F Ü N F U N D Z W A N Z I G

11.6K 525 187
                                    

D e s c o n f i a n z a

14:05 Uhr

Am nächsten Tag bin ich zum Traubenfeld gegangen um mit dem Leiter zu sprechen und um Arbeit zu bitten. Aber er lehnt mich schonungslos ab.
,,Bitte Señor! Ich brauche das Geld, ich mache auch Überstunden!"
,,Nein, du trägst einen Gips und kannst nicht mal vernünftig damit arbeiten! Es gibt genug andere Leute die ihre Arbeit ernster nehmen als du! Und jetzt verschwinde von hier!", brüllt er mich an und geht davon, um sich seiner Arbeit zu widmen. Enttäuscht verlasse ich das Feld und gehe zurück in Richtung Einkaufsstraße.

Wenn ich nicht schleunigst etwas finde, dann werden Ria und ich wirklich auf der Straße landen! Marta kann uns nicht für immer bei sich aufnehmen und das möchte ich auch nicht. Wer weiß, was alles in Mateos Kopf vor sich geht? Meine Schwester muss an einem sicheren Ort leben. Nicht unter einem fremden Dach mit diesem komischen Mann. Ich sollte morgen zu Abuela gehen und sie um Hilfe bitten, bei ihr fühlen wir uns beide am sichersten.

× × × × ×

19:00 Uhr

Ich klappere Laden für Laden ab, frage, nein, flehe nach Arbeit. Aber keiner nimmt mich auf. Nicht einmal die Geschäfte mit Aushängeschildern auf denen 'Aushilfe gesucht' steht. Als hätten sie sich alle abgesprochen oder gegen mich verschworen. Sie alle hatten eine andere Ausrede. Manche haben nicht einmal gesagt, wieso sie mich nicht nehmen. Niedergeschlagen mache ich mich auf den Weg zurück zu Martas Haus.

Dort angekommen, helfe ich ihr zu putzen und die Wäsche zu waschen. Mateo ist zum Glück auf der Arbeit, weswegen Ria und ich eine dusche nehmen können während wir darauf warten, dass unsere gewaschenen Klamotten trocknen.

× × × × ×

02:19 Uhr

Es ist mitten in der Nacht. Ich habe nicht viel geschlafen und mir eher über alles Gedanken gemacht. Zum Beispiel denke ich ständig an Vasco. Ich verstehe nicht, wieso er mich heiraten wollte. Hatte Clara etwa recht? Hat er mich mit ganz anderen Augen gesehen, als ich dachte? So viele Fragen schwirren mir durch den Kopf.
Was ist mit Cassius? Ob er noch lebt? Ich bete aus ganzem Herzen, dass er da lebend raus kommt und dass es ihm gut geht. Ich kenne ihn zwar nicht, aber er hat es mir zwischen diesen grauen Wänden viel einfacher gemacht. Ich fand seine Stimme irgendwie sehr beruhigend. Traurig seufze ich.

Ich habe zum erste Mal einen Mann kennengelernt, für den ich mich auch tatsächlich interessiert habe. Aber es sollte wohl nicht sein. Ich wünschte, ich hätte ihn unter normalen Umständen kennenlernen können. Ich weiß nicht ob er noch lebt, ich hoffe es einfach. Mir immer darüber Gedanken zu machen, wird mir nicht weiter helfen. Ich sollte ihn einfach vergessen...

Meine Gedanken schweifen wieder zurück in meine jetzige Lage. Ausgerechnet unser Laden musste in Flammen aufgehen. Nicht nur unser Zuhause ist weg, sondern Papás Lebenswerk. Ich verstehe nicht, wie man so viel Pech haben kann?

Niedergeschlagen stehe ich auf und gehe in die Küche um Wasser zu trinken. Nachdem ich getrunken habe und die Flasche zurück an ihren Platz stelle, gehe ich zurück ins Zimmer. Plötzlich sehe ich, wie Mateo ins Zimmer sieht in dem Ria und ich schlafen. Meine Stimme verhärtet sich.
,,Was machst du da?", frage ich ihn aufgebracht. Er dreht sich schlagartig um.
,,Du schläfst ja gar nicht", sagt er schmierig grinsend.
,,Was geht dich das an?", zische ich. Er verschränkt die Arme und kommt zu mir.
,,Das ist immer noch mein Haus, ich kann machen was ich will. Wenn's dir nicht passt kannst du ja deine Schwester nehmen und auf der Straße schlafen?", sagt er provokant. Ich beiße die Zähne zusammen und sage nichts. Ich will einfach an ihm vorbei gehen, als er mich plötzlich am Arm packt. Ich sehe ihn erschrocken an.
,,Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen, 'tschuldige. Aber mal ehrlich, keiner wird dich zur Frau nehmen wenn sie erfahren, dass du keine Jungfrau mehr bist. Ich könnte aber ein Auge zudrücken, was hältst du davon?", sagt er dreckig und starrt auf meine Oberweite. Ich zerre mich sofort von ihm los und laufe zurück ins Zimmer. Ich rüttle die Schulter meiner kleinen Schwester.
,,Ria! Wach auf, wir gehen!", sage ich aufgewühlt und wecke sie schnell. Mit müden Augen sieht sie mich an.
,,Was ist denn?", murmelt sie müde und reibt sich die Augen. Ich trage sie mühevoll auf meine Arme und gehe zur Eingangstür, die von Mateo versperrt wird.
,,Nicht so schnell", sagt er dunkel. Ich stelle Ria ab, die jetzt wach ist und sich ängstlich an mich krallt.
,,Geh aus dem Weg!", fordere ich ihn auf. Im Flur steht Marta, die uns verwirrt ansieht.
,,Was ist denn hier los?", fragt sie uns.
,,Danke für deine Gastfreundschaft Marta, aber wir müssen jetzt gehen", sage ich ernst. Sie sieht zu Mateo.
,,Was hast du schon wieder angestellt?", fragt sie ihn sauer.
,,Nichts, ich schwör's", sagt er schulterzuckend. ,,Deine Gäste sind sehr undankbar Mamá."
,,Lass uns durch!", sage ich wütend. Er bewegt sich kein Stück. Ich sehe zu Marta. ,,Bitte sag' deinem Sohn, dass er uns vorbei lassen soll!"
Mateo spricht auf sie ein. ,,Ich könnte sie zur Frau nehmen Mamá? Die hat doch sowieso keine Eltern oder sonst jemanden. Niemand könnte etwas sagen. Gib es doch zu, du wolltest sie schon immer als Schwiegertochter. Außerdem bin ich nicht mehr der jüngste Mamá, du willst doch bestimmt Enkelkinder?", sagt er grinsend, wodurch man seine gelben Zähne sieht. Ich warte ungläubig Martas Reaktion ab. Ich werde unruhiger, als sie nichts sagt und überlegt. Dann spricht sie.
,,Bring' es schnell hinter dich", sagt sie plötzlich und geht wieder in ihr Zimmer. Fassungslos starre ich ihr hinterher.

Was? Ist das ihr ernst?! Das reicht!

Ich gehe auf die Tür zu und will mich an ihm vorbei drängen, als er mich plötzlich Ohrfeigt.
,,Leya!", weint Ria ängstlich. Ich halte mir die Wange und drehe mich zu meiner Schwester.
,,Ria! Lauf weg!", rufe ich panisch. Sie läuft los, aber Mateo interessiert das glücklicherweise nicht, da seine Konzentration voll und ganz bei mir liegt.

Ich winde mich und schlage um mich mit der Hoffnung, mich befreien zu können, aber er ist viel großer als ich. Mühevoll zerrt er mich in das Zimmer in dem wir geschlafen haben. Ich schreie laut nach Hilfe, woraufhin er mir sofort den Mund zu hält. ,,Wieso so ängstlich? Stört dich etwa der Altersunterschied?", lacht er dreckig und drückt mich ins Bett. Ich brülle aus tiefster Kehle, versuche so laut zu sein wie ich kann, aber nichts davon scheint mir zu helfen.
,,Jetzt hör auf dich zu wehren! Es bringt nichts", sagt er angestrengt als er versucht mich an Ort und Stelle zu halten. Verzweifelt schlage ich ihm meinen Gips voller Wucht gegen den Kopf, wodurch es zerbricht. Ich schreie schmerzerfüllt auf, weil der Schmerz meinen ganzen Arm durchzuckt. Er taumelt zurück und ich laufe los. In den Zimmern suche ich nach Ria. Ich will gerade ins Badezimmer, aber es ist verschlossen. ,,Ria-"
Voller Wucht werde ich zurück gezerrt und gegen die Wand geschleudert. Meine Sicht ist benebelt. Ich hatte mich gerade mal von den anderen Verletzungen erholt, das alles macht mein Körper nicht mehr mit...!

Ich schaffe es mich nicht aufzustehen, als Mateo zu mir kommt und mich am Hals packt. Er zerrt mich hoch und wirft mich im Zimmer ins Bett. Ich lande auf meinem Handgelenk und schreie schmerzerfüllt auf. Dann erkenne ich das Messer in seiner Hand, welches er mir an den Hals drückt. Ich bin wie erstarrt als ich Ria sehe, die wie in Trance in der Tür steht und Mateo dabei beobachtet, wie er mir die Klamotten vom Leib reißt. Ich blinzle meine Tränen weg um Ria anzusehen. Ich versuche krampfhaft ein Lächeln hervor zu bringen um meine Schwester zu beruhigen. Mit bebender Stimme spreche ich.

,,Cierra la puerta, amor..."

LeyaDonde viven las historias. Descúbrelo ahora