F Ü N F U N D D R E I ß I G

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P e n s a m i e n t o s

02:44 Uhr

Stunden sind vergangen und es ist bereits nach Mitternacht. Ich liege nur zusammengekauert auf dem Sofa im Raum und denke nach. Viele Dinge gehen mir durch den Kopf. Zum Beispiel frage ich mich was wäre, wenn ich nicht zugelassen hätte, dass Papá in jener Nacht zurück zum Laden geht. Oder was wäre, wenn ich diesem kleinen Jungen nicht gefolgt wäre, um ihm zu helfen. Wahrscheinlich hätte Sergio dann versucht mich auf eine andere Weise anzulocken. Ich frage mich ob Sergio und Ricardo wissen, dass ich Vasco geheiratet habe. Natürlich wissen sie es, schließlich arbeiten sie für ihn. Sie laufen doch auf den Straßen herum und prahlen damit, dass sie für Don Vasco arbeiten.

Außerdem frage ich mich was gewesen wäre, hätte ich mich in Vasco verliebt. Bestimmt hätte ich jetzt weniger Probleme, aber ich kann ihn wohl kaum auf Knopfdruck anfangen zu lieben. Ich bin mir nicht einmal sicher, was er für mich fühlt. Ganz kalt lassen tue ich ihn sicherlich nicht, sonst wäre ich wohl kaum seine Frau. Trotzdem sieht nichts von dem nach Liebe aus. Er sagte, er wäre nachsichtig mit mir weil ich so jung bin. Mein Alter schien aber kein Problem zu sein, als er mich zur Frau genommen hat. Ich wünschte ich könnte eine normale Konversation mit ihm führen. Ich würde ihn fragen wieso er Valeria und Isabella geheiratet hat und herausfinden wie seine Beziehung zu den beiden ist. Die zwischen Valeria und ihm scheint nämlich nicht die beste zu sein. Mit Isabella hat er ein engeres Verhältnis, jedenfalls was Intimität betrifft. Wieso er mich geheiratet hat werde ich wohl nie erfahren. Ich weiß nur, dass seine anderen zwei Frauen aus wohlhabenden Familien kommen. Mich hingegen hat er von der Straße aufgesammelt. Ich wünschte er hätte es getan weil er mich liebt, dieser Gedanke würde es einfacher machen. Schließlich sitze ich mein ganzes Leben lang hier fest. Ich darf nicht einmal das Grundstück verlassen.
Wenn ich nur verstehen würde wieso er das alles tut, dann ... ich weiß nicht ... es würde mir jedenfalls weiterhelfen aus ihm schlau zu werden. Ein Mann mit so viel Macht und Einfluss hat mich zur Frau genommen weil ... weil was? Ich habe ihm deutlich gemacht, dass ich nicht vor habe mich von ihm berühren zu lassen. Das kann er mit seinen anderen Frauen machen, aber nicht mit mir. Was also erhofft er sich aus dieser Ehe? Ich wünschte ich könnte Gedanken lesen. Dann hätte ich endlich meine Antworten.

Meine Gedanken schweifen zu Cassius. Es ist schon eine Weile her, seitdem ich in dieser Zelle gefangen war. Ich kannte ihn zwar nicht, aber bei ihm hatte ich ein vertrauteres Gefühl als bei Vasco. Ich wünschte ich hätte ihn nicht auf diesem Wege kennengelernt. Wer weiß, vielleicht hätte ich ihn irgendwann kennengelernt, ohne dass wir in Zellen gefangen sind. Vielleicht hätte alles anders kommen können ...
Ein Stein legt sich auf mein Herz bei dem Gedanken, dass Vasco ihn bestimmt schon umgebracht hat. Ich sollte aufhören darüber nachzudenken.

Das Klicken des Türschlosses unterbricht meine Gedanken. Ich schließe die Augen und hoffe dass er mich einfach in Ruhe lässt, schließlich schlafe ich nicht im Bett wie er es eigentlich angeordnet hat. Die Tür geht auf und ich höre wie er hereinkommt. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. An seine Anwesenheit werde ich mich wohl nie gewöhnen. Ich höre das Rauschen von Stoff und vermute, dass er sein Hemd auszieht. Mich hat er schon längst gesehen, aber bis jetzt nichts gesagt. Er öffnet die Tür zum Bad, hält dann aber inne.
,,Wenn ich zurück bin liegst du im Bett." Dann schließt er die Badezimmertür. Genervt seufze ich auf und schmeiße ein Kissen gegen die Wand. Versteht er nicht dass ich etwas Zeit für mich brauche? Seit dem Tag unserer Hochzeit bedrängt er mich ohne Rücksicht auf meine Bedürfnisse zu nehmen! Er gibt mir nicht mal die Chance mich an das alles zu gewöhnen!

Ich stehe auf und gehe raus auf die Terrasse. Ich brauche frische Luft wenn ich das alles aushalten will. Seufzend blicke ich hoch in den Himmel. Abends ist die Luft am schönsten, so kommt es mir jedenfalls vor. Tief atme ich ein und wieder aus. Die Sterne am Himmel funkeln hell und klar. Nichts ist zu hören außer die nachtaktiven Heuschrecken und die frische Brise die meine Haut umschmeichelt. Am liebsten würde ich im freien schlafen, aber ich glaube kaum dass Vasco damit einverstanden wäre. Ich sehe mich auf der Terasse um. Hier gibt es einen kleinen Pool auf der rechten Seite, daneben zwei Strandliegen, einen Tisch mit Stühlen auf der linken Seite an dem wir gefrühstückt hatten und weiter links in der hinteren Ecke eine Couchecke mit einem Tisch. Insgesamt gibt es drei große Sonnenschirme die man aufklappen kann. Einer über den Strandliegen, einer beim Esstisch und einer bei der Couchecke. Was mir hier fehlt sind Pflanzen. Zuhause habe ich mich gut um unsere Hauspflanzen gekümmert. Sie haben das Haus einfach lebendiger erscheinen lassen und nicht so monoton. Ich glaube aber nicht, dass sich Vasco jemals Gedanken darüber gemacht hat. Wieso auch, er hat bestimmt wichtigeres zutun, wie zum Beispiel Menschen zu ermorden.
Ich schüttle den Gedanken ab. Solche Gedanken werden mir nicht dabei helfen mich an alles zu gewöhnen. Ich kann ohnehin nichts dagegen ausrichten. Gedankenverloren lehne ich am gläsernen Geländer und starre in die Ferne, denke über vieles nach.

Ich merke nicht, dass Vasco bereits aus dem Bad gekommen ist. Ich habe auch nicht gemerkt, dass mir Tränen gekommen sind als ich so dunkel vor mich hin gegrübelt habe. Egal was ich tue, am Ende schweifen meine Gedanken zurück zu diesen schrecklichen Ereignissen, die ich durchleben musste.
,,Was stehst du da noch so rum?"
Erschrocken drehe ich mich um. Vasco steht am Türrahmen und blickt mich so ernst wie immer an. Er steht da, nur in seinen dunklen Boxershorts und einem Handtuch, dass um seine Schultern liegt. Als er mich sieht verzieht er wütend das Gesicht. Mir fällt erst jetzt auf, dass ich etwas geweint habe, also wische ich mir schnell über die Augen und drehe mich wieder von ihm weg. Es missfällt ihm, dass ich geweint habe. Ich beiße unruhig meine Zähne zusammen. Er soll sich gar nicht wundern!
,,Komm erst rein, wenn du fertig bist mit heulen", zischt er aufgebracht und schiebt die Tür mit einem lauten Knall zu. Schluchzend vergrabe ich mein Gesicht in meinen Handflächen und versuche stark zu bleiben. Ich muss mich zusammenreißen, nicht für mich sondern für Ria.
Tief atme ich durch und versuche mich zu sammeln und beginne mir gutes einzureden. Zum Beispiel, dass ich mich glücklich schätzen sollte mit einem einflussreichen mann verheiratet zu sein. Er sagte selbst, dass es mir und meiner Schwester an nichts fehlen wird und damit hat er auch recht. Ria und ich wachen jeden morgen in sauberer Bettwäsche auf, ziehen jeden Tag neue Klamotten an und Essen zu bestimmten Mahlzeiten Gerichte, von denen wir nicht einmal wussten, dass es sie gibt. Wir können uns waschen wann wir wollen, ohne zu befürchen das Wasser würde uns ausgehen. Wir werden vom Personal bedient, das Haus in dem wir leben ist nahezu ein Palast und das wichtigste ist, dass meiner Schwester eine Zukunft geboten wird. Sie muss zwar in ein Internat, aber Vasco sagte es sei eines der besten. Außerdem werde ich sie alle zwei Wochen sehen. Und sofort gehen wird sie ja auch nicht, es hat noch Zeit. Ich muss nicht mehr arbeiten und mir keine Sorgen um Schulden machen. Ich sollte also dankbar sein, nicht wahr? Das alles hätte auch ganz anders aussehen können, ich will nicht einmal darüber nachdenken was alles hätte passieren können. Seufzend schlucke ich meinen Zorn und meine Trauer runter. Mamá hätte mich bestimmt ausgeschipft wenn sie wüsste, wie undankbar ich mich benehme. Es ist nur schwer mich so sehr ... einschränken zu lassen. Ich bin es nicht gewohnt von jemandem so sehr bedrängt zu werden und erst recht nicht die Frau eines fremden zu spielen. Mir fällt es schwer mit seinen Launen mitzuhalten. Ich weiß nie was in ihm vor sich geht und das macht mich unruhig. Außerdem ist mein Stolz verletzt, weil ich nicht einmal die erste, sondern seine dritte Frau bin. Vor allem aber, dass die Mörder meines Vaters für ihn arbeiten - das macht mich am meisten fertig. Ich befinde mich in einem Konflinkt mit mir selbst weil ich dachte ... ich dachte ich sei viel stärker als das. Ich dachte ich würde es schaffen alleine für meine Schwester zu sorgen. Ich dachte ich würde es schaffen, meine Lasten mit meinen eigenen Händen zu tragen und sie auch alleine los zu werden. Stattdessen bin ich auf diesen Mann angewiesen, der über alles in meinem Leben entscheidet. Ich hätte stärker sein müssen.

Gestresst massiere ich mir den Nacken. Und schon wieder denke ich nur schlechtes. Ich muss echt lernen positiver zu sein.

Ich drehe mich um und gehe zur Tür. Ich schiebe sie auf und gehe wieder rein ins Schlafzimmer. Als ich die Tür hinter mir wieder zuschieben will, hält mich Vasco auf.
,,Lass offen", sagt er nur monoton während er im Bett liegt und an die Decke starrt. Einen Arm hat er unter seinen Kopf gelegt und das Licht im Raum ist aus. Nur Mondlicht beleuchtet das Zimmer. Ohne etwas zu sagen lasse ich die Tür offen und schiebe stattdessen den Rahmen mit dem Netz zu, der vor Mücken schützen soll. Vasco nicht weiter beachtend gehe ich ins Bad und putze mir die Zähne. Anschließend gehe ich wortlos zum Bett, schlage die dünne Decke auf und lege mich rein. Natürlich mit dem Rücken zu Vasco. Bevor ich aber schlafe, trinke ich noch etwas Wasser das ich mir ins Glas schütte, welches auf der Nachtkommode bereit steht.

Dann schließe ich die Augen und versuche so schnell es geht einzuschlafen.

LeyaWhere stories live. Discover now