S I E B E N U N D D R E I ß I G

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D e m a s i a d o

Ich atme mehrmals tief und erschöpft durch. Nicht verstehend, was hier vor sich geht, blicke ich wie gebannt in seine Augen, als könnten sie mir eine Antwort geben. Meine Hände sind verkrampft. Eine krallt sich in seine Schulter, die andere in seine Brust. Dann spüre ich Nässe. Kaltes Wasser tropft an uns herunter. Seine Arme umschlingen mich fest und geben mir den Halt den ich brauche, um stehen zu können. Das eiskalte Wasser prasselt wie Regen von der Decke auf uns herab. Weder er noch ich sprechen. Mein Herz klopft wie verrückt gegen seine Brust. Unsere Klamotten sind völlig durchnässt und trotzdem regt sich keiner von uns. Meine Tränen vermischen sich mit dem Duschwasser während ich mich wie hypnotisiert in seinen Augen verliere. Auch wenn es nur für diesen kurzen Moment ist, fühlt sich sein stürmischer grauer Blick für mich wie Frieden an, der sich in meinem inneren ausbreitet. Der mich aus dieser Katastrophe rettet. Überfordert mit mir selbst, lehne ich meine Stirn an seine starke Schulter. Er rührt sich nicht. Mir kommt es sogar so vor, als würde er sich nicht trauen, sich zu bewegen. Er gibt mir jetzt den Halt, den er mir davor genommen hat. Ich komme mir so klein vor. Am liebsten würde ich mich vor ihm verstecken, aber mein einziges Versteck scheint nur er selbst zu sein. Mich überkommt eine Gänsehaut, weil das Wasser so kalt ist. Als hätte er das gemerkt, stellt er das Wasser wärmer ein. Ich schließe erschöpft die Augen und lehne meine Wange an seine Schulter. Ich verstehe nicht mehr was um mich herum passiert. Ich weiß nicht, ob das nur ein Traum ist oder die Realität. Ich weiß nur, dass ich mich endlich geborgen fühlen möchte. Dass ich nicht mehr Kämpfen möchte.
Er sagt nichts und hält mich einfach nur fest. Ich bin so verwirrt. Ich weiß nicht was ich tun soll, was ich sagen soll, was ich denken soll. Es ist als wäre mein Kopf einfach stehen geblieben. Alles dreht sich und mir ist gleichzeitig warm und kalt. Ohne etwas davon zu merken, verliere ich das Bewusstsein.

× × × × ×

14:38 Uhr

Ich wache auf. Das Erste was ich fühle, sind meine schweren Augen die vom ganzen weinen geschwollen sein müssen. Ich liege im Bett, habe ein frisches Nachtkleid an und auch die Raumtemperatur ist anders als sonst. Ich sehe mich um und merke, dass ich zum Glück allein bin. Ich habe keine Kraft jetzt mit jemandem zu sprechen. Mit zittrigen Beinen stehe ich auf und verlasse das Bett. Ich gehe auf die Terasse und atme die frische Luft ein um meine Sinne zu beruhigen. Kraftlos setze ich mich auf den Sessel. Ria ist weg. Sie ist irgendwo und ganz allein ohne jemanden der auf sie aufpasst. Wie soll ich mich jemals an diesen Gedanken gewöhnen? Aber egal was ich auch tue, es hat keinen Zweck. Mich immer und immer wieder zu wehren ... wie lange soll das noch gehen? Ich habe keine Kraft mehr. Ich muss mich fügen, ich muss ihm gehorchen und mich benehmen. Er will, dass ich seine Ehefrau spiele. Schön, kann er haben. Aber wenn er glaubt ich würde jemals auch wirklich seine Ehefrau sein, dann irrt er sich gewaltig.

Viele Gedanken kreisen in meinem Kopf. Selbst wenn er mich und Ria gehen lassen würde, könnten wir nirgendwo hin. Natürlich würde Abuela uns aufnehmen, aber das Geld würde niemals reichen um drei Personen zu versorgen. Ich mache das alles nur für Ria. Auch wenn ich sie kaum zu Gesicht bekommen werde, sie wird durch ihre Bildung endlich eine sichere Zukunft haben.
Seufzend massiere ich mir den Nacken. Hier draußen ist es heiß und die Sonne würde erbarmungslos auf mich herab scheinen, wäre der Sonnenschirm nicht aufgeschlagen. Ein Glück ist es heute etwas windiger als sonst. Ich fühle mich sehr ausgelaugt. Gestern hatte ich wohl einen Schwächeanfall. Das alles war einfach zu viel, weshalb ich auch so durchgedreht bin. Aufeinmal kam alles hoch und hat mich wie ein Schlag getroffen. Ich war wohl so in Trance, dass Vasco sich mit mir unter die Dusche stellen musste, damit ich aus diesem Albtraum aufwache. Es wundert mich, dass er so weit gegangen ist. Er sieht normalerweise so ernst und distanziert aus. Dass er sich wegen mir unter eiskaltes Wasser stellen würde, hätte ich nicht gedacht. Ich erinnere mich daran, wie anders er ausgesehen hat. Seine Augen waren nicht mehr so kühl und ruhig. Er war sichtlich überfordert mit mir und meiner Panikattacke, aber er war auch irgendwie ... besorgt. Er war die ganze Zeit über still, hat bei meinem Geschreie nicht einmal versucht mich durch Worte zu beruhigen. Wieso hat er beschlossen meine Schwester ohne mein Wissen wegzuschicken? Ich dachte das alles hätte noch seine Zeit. Es sah für mich nicht danach aus als würde sie schon so schnell das Haus verlassen. Außerdem habe ich ungewöhnlich viel an dem Tag geschlafen. Hat man mir etwas ins Essen gemischt damit ich nichts mitbekomme? Das muss so gewesen sein, andernfalls wäre ich schon viel früher aufgewacht und wäre zu Ria gegangen so wie ich es immer tue. Wieso tut dieser Mann nur so etwas? Etwa als Strafe dafür, dass ich ihn neulich so in die Ecke gedrängt habe? Weil ich ihn zur Rede gestellt und ihn gefragt habe, ob er selbst überhaupt weiß, wieso er das alles tut? Kurz danach hat er gesagt ich soll still sein und hat mich ins Schlafzimmer gesperrt. Vielleicht hat er es aus Wut getan, weil er gesehen hat wie ich auf der Terrasse geweint habe. Ich verstehe nicht was er von mir erwartet. Soll ich lachen und ihm um den Hals fallen? Das glaubt er doch selbst nicht. Wenn er von mir Zuneigung erwartet, kann er das seit spätestens gestern vergessen.

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