfangen."
Er geht aus der Tür.

× × × × ×

21:34 Uhr

Nachdem der Arzt meinen Gips gewechselt hat und jetzt weg ist, gehe ich aus dem Zimmer. Wie versprochen hat man dieses mal nicht abgeschlossen, sodass ich endlich raus kann. Mit schnellen Schritten mache ich mich auf den Weg zum Garten. Ich gehe am Pool vorbei und setze mich an den schönen Brunnen. Tief atme ich die frische Luft ein. Meine Lungen fühlen sich an wie ausgewechselt, als sie sich mit der erfrischenden Abendluft füllen. Gedankenverloren spiele ich mit dem kalten Wasser im Brunnen. Es ist erstaunlich wie frei ich mich plötzlich fühle, obwohl ich noch immer gefangen bin. Diese drei Tage wollten in diesem Zimmer einfach nicht umgehen, bestimmt fühle ich mich deswegen so. Ich blicke ins Wasser und betrachte meine Reflexion. Meine Wange ist fast verheilt und die Verletzung an meinem Kopf tut auch nicht mehr so stark weh. Nur mein Handgelenk ist noch immer wegen Ricardo demoliert.

Ich zucke erschrocken zusammen als sich jemand neben mir räuspert. Als ich hoch sehe, blicke ich in Valerias Augen.
,,Dir gefällt wohl die ganze Aufmerksamkeit was?", fragt sie mich angewidert.
,,Bist du mir etwa gefolgt?", frage ich sie verständnislos.
,,Ich wohne, im Gegensatz zu dir, in diesem Haus. Muss ich dich um Erlaubnis fragen oder was?"
,,Lass mich einfach in Ruhe", sage ich und sehe wieder ins Wasser. Ich habe keine Kraft für so etwas. Was will sie damit bezwecken?
,,Glaub ja nicht, dass ich dir etwas schulde, nur weil du neulich deine Nase in unsere Angelegenheiten gesteckt hast!", sagt sie wütend. Ich runzle die Stirn und stehe auf.
,,Angelegenheiten? Ich habe dich davor bewahrt zu ersticken!", sage ich jetzt sauer.
,,Du glaubst wirklich, dass er bei mir so weit gehen würde?", fragt sie spöttisch. ,,So etwas passiert nicht selten. Ich habe ihn wütend gemacht und er hat dementsprechend reagiert. So etwas passiert nun mal in einer Ehe, also spiel dich nie wieder so auf und halt dich da raus!"
Ich schüttle ungläubig den Kopf. ,,Und du nimmst das einfach hin? Er behandelt dich wie Dreck, schenkt seiner anderen Frau mehr Aufmerksamkeit und tut mit euch was er will. Du bist seine Frau, aber was ändert das? Hat er nicht noch eine andere?", sage ich sauer. ,,Du bist eifersüchtig auf mich, dabei will ich nicht einmal hier sein! Geh und bekriege dich mit jemand anderem!"
Aufgebracht verschränkt sie ihre Arme. ,,Du sagst mir nicht was ich zu tun habe. Wenn hier jemand verschwindet, dann bist du es, entendido?", zischt sie bedrohlich. Ich atme tief durch und stehe auf. Wütend gehe ich an ihr vorbei und will gerade wieder ins Haus, als Vasco vor mir in der Tür steht. Ich blicke ihn nicht an und will stumm an ihm vorbei gehen, als er mich am Arm festhält.
,,Ich dachte du willst raus, wieso gehst du zurück?", fragt er. Ich beiße die Zähne zusammen als Valeria mit selbstgefälligem Lächeln zu uns kommt.
,,Gute Nacht", sagt sie und geht selbstbewusst an uns vorbei und zurück ins Haus. Vasco sieht ihr stumm hinterher, sieht dann zu mir. Er lässt meinen Arm los.
,,Du kannst draußen bleiben, wenn du willst", sagt er und geht an mir vorbei. Ich atme tief durch. Vielleicht schaffe ich es dieses Mal, mit ihm zu reden.

Ich stelle mich neben ihn, als er wie üblich in die Ferne sieht. Die Aussicht hier ist wirklich schön. Das Grundstück liegt etwas weiter oben in den Bergen, sodass man einen breiten Blick auf die Natur hat.
,,Wieso bist du auf einmal so nett?", frage ich ihn, verwirrt über sein Verhalten.
,,Du stellst mir auch jede Frage, die dir durch den Kopf geht", sagt er genervt, sieht mich aber nicht an.
,,Wenn du antworten würdest, wären es nicht mehr so viele", entgegne ich. Ich habe nicht vergessen, was er mir angetan hat, aber ich versuche es zu verdrängen. Er kann es sich ja wohl denken, dass ich ihn hasse. Ich traue mich nicht einmal nah am Pool zu stehen, weil ich befürchte er würde da weiter machen, wo er aufgehört hat.
,,Na schön. Ich beantworte dir nur eine Frage. Such dir eine aus", sagt er und sieht wieder nach vorne. Wieso hat er so gute Laune? Er lächelt zwar nicht, aber ich merke es an seinem Verhalten.
Ohne viel zu überlegen, stelle ich ihm die eine Frage, die mir seit ich hier bin auf dem Herzen liegt.

,,Wieso hast du mich nicht umgebracht?"

LeyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt