S I E B E N U N D A C H T Z I G

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V i v o

Am nächsten Tag wache ich neben meiner Schwester auf, die noch seelenruhig schläft. Ich gebe meinem Engel einen kleinen Kuss auf die Stirn. Vorsichtig schleiche ich mich dann aus dem Bett und gehe hoch ins Schlafzimmer um nach Vasco zu sehen. Leise öffne ich die Tür um meinen Mann nicht zu wecken, jedoch erkenne ich kurz danach, dass er nicht einmal im Bett liegt. Ich betrete das Zimmer.

Ein Blick zur Terrasse verrät mir, dass er auch dort nicht aufzufinden ist. Ich höre ihn stattdessen im Bad und gehe zur offenstehenden Badezimmertür.
Er ist gerade damit fertig geworden sich zu rasieren und wischt sich den übrigen Rasierschaum aus dem Gesicht. Er steht nur in einer dunklen Hose im Bad. Durch den Spiegel blickt er mich an während er sich sein schwarzes Hemd überzieht.
,,Wieso bist du so früh wach?", frage ich ihn und gehe wieder ins Schlafzimmer.
,,Das sollte ich dich fragen", sagt er ruhig und knöpft das Hemd zu.
,,Ist etwas passiert?", fragt er mich dann und verlässt auch das Bad.
,,Nein wieso?", frage ich ihn überrascht.
,,Weil du hier bist", antwortet er konkret. Ich zucke mit den Schultern.
,,Ich wollte nur nach dir sehen", sage ich schüchtern. Er kommt einige Schritte auf mich zu und bleibt vor mir stehen.
,,Verstehe", sagt er leise und betrachtet mein Gesicht stumm. Seine grauen Augen blicken mich so tiefgründig an, dass es mir das Herz bricht. Fest schließt mein Mann mich in seine Arme. Ich schließe meine Augen und lehne mich an seinen Körper.
,,Danke", flüstere ich leise.
,,Wofür?", fragt er mich. Ich löse mich von ihm.
,,Dafür, dass du meine Schwester nicht weggeschickt hast", antworte ich ihm. ,,Ich hätte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet", gebe ich beschämt zu.
,,Womit hättest du denn gerechnet?", fragt mein Mann mich abwartend. Ich zucke mit den Schultern.
,,Ich weiß nicht. Entweder das Internat oder Rosita. Dass du dich weiterhin um sie kümmerst, hätte ich nicht gedacht."
Vasco nickt nur stumm, kein Ausdruck ziert sein Gesicht. Ich fahre fort.
,,Sie hat eine Beule am Hinterkopf. Es wäre wohl passiert als sie einen Schwächeanfall hatte."
Die Vorstellung wie geschwächt Ria gewesen sein muss dreht mir den Magen um. Vasco sagt dazu nichts.
,,Falls mir etwas zustößt musst du mir versprechen, dass du alles tust damit so etwas nicht mehr passiert. Kannst du das?", frage ich ihn ernst. Er verzieht unzufrieden das Gesicht.
,,Dir wird nichts zustoßen", sagt er streng.
,,Du kannst nicht alles kontrollieren", sage ich leise und verschränke die Arme. Vor meinen Augen blitzt der Moment auf, als er diese Rakete auf uns abgeschossen hat. Wie er mir in die Augen gesehen hat. So kalt und leer. Und dieser laute, ohrenbetäubende Knall ...
,,Während ich gefangen war, war meine größte Angst nicht meine Situation. Alles worum ich mich gesorgt habe war, was mit meiner Schwester passieren wird. Ich habe mich gefragt ob sie gesund, hungrig oder einsam ist. Ich hab mich gefragt ob du sie irgendwohin geschickt hast wo es keinen interessiert ob es ihr gut geht. Ich konnte mir nicht mehr sicher sein ob du Verantwortung für sie übernimmst", zähle ich ihm gedankenverloren meine Sorgen auf während ich auf den Boden starre. Stumm hört er mir zu.
,,Versprich mir, dass du dich gut um meine Schwester kümmern wirst. Egal was mit mir passiert", sage ich und blicke zu ihm auf.
,,Dir wird nichts passieren Leya", sagt er nun eindringlicher. Ich schüttle verständnislos den Kopf. Ist ihm eigentlich klar, dass ich wegen ihm tot sein könnte?
,,Wirklich?", frage ich ihn zorniger als beabsichtigt. ,,Ich wäre gestorben wenn ein anderes Auto nicht in die Schusslinie gefahren wäre Vasco, ist dir das klar?"
Ich kann spüren wie er sich anspannt als er das hört. Das erste Mal blickt er mir nicht in die Augen, sondern weg. Wenn ich daran denke, dass ich wegen meinem eigenen Mann Ria nie wieder in die Arme schließen könnte, quillt tiefe Verachtung in mir auf gegen die ich versuche anzukämpfen. Aber seine nächsten Worte lassen mich diesen Kampf verlieren.

,,Ich musste es tun."

Lange sehe ich ihn an um herauszufinden ob noch etwas von ihm kommt. Aber dieser Satz war alles was er ausgesprochen hat.
,,Du musstest?", frage ich ihn fassungslos. Jetzt blickt er mich wieder mit diesen stählernen Augen an.
,,Ich hätte nicht wissen können, dass du unversehrt zurück kommst", sagt er dunkel. ,,Weißt du eigentlich was sie mit den Frauen ihrer Feinde anstellen?", fragt er mich und kommt mir näher. Dieses Mal bin ich es, die nichts darauf antworten kann.
,,Ich weiß besser als jeder andere was mit dir passiert wäre. Aber anscheinend habe ich mir unnötige Sorgen gemacht", flüstert er letzteres misstrauisch. Ich versuche meine Nervosität zu verbergen, als er mich so durchdringlich anstarrt.
,,Du solltest froh sein ...!", zische ich mit gläsernen Augen. Wird er sich denn nie ändern?
Monoton blickt Vasco mich an und nickt knapp.

LeyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt